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Verteidigungsminister Jung: Truppenaufstockung in Afghanistan bringt mehr Flexibilität

Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung will das deutsche Truppenkontingent in Afghanistan erhöhen. Angesichts der künftigen Herausforderungen sei eine gewisse Flexibilität notwendig. Bis zur Sommerpause solle daher Klarheit über die künftige Stärke geschaffen werden. Der Verteidigungsminister bekräftigte, Einsatzschwerpunkt bleibe aber der Norden Afghanistans.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Heute beginnt in Paris die internationale Afghanistan-Konferenz. Hier wird Zwischenbilanz der bisherigen Aufbauprogramme gezogen und es werden neue Konzepte entwickelt. Fast alles steht und fällt in diesem Zusammenhang allerdings mit der Sicherheitslage in Afghanistan. Sie ist nach wie vor instabil. Im Herbst steht die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der internationalen Schutztruppe ISAF im Bundestag an. Der Bundesverteidigungsminister von der CDU plant, die darin festgeschriebene und derzeit fast ausgeschöpfte Obergrenze eines Kontingents von 3500 deutschen Soldaten zu erhöhen. Wir haben vor der Sendung mit Franz-Josef Jung gesprochen und ihn gefragt, wie hoch er diese Obergrenze nun neu setzen will.

    Franz-Josef Jung: Zunächst will ich einmal sagen: wir haben uns vorgenommen - der Generalinspekteur und ich -, dass wir jetzt zur Sommerpause hin sehr klar auch sagen, welche Anzahl an zusätzlichen Kräften wir gegebenenfalls brauchen, denn wir wollen ab 1. Juli die schnellen Einsatzkräfte stellen, diese Quick Reaction Force. Wir wollen die Ausbildung verdreifachen. Ab 1. Januar wollen wir dort sieben Bataillone in der Ausbildung haben. Wir haben Veränderungen in Termes, wir haben Veränderungen in Kabul, so dass wir dann genauer sehen, was für das zukünftige Mandat notwendig ist, auch die Perspektive im nächsten Jahr sind Wahlen in Afghanistan. Deshalb denke ich, dass wir vor der Sommerpause sagen werden, in welcher Höhe aus unserer Sicht es notwendig ist, das neue Afghanistan-Mandat zu fixieren, wobei ich eines hinzufügen möchte. Der Rahmen bedeutet aber auch immer nur die Möglichkeit der Einsetzbarkeit. Das ist nicht identisch mit den eingesetzten Soldaten. Aber es ist richtig, dass man hier auch ein Stück mehr Flexibilität für die Zukunft ins Auge fasst.

    Engels: 3500 sind es jetzt. Wird sich die zukünftige Zahl eher bei 5000 oder bei 6000 bewegen?

    Jung: Ich möchte hier jetzt nicht spekulieren. Da bitte ich um Verständnis. Ich habe mit dem Generalinspekteur abgesprochen, dass wir uns zusammensetzen und gemeinsam über diese Frage sprechen. Dann werden wir vor der Sommerpause auch die Zahl nennen.

    Engels: Sie selbst haben von mehr Flexibilität für dieses Mandat gesprochen. Betrifft das auch den künftigen Einsatzort? Heißt: Ist mit einer möglichen Ausweitung auch möglicherweise ein weiterer Einsatz im Süden Afghanistans, der ja bis jetzt von der Bundesregierung abgelehnt wird, vorgesehen?

    Jung: Nein, das ist nicht vorgesehen. Tatsache ist: wir werden unseren Schwerpunktbereich im Norden Afghanistans haben. Aber ich will schon darauf hinweisen, dass wir natürlich auch im Rahmen dieses Mandates unseren Tornado-Einsatz haben, die Luftaufklärung, die wir für Gesamt-Afghanistan machen. 37 Prozent der Flüge werden im Süden Afghanistans durchgeführt. Wir haben verstärkt jetzt das Thema des Lufttransportes - auch hier eine entsprechende Unterstützung in dieser Region - bis zu Fernmeldekräften. Aber es bleibt dabei: Unser Schwerpunkt wird der Norden sein.

    Engels: Die Unionsfraktion steht hinter diesem Vorhaben von Ihnen, die Truppen auszuweiten. Was ist mit der SPD?

    Jung: Ich denke, dass auch die SPD-Fraktion hier mit einen solchen Weg beschließen wird. Ich bin dankbar dafür, dass wir auch über die Koalitionsfraktion hinaus - sowohl FDP als auch Grüne - eine Unterstützung hatten für das Afghanistan-Mandat, und das wird auch mein Bemühen sein für das neue Mandat, weil ich glaube, dass wir hier einen Auftrag haben: Erstens im Interesse der Sicherheit unserer Bevölkerung, zweitens aber auch im Hinblick auf eine Stabilisierung und friedliche Entwicklung in der Region. Deshalb hoffe ich, dass wir dann auch wieder eine breite Grundlage haben für das neue Mandat, wenn wir es im Oktober beschließen werden.

