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Verstrahlung von Lebensmitteln "noch nicht wirklich gefährlich"

Am ehesten hält Heyo Eckel japanische Kinder und Jugendliche von der Aufnahme radioaktiven Jods in Lebensmitteln für gefährdet. Die Werte seien noch im Grenzbereich, könnten aber steigen - wenn es regnet.

Heyo Eckel im Gespräch mit Dirk Müller | 24.03.2011
    Dirk Müller: Die Atomkatastrophe von Fukushima belastet immer stärker auch die Bevölkerung in der Millionen-Metropole Tokio. Die Behörden warnen, das Trinkwasser ist mit immer höheren Strahlenwerten belastet. Demnach sollen Kinder kein Leitungswasser mehr trinken. Auch für Baby-Nahrung ist das Wasser aus dem Hahn jetzt Tabu. Erhöhte Strahlungswerte zudem in elf Gemüsesorten sowie Milch und Wasser in der Region um das Kraftwerk wurden festgestellt, aber nicht nur in Japan. Weltweit wächst die Sorge vor radioaktiven Strahlen und verseuchten Lebensmitteln.
    Die radioaktive Strahlung in Japan und die Folgen, darüber sprechen wir nun mit dem Göttinger Radiologen Professor Heyo Eckel, der zugleich seit Jahren in der Tschernobyl-Hilfe engagiert ist. Guten Morgen!

    Heyo Eckel: Guten Morgen.

    Müller: Herr Eckel, sind alle Sorgen und Panikkäufe berechtigt?

    Eckel: Sie meinen in Deutschland?

    Müller: Nein, in Japan.

    Eckel: In Japan. – Nun ja, ich meine, nicht. Von den gegebenen Werten her sind die eigentlich nicht berechtigt. Dennoch kann ich das sehr gut verstehen, dass die Menschen große Angst haben, denn die Werte, die jetzt auch angegeben werden für Wasser in Tokio, sind zwar nicht bedenklich von unserem jetzigen Wissen über Werte, aber wenn dann schon gewarnt wird, dass Babys das Wasser nicht mehr haben dürfen, oder für Baby-Nahrung nicht mehr, dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Menschen sehr ängstlich sind. Ich meine, dass das momentan noch nicht wirklich gefährlich ist.

    Müller: Reden wir einmal über die Werte, die wir kennen. Der Wert von 210 Becquerel ist doppelt so hoch wie für Kleinkinder erlaubt. Das ist die Information, die wir aus Japan bekommen haben.

    Eckel: Ja.

    Müller: Ist das ein bedenklicher Wert?

    Eckel: Na ja, das ist, das muss man schon sagen, ein Grenzwert. Das ist also ein Wert, wo man auf alle Fälle aufpassen würde und wo man die Leute warnen würde. Wirklich gefährlich sind die nach unserem Wissen noch nicht.

    Müller: Gehen Sie davon aus, Herr Eckel, dass diese Werte zunehmen werden in den kommenden Tagen?

    Eckel: Es kommt sicherlich auf die Windrichtung an und darauf, ob es regnet. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Werte steigen, ja.

    Müller: Ist Regen gut?

    Eckel: Regen ist deshalb nicht gut – das wissen wir von der Tschernobyl-Katastrophe -, als dann es zu einer unregelmäßigen Verteilung der Radioaktivität in den bis dato unbelasteten Gebieten kommt. Das heißt also, die Strahlung, die Radioaktivität, die radioaktiven Partikel werden abregnen, und das ist in dem Moment eigentlich nicht gut, während, wenn es nicht regnet und der Wind zum Beispiel zum Meer hin geht, es günstiger wäre.

    Müller: Wir reden ja über strahlendes Jod, wenn wir das richtig verstanden haben.

    Eckel: Ja.

    Müller: Was löst das im Körper aus?

    Eckel: Das strahlende Jod ist besonders gefährlich für Kinder, auch das wieder Erfahrungen aus Tschernobyl. Wenn Kinder nicht schnell genug (auch Erwachsene natürlich nicht schnell genug) mit Jod behandelt werden, mit einer bestimmten Dosis Jod, die dann die Schilddrüse in ihrer Aufnahmefunktion blockiert, dann kann das zu schwerwiegenden Folgen führen, wir wissen das aus Tschernobyl, dass es dann zu Krebs der Schilddrüse kommt, bei Kindern und kleinen Kindern und größeren Kindern und Jugendlichen sehr viel schneller als bei Erwachsenen, denn der Stoffwechsel-Umsatz sozusagen in der Schilddrüse bei jungen Menschen ist sehr viel höher als bei uns Erwachsenen.

    Müller: Schauen wir einmal auf die geografische Dimension, Herr Eckel. Fukushima liegt ungefähr 240, 250 Kilometer von Tokio entfernt.

    Eckel: Ja.

    Müller: Ist das eine "sichere" Entfernung?

