Spengler: Am Telefon ist nun Klaus Bölling, Regierungssprecher unter Helmut Schmidt, heute politischer Beobachter und Publizist. Guten Morgen Herr Bölling.
Bölling: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Überzeugt Sie eigentlich die Theaterinszenierung, die wir da heute erleben werden, wenn also die Vertrauensfrage gestellt wird, aber das Misstrauen gefordert werden soll?
Bölling: Ich kann gut verstehen, dass eine ganze Menge Abgeordnete, Frauen oder Männer, Zweifel haben, was dieses Prozedere angeht. Aber wenn man gesehen hat, dass in den letzten Wochen und Monaten immer mehr Abgeordnete sich nicht mehr identifizieren mochten mit den Vorstellungen des Bundeskanzlers, nämlich mit der Vorstellung, dass das Gesetzeswerk Hartz I bis IV nur der Anfang sein könne, das hat ja auch mein alter Chef und Freund Helmut Schmidt gesagt hat - das sagen ja nicht nur die tatsächlichen oder so genannten Neoliberalen - dann wird man dem Bundeskanzler zustimmen können, dass seine Handlungsfähigkeit so begrenzt ist, dass er eine gestalterische Politik, nämlich die Fortsetzung der Reformen mit der Partei und mit vielen Abgeordneten im deutschen Bundestag gar nicht mehr fortsetzen kann. Wenn die Regierung dementiert, er habe gesagt, dass er keine Handlungsfähigkeit mehr hat, dann ist das ja eine Tatsachenfeststellung. Nach der schrecklichen Niederlage der Sozialdemokraten im größten deutschen Bundesland ist es ja so, dass nicht mal im Vermittlungsausschuss, der bei strittigen Gesetzen dann nach einem Kompromiss zu suchen hat, die Tagesordnung von den Sozialdemokraten bestimmt werden kann. Also er ist tatsächlich am Ende seiner Handlungsfähigkeit und ich bin sicher, der Bundespräsident wird das alles sehr gewissenhaft prüfen und hat sich ja in den letzten Wochen schon mit Verfassungsrechtlern besprochen. Aber wir sind ja immer noch ein Volk von Juristen, und man muss bedenken, dass die große Mehrheit der Deutschen das genau so sieht, wie der Bundeskanzler. Da gibt es eine Übereinstimmung. Ich glaube, dass die meisten von uns tatsächlich eine Wahl brauchen, um wieder neu Vertrauen in die Politik, in die Handlungsfähigkeit einer Regierung zu finden.
Spengler: Dass die rot-grüne Ära nun vielleicht doch mehr eine Episode geblieben ist, als dass es eine Epoche wurde, lag das wie seiner Zeit bei Helmut Schmidt, den Sie schon angesprochen haben, vor über 20 Jahren, nicht auch wieder an den innerparteilichen Widerständen in der SPD? Gab es da, gibt es da Parallelen?
Bölling: Ja, es gibt ganz sicher Parallelen, weil viele der Probleme, die der Bundeskanzler heute innerhalb seiner eigenen Partei hat, auch die Probleme von Helmut Schmidt gewesen sind.
Spengler: Woran liegt das denn, dass man den Eindruck hat, die SPD regiert nicht gern?
Bölling: Nein, ich glaube, das ist ein unfreundliches Klischee. Die Sozialdemokraten haben ja wesentlich durch die Leistungen von Willy Brandt und Herbert Wehner gezeigt, dass sie zum Regieren fähig sind. Es wird immer wieder von der heimlichen Sehnsucht vieler Sozialdemokraten nach der Opposition geredet, aber die Sozialdemokraten haben ja in der Geschichte der Bundesrepublik viele Male gezeigt, dass sie zum Regierung fähig sind.
Spengler: Das habe ich auch nicht gemeint, dass sie da nicht zu fähig sind, sondern was ich meinte, ist das eigene Bewusstsein dafür, was man geleistet hat. Man kann zum Beispiel den Grünen - denen hat man ja immer unterstellt, sie seinen nicht regierungsfähig - aber die stolz sind, sogar noch auf mögliche Misserfolge, von der Homo-Ehe bis zum Dosenpfand. Aber auf welche Leistungen der Regierung Schröder - von jetzt der Nichtteilnahme am Irakkrieg einmal abgesehen - sind denn die Sozialdemokraten wirklich stolz?