    Engels: Breite Grundlage ist ein gutes Stichwort. Diese breite Unterstützung haben Sie in der Bevölkerung für das Afghanistan-Mandat nicht. Dort setzt sich der Eindruck fest, seit Jahren ist man dort. Die Sicherheitslage ist seitdem eher instabiler geworden. Der Aufbau kommt nicht recht voran und nach und nach gehen immer mehr Truppen dort hin. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?

    Jung: Indem ich die Bevölkerung darauf hinweise, dass unser Engagement in Afghanistan auch etwas mit der Sicherheit unserer Bevölkerung in Deutschland zu tun hat, denn Afghanistan war das Ausbildungszentrum für den Terrorismus. Dort sind die Anschläge von New York und Washington. Und deshalb ist es auch im Interesse unserer Sicherheit, die Gefahren an der Quelle zu beseitigen, bevor sie in wesentlich größerer Dimension unser Land erreichen.

    Und ich füge auch eines hinzu: Ich finde wir sind hier mit der internationalen Gemeinschaft auf einem erfolgreichen Weg. Es sind wieder statt einer Million Kinder sieben Millionen in den Schulen. Wir haben dort Universitäten. Wir haben das Einkommen verdoppelt. Wir haben 80 Prozent der Grundversorgung der Bevölkerung. Fünf Millionen Flüchtlinge sind wieder in dieses Land zurückgekehrt. Die Menschen sagen auch nach einer Umfrage der Freien Universität Berlin, wir fühlen uns wieder sicherer in Afghanistan. Das denke ich ist auch ein Erfolg unserer Bemühungen. Und wenn man alles gemeinsam auch unserer Bevölkerung so vorträgt, spüre ich, dass auch die Zustimmung in der Bevölkerung wächst.

    Engels: Auf der anderen Seite ist die Bundeswehr seit 2001 in Afghanistan tätig. Wird das ein Einsatz für die Ewigkeit?

    Jung: Ich denke, dass wir schon eine Zielorientierung brauchen, und deshalb bin ich dankbar, dass wir auf dem Gipfel in Bukarest von Seiten der NATO hier eine Gesamtstrategie jetzt beschlossen haben, die letztlich beinhaltet, dass wir den "Compliance of Approach" umsetzen, das heißt den umfassenden Ansatz, sprich Sicherheit, aber auch ziviler Wiederaufbau und Entwicklung. Deshalb erhoffe ich mir auch jetzt von der Pariser Konferenz dort weitere Fortschritte.
    Zweitens, dass wir das Ziel haben, die afghanische Regierung in die Lage zu versetzen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Das bedeutet ausgebildete Streitkräfte. Das bedeutet ausgebildete Polizei. Das ist dann die Voraussetzung für die selbsttragende Sicherheit, die in Afghanistan erreicht werden muss.

    Engels: Heute beginnt auch der NATO-Verteidigungsrat. Wenn der angestrebte Beschluss durchgesetzt werden kann, das deutsche Kontingent auszuweiten, können Sie damit vorweisen, die Hausaufgaben gemacht zu haben und da etwas Druck aus dem Kessel nehmen - Stichwort immer wieder die Frage nach Erhöhung des Kontingents? Da können Sie auch möglicherweise künftige US-Präsidenten vorab schon glücklich stimmen?

    Jung: Dieser Druck im Kessel ist bei den NATO-Verteidigungsministern nicht vorhanden. Er ist teilweise in öffentlichen Diskussionen vorhanden, aber nicht bei den Verteidigungsministern. Die sind sehr dankbar für das Engagement, das die Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan leistet. Wir sind der drittstärkste Truppensteller. Ich habe gerade auf unser Engagement hingewiesen. Und das wird sehr, sehr anerkannt. Deshalb muss ich sagen mein Ziel ist es, dass wir in der Gesamtstrategie hier weiterkommen, dass wir noch enger verzahnen militärische Sicherheit und Wiederaufbau und hier mit der internationalen Gemeinschaft noch erfolgreicher sind. Deshalb erhoffe ich mir sowohl von dem Pariser Gipfel, aber auch jetzt von den Verteidigungsministern hier einen weiteren Schritt in die richtige Richtung.

    Engels: Ihre Prognose: Wie lange stehen deutsche Truppen in Afghanistan?

    Jung: Ich halte mich hier mit zeitlichen Prognosen zurück. Ich finde, man soll hier von einer Zielorientierung sprechen und diese Zielorientierung heißt selbsttragende Sicherheit, heißt ausgebildete Streitkräfte, heißt ausgebildete Polizei. Und hier die Bemühungen zu verstärken, dass wir auch in einer zeitlichen überschaubaren Dimension dieses Ziel erreichen, das ist mein Bemühen. Deshalb bin ich hoffnungsvoll, dass wir auch auf diesem Weg jetzt einen Schritt weiter tun können im Rahmen unserer Verteidigungsministerkonferenz.

    Engels: Franz-Josef Jung (CDU), Bundesverteidigungsminister, heute Früh im Deutschlandfunk.