    Eckel: Bis jetzt scheint es eine zu sein, die nicht bedenklich ist, aber so weit ist die Entfernung nicht, und das wissen wir aus Tschernobyl, dass die Russen schon damals an der Westgrenze der damaligen Sowjetunion, also die Gegend um Brienz, Wolken haben abschießen lassen, weil sie Angst hatten, dass die Wolken Moskau erreichen würden. Das heißt, das ist im Prinzip überhaupt keine große Entfernung.

    Müller: Die Europäische Kommission in Brüssel sowie auch die entsprechenden Regierungen in den Hauptstädten in Europa sagen, für uns gibt es gar kein Problem aufgrund der Folgen von Japan. Hören wir einmal rein, was der damalige Bundesinnenminister, Friedrich Zimmermann, gesagt hat, 1986, also kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren.

    O-Ton Friedrich Zimmermann: Eine Gefährdung besteht nur in einem Umkreis von 30 bis 50 Kilometer um den Reaktor herum. Dort ist sie hoch. Wir messen durch unsere Stationen und die Länder unaufhörlich, bei uns gibt es überhaupt keine erkennbare Erhöhung der Radioaktivität bis jetzt.

    Müller: Der damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann vor 25 Jahren, nach der Katastrophe von Tschernobyl. Das hat sich anders entwickelt. Hat er sich geirrt?

    Eckel: Nein. Ich glaube, er hat sich geirrt in Bezug auf Weißrussland und die Ukraine. Da hat er sich geirrt. Denn wir erleben ja gerade in Weißrussland, wo man das gut sehen kann und auch sehr gut gemessen hat, dass es eben zu Punkten, Brennpunkten, wenn man Hotspot mal so übersetzen will, von Radioaktivität in einer sehr unterschiedlichen, schwierig zu messenden Verteilung. Wir haben in Gebieten, die eigentlich nur gering, oder gar nicht belastet sind, doch immer wieder Gebiete, die höher belastet sind. Das macht auch den Anbau von Gemüse, von Lebensmitteln und so weiter so außerordentlich schwierig, und das könnte Japan natürlich auch drohen. Nur bis jetzt scheint die Wetterlage da günstiger zu sein, als es damals in Tschernobyl war, wo es heftig geregnet hat und vor allen Dingen die Windrichtungen außerordentlich schnell gewechselt haben.

    Müller: Aber höhere Strahlenwerte sind damals ja auch in Westeuropa gemessen worden?

    Eckel: Ja, ganz richtig. Sie sind in Bayern gemessen worden, sind in Baden-Württemberg gemessen worden, sie sind in Skandinavien gemessen worden. Es sind große genetische Untersuchungen gemacht worden in Deutschland, aber auch in Skandinavien. Bis jetzt ist nicht bewiesen, dass da aufgrund dieser Strahlung es zu genetischen Schäden gekommen ist. Also das muss man sagen. Und auch die Rate der Krebse ist in unserem Bereich nicht gestiegen, jedenfalls nicht statistisch messbar.

    Müller: Wenn ich Sie, Herr Eckel, richtig verstanden habe, dann lohnt es sich kaum, in Deutschland die Messstationen anzuwerfen?

    Eckel: Na das würde ich nicht sagen. Wissen Sie, die Röntgen-Verordnungen, die Strahlenschutz-Verordnungen sind ja darauf bedacht, auf eine außerordentliche Sicherheit zu gehen, was ich als Radiologe auch unbedingt befürworte, und deshalb würde ich schon empfehlen, dass man die Messplätze beziehungsweise die Messstationen anwirft, denn es ist ja auch gesagt worden, wir haben momentan überhaupt nichts zu befürchten, wir haben keine messbare Erhöhung der Radioaktivität feststellen können. Dennoch würde ich sagen, auch gerade weil bei uns in Deutschland eine sehr erhebliche Sensibilität besteht, ich würde das auf alle Fälle tun. Das Bundesamt hat sich ja wohl auch zumindest partiell dafür entschieden.

    Müller: Blicken wir noch einmal auf Fukushima, blicken wir auf die Rettungskräfte. Wie gefährdet sind diese?

    Eckel: Na ja, also da sehe ich schon eine gewisse Gefahr. In Deutschland ist ja die Norm, die internationale Norm, dass man in fünf Jahren, zum Beispiel beruflich exponiert Radiologen, Personal, dürfen in fünf Jahren nur 100 Millisievert haben. Und wenn sie mehr haben, werden sie aus dem Verkehr gezogen, wenn ich das so sagen darf. Das Personal in Fukushima, da hat die Einsatzleitung den Strahlenwert erhöht auf 250 Millisievert. Das ist immer noch in dem Sinne nun kein wirklich gefährlicher Wert, aber das darf man nun nicht unendlich nach oben schieben. Die Rettungskräfte in Tschernobyl haben 6.000 Millisievert erhalten und sind einen Monat später gestorben. Also da sehen Sie die Dimension. Noch ist das nicht wirklich gefährlich, aber höher als 250 Millisievert würde ich niemals Leute aussetzen, die dort arbeiten.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Göttinger Radiologe Professor Heyo Eckel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Eckel: Bitte sehr!

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