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"Versetzung gefährdet"

Energiewende, Griechen-Rettung und jetzt ein Kommunikations-GAU bei der geplanten Panzerlieferung an Saudi-Arabien: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat ein anstrengendes Jahr hinter sich. Susanne Höll, Hauptstadt-Korrespondentin der "Süddeutschen Zeitung", blickt zurück.

Susanne Höll im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Den Ausstieg tragen sie mit, aber bei der anschließenden Wende ruckelt es noch. Der Bundesrat will in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause den Weg frei machen für den Atomausstieg. Die eine oder andere kritische Anmerkung haben die Länder allerdings bei den Gesetzen, mit denen die schwarz-gelbe Koalition die Energiewende einleiten will. Einige der Gesetze könnten im Vermittlungsausschuss landen. Noch wird beraten. Diese Beratungen sollen einen Schlusspunkt setzen hinter eines der großen Projekte der schwarz-gelben Regierung, das in den vergangenen Wochen, salopp gesagt, im Schweinsgalopp umgesetzt wurde. Die sich nahtlos anschließende Sommerpause wollen wir jetzt zum Anlass nehmen, um einmal kurz inne zu halten und Bilanz zu ziehen: Halbzeit der schwarz-gelben Koalition. Am Telefon begrüße ich dazu Susanne Höll, sie ist Hauptstadt-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung. Einen schönen guten Tag, Frau Höll!

    Susanne Höll: Einen schönen guten Tag aus Berlin.

    Raith: Wie würden Sie denn heute die Stimmung am letzten Tag vor der Sommerpause beschreiben? Ist man froh und seufzt man, dass jetzt endlich Ferien sind?

    Höll: Ja! Also mit wem man auch immer spricht, ob Regierung oder Opposition, es war ein sehr anstrengendes, für alle Beteiligten ein sehr anstrengendes politisches halbes Jahr mit großen Herausforderungen. Alle sind froh, dass nach einem relativ bewegten Freitag jetzt die parlamentarischen Sommerferien beginnen. Für vier bis sechs Wochen, je nachdem, wird jetzt etwas größere Ruhe zumindest in die Hauptstadt einziehen. Die Politiker, die Abgeordneten, die Minister, auch die Kanzlerin fahren in Urlaub und jeder, mit dem man spricht, sagt: Es ist gut, wir müssen raus, wir brauchen jetzt ein bisschen Erholung.

    Raith: Anstrengend also für alle Beteiligten. Wenn Sie zurückblicken, welcher Eindruck bleibt denn von den vergangenen Monaten bei Ihnen am meisten haften?

    Höll: Nun ja, die Regierung hatte schon zu Beginn, die schwarz-gelbe Regierung, einen schlechten Start. Besser ist es nicht geworden. Wir erinnern uns in dieser Zeit: wir hatten das Aus für die Atomkraft, das wir beschlossen haben, das die Regierung beschlossen hat, vier Monate nachdem sie es gerade verlängert hatte, wir haben eine neue Diskussion über Steuersenkungen, ein Thema, von dem man glaubte, dass es fast beendet wäre für diese Legislatur, wir stehen als Land und als Europa vor schwierigen Herausforderungen in der Währungs- und in der Finanzpolitik, Griechenland, die Bedeutung, die diese Krise in Griechenland für ganz Europa hat, das ist uns in den letzten Wochen und Monaten deutlich geworden. Es waren wie gesagt sehr anspruchsvolle Monate.

    Raith: Von außen betrachtet, dennoch, Frau Höll, sind das ja enorme Schritte, selbst wenn es ein Hin und Her gab, der Atomausstieg, die Energiewende, die Abschaffung der Wehrpflicht, und wirtschaftspolitisch und was den Arbeitsmarkt betrifft steht Deutschland eigentlich ganz gut da. Das hat sogar heute die Opposition eingeräumt. Honorieren wir das zu wenig?

    Höll: Ich denke auch, dass gerade der Arbeitsmarkt und die Wirtschaftspolitik gut funktionieren. Den Anteil, den die schwarz-gelbe Bundesregierung daran hat, würde ich persönlich allerdings geringer einschätzen. Deutschland ist viel besser als andere Länder, europäische Länder, durch die Finanzkrise vor zwei Jahren gekommen. Das war und wird bleiben ein Verdienst der damaligen Großen Koalition. Man sieht, auf anderen Gebieten sind es ja Notreaktionen gewesen. Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernkraft war eine Folge des Reaktor-GAUs von Fukushima. Es widersprach diametral dem, was Schwarz-Gelb noch am Jahreswechsel beschlossen hat.

    Raith: Ihr Eindruck scheint sich auch in den aktuellen Umfragen niederzuschlagen. Die CDU oder die Union ist auf einem Jahrestief. Was glauben Sie, woher rührt diese Unzufriedenheit mit diesem Allgemeinbild, was Sie schildern, oder gibt es da auch spezielle Entscheidungen, an denen sich das festmachen lässt?