Bölling: Ja, es gibt selten Regierungsleistungen, auf die die Parteien, die sie zu Wege gebracht haben richtig stolz sein können. Dafür sind die Verhältnisse viel zu kompliziert. Aber ich sagte schon, die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, das ist Jahre lang gefordert worden, weil es sinnvoll ist. Die Losung "Fordern und Fördern" hört sich wie eine Phrase an, aber das ist der Kern aller Reformen, die Schröder erst begonnen hat. Aber eine ganze Reihe von Sozialdemokraten, die sich ja auch in den letzten Wochen kritisch über Schröder geäußert haben, wollen nicht einsehen, dass dieser Sozialstaat, auf dem wir ja wirklich stolz sein können, dass der nicht mehr finanzierbar ist. Und dieses Problem haben wir schon unter Helmut Schmidt vor mehr als 20 Jahren gehabt. Der damalige Bundeskanzler hat seiner Partei gesagt, wir sind jetzt an den Grenzen unserer Möglichkeiten, weiter Wohltaten zu verteilen. Wir müssen Einschnitte machen. Dann kam die FDP damals mit einem Brief von Graf Lambsdorff, in dem nun tatsächlich einige extrem neoliberale Vorschläge gemacht worden sind. Das war unerträglich für die Sozialdemokraten, aber es war damals schon so, dass das Wachstum sich verlangsamt hatte. Wir hatten unter Schmidt zuletzt über eine Million Arbeitslose. Die staatlichen Investitionsprogramme haben die Situation nicht wesentlich verändern können und deshalb ist das Problem der Sozialdemokratie, Politik und Wirtschaft zusammen zu denken.
Spengler: Herr Bölling, eine kurze Frage zum Schluss: Droht das nun wieder, eine Rückverwandlung von einer unglücklichen Regierungspartei in eine erleichterte Oppositionspartei?
Bölling: Das weiß ich nicht. Dafür sind die Probleme viel zu ernst, und wenn die Mehrheit unserer Landsleute der Meinung ist, wir wollen wählen, wir wollen schon im September wählen und wir vertrauen darauf, dass der Bundespräsident das einsieht und sich über verfassungsrechtliche Bedenken, wenn er sie hat, hinwegsetzt, dann hofft man darauf, dass die Dinge weiter gehen. Das Bedrückende ist am heutigen Tag schon, und das wird auch in der kommenden Zeit bleiben, dass die Opposition bis zur Stunde keine Alternative hat, die die Menschen, die unzufrieden sind mit der Stagnation, begeistern kann für Vorstellungen, von denen sie erwarten, dass sie im Sinne einer Reform dieser Bundesrepublik wirklich erfolgreich sind. Das muss die CDU noch beweisen.
Spengler: Danke für das Gespräch. Das war der Publizist und ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling.
Bölling: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: Überzeugt Sie eigentlich die Theaterinszenierung, die wir da heute erleben werden, wenn also die Vertrauensfrage gestellt wird, aber das Misstrauen gefordert werden soll?
Bölling: Ich kann gut verstehen, dass eine ganze Menge Abgeordnete, Frauen oder Männer, Zweifel haben, was dieses Prozedere angeht. Aber wenn man gesehen hat, dass in den letzten Wochen und Monaten immer mehr Abgeordnete sich nicht mehr identifizieren mochten mit den Vorstellungen des Bundeskanzlers, nämlich mit der Vorstellung, dass das Gesetzeswerk Hartz I bis IV nur der Anfang sein könne, das hat ja auch mein alter Chef und Freund Helmut Schmidt gesagt hat - das sagen ja nicht nur die tatsächlichen oder so genannten Neoliberalen - dann wird man dem Bundeskanzler zustimmen können, dass seine Handlungsfähigkeit so begrenzt ist, dass er eine gestalterische Politik, nämlich die Fortsetzung der Reformen mit der Partei und mit vielen Abgeordneten im deutschen Bundestag gar nicht mehr fortsetzen kann. Wenn die Regierung dementiert, er habe gesagt, dass er keine Handlungsfähigkeit mehr hat, dann ist das ja eine Tatsachenfeststellung. Nach der schrecklichen Niederlage der Sozialdemokraten im größten deutschen Bundesland ist es ja so, dass nicht mal im Vermittlungsausschuss, der bei strittigen Gesetzen dann nach einem Kompromiss zu suchen hat, die Tagesordnung von den Sozialdemokraten bestimmt werden kann. Also er ist tatsächlich am Ende seiner Handlungsfähigkeit und ich bin sicher, der Bundespräsident wird das alles sehr gewissenhaft prüfen und hat sich ja in den letzten Wochen schon mit Verfassungsrechtlern besprochen. Aber wir sind ja immer noch ein Volk von Juristen, und man muss bedenken, dass die große Mehrheit der Deutschen das genau so sieht, wie der Bundeskanzler. Da gibt es eine Übereinstimmung. Ich glaube, dass die meisten von uns tatsächlich eine Wahl brauchen, um wieder neu Vertrauen in die Politik, in die Handlungsfähigkeit einer Regierung zu finden.
