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Vertagen der 35-Stunden-Woche auf 2010

Remme: Trotz der Proteste gegen die Proteste will die IG Metall ihre Bemühungen um eine 35-Stunden-Woche im Osten Deutschlands fortsetzen. Auch heute sind wieder Arbeitnehmer aufgerufen. 11.000 sind es insgesamt in 16 Betrieben. Die wirtschaftlichen Auswirkungen machen sich allmählich bemerkbar und die IG Metall, sie wird im Ton rauer. Er soll sich raushalten, so war der Vorwurf gestern gegen den sächsischen Wirtschaftsminister Martin Gillo zu hören. Er betreibe offen das Geschäft der Arbeitgeber, so Hasso Düvel von der IG Metall. Herr Gillo ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Gillo: Einen schönen guten Morgen, Herr Remme!

    Remme: Herr Gillo, was sagen Sie zu dem Vorwurf?

    Gillo: Gut, das ist seine Perspektive. Er hat natürlich das Recht zu seiner Meinung. Wir können nicht tatenlos daneben stehen, wenn sich hier die IG Metall vom Aufbau Ost verabschiedet. Die 35-Stunden-Woche-Initiative ist eine Form der Zwangsbeglückung, die wir in Sachsen nicht brauchen. Wir haben Milliarden investiert, um etwa 400.000 Arbeitsplätze zu halten, beziehungsweise neu zu schaffen. Wir brauchen den Standortvorteil der 38-Stunden-Woche, weil die Firmen uns sonst in Sachsen, in den neuen Ländern keine Chancen geben, sondern gleich weiter denken, das heißt nach Tschechien und Polen.

    Remme: Wenn Sie jetzt sagen: Jawohl, die IG Metall gefährdet den Aufbau Ost, will sich davon verabschieden. Das ist eine Parteinahme, oder?

    Gillo: Das ist die Parteinahme für die sächsische Wirtschaft und für die Arbeitsplätze hier. Eine relative Erhöhung der Lohnkosten führt unweigerlich zu einer Zerstörung von Arbeitsplätzen. Das ist keine Behauptung, die sich der Wirtschaftsminister hier ausdenkt. Das sind Analysen, die über Jahrzehnte gefahren worden sind, auch im Westen Deutschlands. Das steht einfach dahinter. Wissen Sie, wir sind erst die Hälfte der Wegstrecke unserer Wirtschaftsentwicklung in den neuen Ländern gegangen. Wir brauchen weiterhin den Aufbau Ost, wir brauchen weiterhin Ansiedlungen. Wissen Sie, das BMW-Werk in Leipzig, da waren wir in Konkurrenz mit der tschechischen Republik. Und die Firma BMW hat sich dankenswerter Weise für den Freistaat entschlossen.

    Remme: Aber gerade von diesen großen Fabriken hören wir, gerade was die Produktivität und die Leistungseffizienz angeht, dass sie denen im Westen gleich oder gar überlegen sind.

    Gillo: Sie müssen das ganze System sehen. Der Lohnkostenanteil in den großen Werken ist relativ gering. Schauen Sie sich die Zulieferer an, bei denen die Kosten für Lohn einen ganz, ganz wesentlichen Teil der Gesamtkosten abgeben. Und die können sich das nicht leisten.

    Remme: Nun sagt aber die IG Metall, dass es der sächsischen Metall- und Elektroindustrie insgesamt besser geht als den anderen Wirtschaftszweigen des Freistaates, und begründen so ihre Forderungen. Unberechtigt?

    Gillo: Wir brauchen weiterhin Motoren der Produktivität, wir brauchen Motoren des Aufbaus des Wirtschaftswachstums. Seit 1996 haben wir nicht mehr aufgeholt zum Westen. Wenn wir tatsächlich bis 2019 auf Westniveau sein wollen, das ist ja der Solidarpakt II, dann müssen wir pro Jahr 2,5 Prozent schneller wachsen als der Westen. Das haben wir seit 1996 nicht mehr erreicht. Wir brauchen Standortvorteile. Wir brauchen Anreize für Firmen, hierher zu kommen. Wir unterhalten uns gerade mit einigen Ansiedlern aus dem Ausland, die hierher kommen wollen und die jetzt verschreckt werden.

    Remme: Für wie ernst halten Sie denn die Drohungen, die gestern auch im Raum waren, dass die Konzerne jetzt schon anfangen zu überlegen Investitionen oder gar die Beschaffung von Arbeitsplätzen in Frage zu stellen?

    Gillo: Das sind ganz ernste Überlegungen, die sich eine Firma natürlich stellen muss. Die Firma BMW hat gesagt: Als es um das Werk in Leipzig ging, haben sie das anhand der 38-Stunden-Woche so gerechnet, dass möglichst viele Arbeitsplätze entstehen. Insgesamt sollen 5.000 Arbeitsplätze entstehen. Wenn die Gewerkschaft sich durchsetzt mit der 35-Stunden-Woche, heißt das natürlich, dass die ihre Berechnungen völlig neu erstellen, und das bedeutet, dass weniger Arbeitsplätze herauskommen. Das ist nach Adam Riese der Fall.

    Remme: Herr Gillo, zum Abschluss kurz Ihre Forderungen an die IG Metall!

    Gillo: Bitte, wenn es um die 35-Stunden-Woche geht, vertagen Sie das wie die IG Bergbau/Chemie/Energie auf das Jahr 2010. Die IG Bergbau/Chemie/Energie hat einen Tarifvertrag abgeschlossen für die neuen Länder, der die 40-Stunden-Woche bis 2010 vorsieht. Das ist ein Vorbild, dem auch andere Gewerkschaften folgen sollten.

    Remme: Martin Gillo war das, Sachsens Wirtschaftsminister. Herr Gillo, vielen Dank für das Gespräch.

    Gillo: Bitte!

    Link: Interview als RealAudio