    Höll: Ich glaube nicht, dass es dieser schwarz-gelben Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel gelingen wird, den Menschen glauben zu machen diese Entscheidung zur De-facto-Abschaffung der Wehrpflicht, zum Ausstieg aus der Kernenergie. Jetzt haben wir noch das Thema Panzer-Lieferungen an Saudi-Arabien, ein Kommunikations-GAU für die Bundesregierung, weil kein Mensch im Land versteht, was es eigentlich für Gründe für ein solches Geschäft mit großer Tragweite geben kann. Die Menschen verstehen die Politik nicht, sie können sie nicht nachvollziehen, weil die Regierung in vielen Fällen das Gegenteil dessen macht, was sie selbst lang verkündet hat. Das nehmen die Leute übel und, wie ich finde, zurecht.

    Raith: Besonders schlechte Noten bekommt im Deutschland-Trend die Kanzlerin, Sie haben Frau Merkel eben auch angesprochen. Bekommt sie diese schlechten Noten persönlich zurecht?

    Höll: Sie ist ja lange - das war ja ein Phänomen -, Angela Merkel ist lange verschont worden von dem Verdruss, der sich seit Beginn der schwarz-gelben Koalition in der deutschen Bevölkerung aufgebaut hat. Und jetzt zum ersten Mal mindert es auch deutlich die Popularitätswerte der Kanzlerin. Ihre persönlich ja nicht unsympathische Art, im Gegenteil sehr sympathische Art - sie ist ja sehr zurückhaltend, sie ist bodenständig, sie macht nicht sehr viel Aufhebens -, das hat ihr in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder geholfen. Dieser Vorschuss-Bonus sozusagen, der scheint langsam weg zu sein.

    Raith: Würden Sie denn so weit gehen wie Grünen-Chef Trittin, der da sagt, das Hauptproblem dieser Regierung sitzt im Kanzleramt und heißt Angela Merkel?

    Höll: Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt in dieser Koalition noch sehr viele andere Problemfälle. Aber richtig ist auch, die Probleme werden letztendlich dem Kanzler oder der Kanzlerin angelastet, und wie diese Koalition arbeitet, eine sehr schwache, eine sehr nervöse FDP, die auch noch keinen klaren Kurs nach ihrem Führungswechsel wieder gefunden hat, das landet jetzt im Kanzleramt, so wie es beim Unternehmenschef landet, wenn ein Unternehmen Probleme hat und die Kunden verärgert.

    Raith: Sie haben die FDP angesprochen, die konnte sich ja überhaupt nicht berappeln, auch nicht nach dem neuen Parteichef. Wie erklären Sie sich das?

    Höll: Der FDP sind die Themen verloren gegangen. Für die FDP war natürlich auch die Energiewende, das Aus aus der Atomkraft ein schweres Problem. Und sie kann sich ganz offenkundig nicht von diesem Wahn verabschieden, unbedingt die Steuern senken zu müssen. Wenn es nach den Plänen der FDP gehen sollte, wird der deutsche Steuerzahler allenfalls einen kleinen Inflationsausgleich sozusagen zurück bekommen. Die FDP enttäuscht, sie ist fahl und sie hat keine neuen Ideen, mit denen sie ihren eigenen Anhängern wieder Lust auf Politik machen kann.

    Raith: Wird sie das Thema Steuern über den Sommer mitziehen sozusagen, um es als eines der großen Themen nach der Sommerpause dastehen zu lassen?

    Höll: Im Moment versuchen alle Seiten in der Regierung, für einen ruhigen Sommer zu suchen, zu sorgen, und keine neuen Streitigkeiten, aber natürlich wird der eine oder andere fordern, dies und jenes zu tun. Entscheidungen sollen ja erst im Herbst fallen. Wir werden alle darüber diskutieren, ob es denn wirklich Sinn macht, in einer Zeit, wo die europäischen Staaten hohe Schulden haben - auch Deutschland hat hohe Schulden -, wo wir alle am Beispiel Griechenlands erleben, wie wichtig es ist, die Schulden abzubauen, wo wir Geld brauchen für Bildung, für die Energiewende, über die Sie ja auch gerade berichtet haben, ob es dann tatsächlich Sinn macht, eine kleine Steuererleichterung durchzusetzen, einfach nur deshalb, weil die Bundesregierung glaubt, sie müsse sich bei den Bürgern wieder lieb Kind machen.

    Raith: Frau Höll, kurz zum Schluss. Sie haben es am Anfang gehört: Volker Bouffier, Hessens Ministerpräsident, hat der Regierung ein Befriedigend gegeben, eine drei. Zu welchem Schluss würden Sie kommen?

    Höll: Wenn die eigenen Leute die Note drei, Befriedigend vergeben, kann man davon ausgehen, dass man aus etwas objektiverer oder weniger freundlicher Sicht sagen würde: Versetzung gefährdet.

    Raith: Das politische Berlin geht in die Sommerpause. Rück- und Einblicke waren das von Susanne Höll, sie ist Hauptstadt-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung. Besten Dank für das Gespräch!

    Höll: Gerne!

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.