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Verschwundene 9/11-Opfer
Ausgelöscht und verdampft

Auch zum 15. Jahrestag des Terroranschlags auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York fehlt von mehr als 1.000 Opfern noch immer jede Spur. Ihre Angehörigen hoffen und warten weiter, doch der letzte positive DNA-Abgleich ist mehr als ein Jahr her.

Von Georg Schwarte | 11.09.2016
    Eine Wand mit blauen Kacheln und dem Spruch "No day shall erase" erinnert im Nine-Eleven-Museum in New York an die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001.
    Eine Wand mit blauen Kacheln erinnert im Nine-Eleven-Museum in New York an die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001. (afp / Susan Watts)
    Ein Abschiedskuss am Morgen. Wie jeden Morgen. Dass es ein Abschied für immer würde, wusste Lisa Lucket damals an jenem blauen Septembermorgen nicht. Der 40-jährige Edward, Vater ihrer drei Kinder, verdampft in den Türmen, die einmal die Twin Towers waren. Vor 15 Jahren. "Es fühlt sich nach 15 Jahren, nach fünf Minuten, nach 100 Jahren an. Es ist so viel passiert. Wir haben so viel seitdem durchgemacht", sagt Lisa Lucket im amerikanischen Fernsehen.
    Letzter positiver DNA-Abgleich aus dem März 2015
    Bis heute gibt es nichts, was übrig blieb von ihrem Mann. 2.753 Menschen starben damals in und um die Türme. Von 1.113 Opfern fehlt bis heute jede Spur. Ausgelöscht. Verschwunden. Aber Barbara Sampson, New Yorks Chefpathologin, sucht weiter Tag für Tag, Jahr um Jahr nach Spuren in der Asche von Ground Zero. Nach DNA, nach Resten, die sie und ihr Team einem Menschen zuordnen wollen: "Das ist eine persönliche Mission. Wir waren hier, haben die Türme einstürzen sehen, die Menschen rannten an unserem Büro auf der First Avenue vorbei. Wir kennen die Opferfamilien."
    1.113 Opfer ohne Überreste. Der letzte positive DNA-Abgleich stammt aus dem März 2015: Der 26-jährige Matthew David Yarnell aus New Jersey. Seine Angehörigen haben jetzt ein Grab, einen Ort der Trauer. Monica Iken Murphy hat ihn nicht. Auch deshalb hatte sie damals mitgeholfen, den Memorial Park am Ground Zero zu gründen. Der Park am Ground Zero - für sie Friedhof, Ruhestätte und Ort der Begegnung mit ihrem ausgelöschten Mann. "Ich hab' jetzt diesen Ort, an dem ich mit ihm sein kann, bei dem ich weiß, hier war er. Hier fühle ich ihn."
    3.500 persönliche Gegenstände lagern noch im New Yorker Polizeiarchiv
    Andere Familien stehen vor Grabsteinen ohne Gräber. Wieder andere kommen ins 9/11-Museum. Dort gibt es die Blue Wall, eine blaue Mauer. Die Besucher sehen nur die eine Seite, auf der geschrieben steht: "Kein Tag soll dich aus der Erinnerung der Zeit tilgen." Angehörige von nicht identifizierten Opfern aber dürfen hinter die blaue Kachelwand. Dort liegen 8.000 Säckchen mit Asche vom Ground Zero. Überreste, in denen bis heute menschliche DNA steckt, nicht identifiziert bisher. Dieser Raum mit 8.000 Säckchen Asche - auch er ein Friedhof.
    Lisa Lucket, die sich damals ohne Wiedersehen am Morgen von ihrem Mann verabschiedete, hat ihren Frieden mit und in der Asche gefunden. Auch hier unten, hinter der blauen Mauer: "Asche zu Asche. Wir werden alle Asche werden einmal. Dieser Gedanke, loslassen zu müssen, mir hat er geholfen." Anderen nicht. Sie suchen weiter, hoffen auf Spuren, einen Ehering, eine Uhr, eine Halskette. 3.500 persönliche Gegenstände aus den Trümmern liegen bis heute im New Yorker Polizeiarchiv. Das letzte Stück Erinnerung, das sie einer Opferfamilie geben konnten - es war ein Ehering eines im Südturm verdampften Menschen. Drei Jahre ist das jetzt her. 1.113 Opferfamilien aber warten weiter.