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Verschärfung des Versammlungsrechts noch vor dem 8. Mai

Liminski: Recht strukturiert Gesellschaften. Ein Grundrecht ist die Meinungs- und Gewissensfreiheit, von der die Klassiker der Staatsphilosophie sagen, sie sei die Mutter aller Freiheiten. Im politischen Raum bündeln Parteien die Meinungen und setzen sie in Stimmen und Sitzen in Parlamenten um. Jetzt wird über ein Verbot einer Partei, der NPD und über eine Einschränkung eines Rechts, des Versammlungsrechts, diskutiert. Darüber wollen wir nun sprechen mit der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, SPD. Zunächst mal guten Morgen, Frau Zypries.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Zypries: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Frau Zypries, Bundeskanzler Schröder sieht gute Chancen für ein NPD-Verbot, jedenfalls hat er das einer Sonntagszeitung gesagt. Gibt es eine Neuauflage des Verbotsantrags?

    Zypries: Die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister prüfen das ja derzeit sehr intensiv. Sie gucken, ob sie hinreichend Material haben, um es mit einem neuen Antrag zu versuchen. Das Ergebnis dieser Prüfung steht noch nicht fest, sie dauert an, da müssen wir abwarten.

    Liminski: Sehen Sie denn die NPD noch unter dem Verfassungsbogen?

    Zypries: Das ist schwierig. Es gibt zunehmend Äußerungen, die darauf hindeuten, dass sie sich doch noch weiter vom Spektrum entfernen, als sie das bisher getan haben. Wenngleich sie sich immer große Mühe geben, alle Spielräume auszuschöpfen. Die Abgrenzung ist da sehr eng. Ich kann das schlussendlich nicht sagen.

    Liminski: Verbot einer Partei, die Struktur und Wähler hat, wäre das. Sehen Sie darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit? Der Bundeskanzler hat ja auch gesagt, wichtig sei nicht, was einer denke, sondern was einer tue. Sind Worte, Parolen und der Versuch, die Geschichte umzudeuten nicht schon Taten? Ist hier die Grenze nicht schon überschritten?

    Zypries: Bestimmt ist die Grenze überschritten, wenn man mit solchen Parolen und Behauptungen, wie beispielsweise, dass der ganze Nationalsozialismus gar nicht so schlimm gewesen sei und Ähnliches mehr, das variieren die ja sehr breit, durch die Gegend zieht. Auch die Versammlungen, die stattfinden, die geballte Meinungsmacht, die dort zum Ausdruck gebracht wird, ist sehr problematisch. Dazu kommt eben Verhalten in verschiedenen vorstrukturierten Sachen, wie zum Beispiel dem Internet. Dort können wir eine erhebliche Zunahme von Webseiten und Verbindungen feststellen, wo doch ganz eindeutig in eine Richtung gezielt wird.

    Liminski: Wie steht es denn mit dem Versammlungsrecht? Schon nächste Woche soll ein Gesetz auf den Weg gebracht werden. Was steht drin?

    Zypries: Wir machen zwei Sachen, die der Bundesinnenminister und ich vorgestellt haben. Zum einen wollen wir das Versammlungsgesetz ändern und die Möglichkeit schaffen, dass man Versammlungen beschränken kann oder sie auch verbieten kann an nationalen Symbolen für eine menschenunwürdige Behandlung von Personen. Beispiel ist das Mahnmahl für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Das Mahnmahl zum Gedenken an diese Menschen schlechthin. Wir wollen nicht, dass davor Neonazis demonstrieren und behaupten, das mit dem Umbringen der Juden sei ja alles gar nicht so schlimm gewesen. Also quasi Demonstrationen, die genau dem Gedenkzweck widersprechen, die sollen an diesen Orten verboten sein.

    Liminski: Warum hat man denn nicht früher an diese Möglichkeiten gedacht? Der sechzigste Jahrestag des Kriegsendes war ja doch irgendwie vorauszusehen. Spätestens seit der Sachsenwahl hätte man doch auf diese Idee kommen können.

    Zypries: Wir sind ja auch schon eine ganze Zeit dran an einer Änderung des Versammlungsrechts. Der Innenminister hat keinen Vorschlag früher vorgelegt, weil das ja auch Thema der Föderalismuskommission war und offen blieb, ob nicht die Kompetenz für das Versammlungsrecht insgesamt an die Länder ging. Nachdem die Föderalismuskommission scheiterte, hat er sich dann dazu entschieden, die Vorschläge jetzt einzubringen. Was den zweiten Vorschlag anbelangt, die Änderung von Paragraph 130 Strafgesetzbuch, kommt es ja auch immer darauf an, wie ist die tatsächliche Entwicklung in der Gesellschaft. Sie können ja als Staat nicht beliebig eingreifen, sondern sie brauchen ja schon auch eine Veränderung der Struktur und wir müssen eben feststellen, dass die Neonaziszene sehr hochgegangen ist, der Organisationsgrad ist gestiegen und mit den angekündigten Wahlbündnissen von DVU, Republikanern mit der NPD kommt noch einmal ein ganz anderer Organisationsgrad auch zum Tragen. Das ist der Grund, weshalb wir jetzt gesagt haben, wir verschärfen auch das Strafrecht.

    Liminski: Kommt das Gesetz denn noch rechtzeitig vor dem Achten?