Spengler: Dass die rot-grüne Ära nun vielleicht doch mehr eine Episode geblieben ist, als dass es eine Epoche wurde, lag das wie seiner Zeit bei Helmut Schmidt, den Sie schon angesprochen haben, vor über 20 Jahren, nicht auch wieder an den innerparteilichen Widerständen in der SPD? Gab es da, gibt es da Parallelen?
Bölling: Ja, es gibt ganz sicher Parallelen, weil viele der Probleme, die der Bundeskanzler heute innerhalb seiner eigenen Partei hat, auch die Probleme von Helmut Schmidt gewesen sind.
Spengler: Woran liegt das denn, dass man den Eindruck hat, die SPD regiert nicht gern?
Bölling: Nein, ich glaube, das ist ein unfreundliches Klischee. Die Sozialdemokraten haben ja wesentlich durch die Leistungen von Willy Brandt und Herbert Wehner gezeigt, dass sie zum Regieren fähig sind. Es wird immer wieder von der heimlichen Sehnsucht vieler Sozialdemokraten nach der Opposition geredet, aber die Sozialdemokraten haben ja in der Geschichte der Bundesrepublik viele Male gezeigt, dass sie zum Regierung fähig sind.
Spengler: Das habe ich auch nicht gemeint, dass sie da nicht zu fähig sind, sondern was ich meinte, ist das eigene Bewusstsein dafür, was man geleistet hat. Man kann zum Beispiel den Grünen - denen hat man ja immer unterstellt, sie seinen nicht regierungsfähig - aber die stolz sind, sogar noch auf mögliche Misserfolge, von der Homo-Ehe bis zum Dosenpfand. Aber auf welche Leistungen der Regierung Schröder - von jetzt der Nichtteilnahme am Irakkrieg einmal abgesehen - sind denn die Sozialdemokraten wirklich stolz?
Bölling: Ja, es gibt selten Regierungsleistungen, auf die die Parteien, die sie zu Wege gebracht haben richtig stolz sein können. Dafür sind die Verhältnisse viel zu kompliziert. Aber ich sagte schon, die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, das ist Jahre lang gefordert worden, weil es sinnvoll ist. Die Losung "Fordern und Fördern" hört sich wie eine Phrase an, aber das ist der Kern aller Reformen, die Schröder erst begonnen hat. Aber eine ganze Reihe von Sozialdemokraten, die sich ja auch in den letzten Wochen kritisch über Schröder geäußert haben, wollen nicht einsehen, dass dieser Sozialstaat, auf dem wir ja wirklich stolz sein können, dass der nicht mehr finanzierbar ist. Und dieses Problem haben wir schon unter Helmut Schmidt vor mehr als 20 Jahren gehabt. Der damalige Bundeskanzler hat seiner Partei gesagt, wir sind jetzt an den Grenzen unserer Möglichkeiten, weiter Wohltaten zu verteilen. Wir müssen Einschnitte machen. Dann kam die FDP damals mit einem Brief von Graf Lambsdorff, in dem nun tatsächlich einige extrem neoliberale Vorschläge gemacht worden sind. Das war unerträglich für die Sozialdemokraten, aber es war damals schon so, dass das Wachstum sich verlangsamt hatte. Wir hatten unter Schmidt zuletzt über eine Million Arbeitslose. Die staatlichen Investitionsprogramme haben die Situation nicht wesentlich verändern können und deshalb ist das Problem der Sozialdemokratie, Politik und Wirtschaft zusammen zu denken.
Spengler: Herr Bölling, eine kurze Frage zum Schluss: Droht das nun wieder, eine Rückverwandlung von einer unglücklichen Regierungspartei in eine erleichterte Oppositionspartei?
Bölling: Das weiß ich nicht. Dafür sind die Probleme viel zu ernst, und wenn die Mehrheit unserer Landsleute der Meinung ist, wir wollen wählen, wir wollen schon im September wählen und wir vertrauen darauf, dass der Bundespräsident das einsieht und sich über verfassungsrechtliche Bedenken, wenn er sie hat, hinwegsetzt, dann hofft man darauf, dass die Dinge weiter gehen. Das Bedrückende ist am heutigen Tag schon, und das wird auch in der kommenden Zeit bleiben, dass die Opposition bis zur Stunde keine Alternative hat, die die Menschen, die unzufrieden sind mit der Stagnation, begeistern kann für Vorstellungen, von denen sie erwarten, dass sie im Sinne einer Reform dieser Bundesrepublik wirklich erfolgreich sind. Das muss die CDU noch beweisen.
Spengler: Danke für das Gespräch. Das war der Publizist und ehemalige Regierungssprecher Klaus Bölling.