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Verweigerer in Italien
Mediziner und Bürgermeister revoltieren aus religiösen Gründen

Immer mehr Ärzte, Apotheker und Bürgermeister weigern sich aus religiösen Gründen, bestimmte Leistungen zu erbringen. Ärzte lehnen erlaubte Schwangerschaftsabbrüche ab. Apotheker verkaufen keine "Pille danach". Und in immer mehr Städten weigern sich Bürgermeister, das neue Gesetz zur Legalisierung homosexueller Beziehungen in die Realität umzusetzen.

Von Thomas Migge | 16.06.2016
    Demonstration in Mailand für die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaften für Schwule und Lesben.
    Auch im Fall des vor kurzem verabschiedeten Gesetzes zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften stellen sich Bürgermeister quer (picture alliance / dpa / Matteo Bazzi)
    "In meiner Region, Kampanien, sind rund 85 Prozent aller Krankenhausärzte Verweigerer. In ganz Italien gehören zirka 70 Prozent aller Ärzte zu dieser Gruppe. So eine Realität kann nicht akzeptiert werden. Die Verweigerer unter den Ärzten müssen entlassen werden".
    Die süditalienische Bloggerin Valentina Nappi zitiert Untersuchungsergebnisse, die Anfang des Jahres von veröffentlicht wurden. Es geht um die so genannten "obiettori", auf Deutsch: Verweigerer.
    Damit sind in Italien vor allem jene Mediziner gemeint, die sich aufgrund religiöser Überzeugungen weigern, bestimmte Leistungen zu erbringen - auch dann, wenn sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Wie etwa beim Schwangerschaftsabbruch, der in Italien in den ersten 90 Tagen der Schwangerschaft unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist.
    Die Partei Lega Nord fordert seit einiger Zeit ganz offen Ärzte dazu auf, in bestimmten Situationen nach ihrem religiösen Gewissen zu handeln - und damit staatliche Gesetze zu unterlaufen. Auch andere Parteien des christdemokratischen Spektrums schließen sich diesen Forderungen an. Und immer mehr Ärzte kommen dieser Aufforderung nach - in ganz Italien, und ohne dass die sozialdemokratische Regierung dem etwas entgegensetzen würde.
    Und die Zahl der Verweigerer steigt: Während im Jahr 2005 noch rund 60 Prozent aller Krankenhausärzte einen Schwangerschaftsabbruch verweigerten, waren es im vergangenen Jahr bereits 70 Prozent. Tendenz steigend.
    Auch im Fall des vor kurzem verabschiedeten Gesetzes zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, dem so genannten "Gesetz der Zivilunion", stellen sich Bürgermeister quer. Etwa Mario Agnelli. Er ist Bürgermeister von Castiglion Fiorentino, einem kleinen Ort in der Toskana. Mario Agnelli ist Sprecher all jener Bürgermeister, die dieses neue Gesetz ablehnen:
    "Ich habe nichts gegen Homosexuelle und auch nichts gegen Rechtssicherheit für solche Paare. Aber ich verteidige die Idee der wahren Familie, und die besteht aus Mann und Frau. Also müssen Mann und Frau ganz bestimmte Rechte haben. Mit geht es um die Idee der Familie nach dem Naturrecht".
    Vorsichtigen Schätzungen zufolge denkt rund ein Drittel aller italienischen Bürgermeister wie Mario Agnelli. Sie lehnen es ab, homosexuelle Paare zu trauen. Unterstützung bekommen sie dabei von der rechten Partei Lega Nord. Deren Parteichef Matteo Salvini:
    "Das Problem in Italien ist die Sicherheit - und nicht solche Rechte. Es ist ein ganz mieses Gesetz - und deshalb fordere ich alle Bürgermeister dazu auf, die Ausführung des Gesetzes zu blockieren".
    Ein Aufruf zum zivilen Ungehorsam gegen ein demokratisch beschlossenes Gesetz des Staates.
    Doch seit einiger Zeit formiert sich Protest gegen die Verweigerer. Nicht nur unter Bürgern und seitens verschiedener Parteien, sondern auch in der katholischen Bischofskonferenz. Ein Sprecher der Bischöfe erklärte, dass jeder, ob Geistlicher oder nicht, einmal beschlossene Gesetze nicht ignorieren könne.
    Giorgio Santini, sozialdemokratischer Senator, fordert sogar Strafverfahren gegen Verweigerer in Krankenhäusern, Apotheken und Rathäusern. Und er fordert eine Intervention des italienischen Staatspräsidenten.