    Zypries: Ja, wir werden das diese Woche jetzt einbringen in die Fraktionen des Deutschen Bundestages bei SPD und Grünen und das wird in den Fraktionen beraten werden. Wenn alle Beteiligten mitziehen, so wie sie es angekündigt haben, dann sehe ich da drin kein Problem.

    Liminski: Frau Zypries, Sie sprechen von gesellschaftlichen Veränderungen, von einer wachsenden Struktur der Neonazis. Befassen wir uns nicht zu viel mit den Rechtsradikalen? Die öffentliche Diskussion birgt ja die Gefahr, dass die Radikalen dadurch aufgewertet werden oder dass man sogar Protestwähler auf diese Möglichkeit aufmerksam macht und das ist so kurz vor Wahlen doch irgendwie auch kontraproduktiv?

    Zypries: Das ist richtig. Es ist zugleich aber auch falsch. Ich glaube schon, dass es richtig ist, dass man die Neonazis sehr stark beobachtet, dass man sich vor allen Dingen auch politisch mit ihnen auseinandersetzt. Deswegen wollte ich gerade sagen, es ist eben nicht so, dass rechtliche Maßnahmen eine politische Auseinandersetzung entbehrlich machen. Sondern rechtliche Maßnahmen können immer nur ein Beitrag sein im Kampf gegen Antisemitismus und Rassenhass. Gleichzeitig sollte man auch von Seiten der Medien die gebotene Zurückhaltung üben. Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Es wäre besser, die Neonazis nicht durch eine breite Berichterstattung auch noch weiter aufzuwerten.

    Liminski: Trotzdem, lassen Sie uns ein bisschen weiter drüber reden. Fürchten Sie denn, dass die NPD in Schleswig-Holstein die Fünf-Prozent-Hürde nimmt?

    Zypries: Das glaube ich nicht, nein. Wenngleich wir ja auch wissen, dass diese Prognosen ja auch immer sehr schwierig sind, weil viele Menschen sich nicht im Vorfeld dazu bekennen, dass sie NPD wählen werden.

    Liminski: Verbot einer Partei und Einschränkung der Versammlungsfreiheit, das sind ja repressive Maßnahmen, man kann das natürlich auch als Schutzmaßnahmen bewerten. Aber kann man damit die Jugend für einen solidarischen Staat gewinnen? Es ist ja auffallend, wie viele Jugendliche der NPD auf den Leim gehen. Auch der Bundeskanzler meint, dass die Parteien im vorpolitischen Raum versagt haben.

    Zypries: Ich glaube, es ist auch beides wiederum richtig. Die Verschärfung des Strafrechts ist meines Erachtens auch ein Signal vor allem auch gerade an junge Menschen, weil das Strafrecht eben in unserem Staat ganz klar definiert, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist. Das zeigt schon das Spektrum des Verhaltens. Auf der anderen Seite weiß die Bundesregierung natürlich auch, dass es mit Strafrecht alleine nicht getan ist. Wir müssen mehr im Vorfeld tun. Wir haben in der letzten Legislaturperiode das Bündnis für Demokratie und Toleranz gegründet, mit dem wir jedes Jahr gerade Jugendorganisationen auszeichnen, die sich für ein solidarisches Miteinander in den verschiedensten Ebenen engagieren. Solche Projekte, von denen es ja viele gibt, auch die Aktion, "Gesicht zeigen" aus der letzten Legislaturperiode, macht, glaube ich, deutlich, dass man auch das Thema politisch besetzt und auch die politische Auseinandersetzung sucht.

    Liminski: Also, stärker Flagge zeigen. Bedeutet das auch, dass man wieder mehr Geld in diesen vorpolitischen Raum investieren muss? Bei der Jugendarbeit zum Beispiel.

    Zypries: Ja, das wäre schön, wenn die Länder diesem Auftrag auch nachkämen. Wir machen es von Bundesseite über die Bundeszentrale für politische Bildung, über diese Aktion, die ich eben nannte und andere. Aber da müssen natürlich auch die Länder und müssen auch die Kommunen mitarbeiten.

    Liminski: Toleranz allein ist ja kein Ziel sondern das Ergebnis eines Denkens, sie haben das eben genannt. Wo muss man denn anfangen? Welche Werte sind wieder zu lehren? Welche sind die wichtigsten? Würde es reichen, das Grundgesetz wieder ernst zu nehmen?

    Zypries: Ich würde mal sagen, dass das Grundgesetz schon noch ernst genommen wird, aber dass eben viele Menschen einfache Lösungen lieben und einfache Lösungen sind leicht autoritäre Lösungen. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Demokratie ein mühsames Geschäft ist und in jeder Generation wieder neu erlernt werden muss. Die friedliche Auseinandersetzung über Themen, das Reden über Probleme und die Herausbildung von Mehrheitsentscheidungen und auch die Fähigkeit der Minderheit, zu akzeptieren, dass eine Mehrheitsentscheidung anders aussieht als sie sich das vorgestellt haben. Das ist ja alles was, was man einüben kann. Was wir in den verschiedensten Strukturen, in Schulen, in Universitäten, in der Berufsausbildung auch einüben. Das, glaube ich, muss noch mal wieder deutlicher gemacht werden.

    Liminski: NPD-Verbot, Novelle zum Versammlungsrecht, Wertevermittlung. Das war die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.