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Verweigerungshaltung
Wenn Diskussionen gar nicht erst stattfinden

Unser Kolumnist hat sich auf Facebook in eine Debatte geworfen und musste dabei eine Niederlage hinnehmen. Nicht, weil er die schlechteren Argumente hatte, sondern weil er geblockt wurde - ein Austausch sei gar nicht erst möglich gewesen.

Von Matthias Dell | 09.09.2020
Durch Baustellenabsperrung verdecktes Luxemburg-Zitat: Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.
"Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden." Durch eine Baustellenabsperrung wird das Zitat von Rosa Luxemburg verdeckt. (imago / Jürgen Hanel )
Ich wurde "gecancelt", könnte man sagen, wenn man diesen Begriff verwenden wollte. Ich wurde ausgeschlossen aus einer Facebook-Diskussion. Es ging in der Debatte um die Umbenennung von Straßennamen, und die Stimmung in dieser Diskussion, in dieser Bubble war ziemlich einmütig. Nämlich: Die Umbenennung von rassistischen Straßennamen ist Unfug.
Rassistische Straßennamen
Weil da "Ideologie" am Werke sei, "Geschichtsvergessenheit", weil wir das alles schon mal hatten, in Deutschland sogar zweimal, wohin das führen würde, dass der Name, um den es ging, auch gar nicht rassistisch sei.
Kurz: all die rhetorischen Standardbewegungen, die seit Jahrzehnten Diskussionen um die Umbenennung von rassistischen oder kolonialen Straßennamen begleiten. Um nicht zu sagen: verhindern. Und deshalb fühlte ich mich wohl herausgefordert, entgegen meiner Gewohnheit in die Diskussion einzusteigen. Ein wichtiger Grund war auch, dass ich den Betreiber des Accounts persönlich kannte. Nicht gut, aber dafür schon eine ganze Weile.
Debattenkultur Unser Kolumnist Matthias Dell hat irgendwann angefangen, fremden Leuten ungefragt Feedback auf Texte zu schreiben - meist Journalistinnen und Journalisten. Doch diejenigen, die Sprechverbote beklagten, würden fast nie antworten. Ein Widerspruch, findet Dell.
Einfach geblockt
Also habe ich versucht, für einen genaueren Blick zu werben, habe versucht, die Hitze der Empörung etwas abzukühlen, an den Übertreibungen vorbei Verständnis für eine andere Perspektive zu vermitteln. Dass die Leute, die auf den problematischen Straßennamen hingewiesen hatten, das ja nicht aus Jux und Dollerei machten. Sondern weil es ein Problem gibt. Weil auch sie ein Recht haben, gehört und repräsentiert zu werden. Und weil es kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke ist, als Mehrheitsgesellschaft mit so einer Kritik umgehen zu können.
Das schrieb ich an einem Tag auf. Meine Posts waren ausführlich, an manchen Stellen sicher auch polemisch. Aber ich wollte die beiden Leute in der Diskussion, die ich kannte, den Account-Betreiber und einen der Hauptdiskutanten, schließlich erreichen. Als ich am nächsten Tag nachschaute, ob es Reaktionen gab auf meine Argumente, kam ich nicht mehr auf die Seite. Ich war blockiert.
Oder eben, um dieses Fass einmal aufzumachen: gecancelt. Meine Meinungsfreiheit wurde beschnitten, ich sollte mundtot gemacht werden, weil meine Argumente offenbar den kuscheligen Konsens störte in dieser Gesinnungsblase von verzärtelten Empörten. Hier brauchten Tugendwächter ihren "Safe Space", mussten ihre Diskursräume reinhalten, eine Meinung, die von ihren Gewissheiten abweicht, konnten sie nicht aushalten. Null Ambiguitätstoleranz.
Niederlage für die Streitkultur
Ich könnte jetzt noch Absätze lang so rumschimpfen – mit lauter einfach zu habenden Tapferkeitsvokabeln aus Kolumnen und Texten, in denen solche schmissigen Sätze in den letzten Jahrzehnten immer wieder in die Welt lamentiert worden sind. Und in denen die sogenannte "Cancel Culture" aktuell als größte Bedrohung der Menschheitsgeschichte gilt.
Aber mir macht das keinen Spaß. Mir macht es keinen Spaß, mich hier zum Opfer hochzuposaunen, weil ich es vor allem deprimierend fand, dass mit diesen Menschen und bei diesem Thema nicht die geringste Verständigung möglich war. Nicht, dass der Account-Betreiber meiner Meinung hätte sein müssen. Aber dass er mich blockierte ohne ein Wort, einen Hinweis – das fühlte sich wie eine Niederlage an. Nicht nur für mich, sondern für die Idee von Streit in der Sache. Oder auch nur von Austausch. Dass der nicht einmal zwischen zwei Leuten gelang, die sich kennen.
Matthias Dell
Matthias Dell, Jahrgang 1976, studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er schrieb von 2004 bis 2014 für das Medien-Watchblog "Altpapier" und veröffentlicht jeden Sonntag nach der Ausstrahlung eine Kritik zum aktuellen "Tatort" beziehungsweise "Polizeiruf" auf Zeit Online. 2012 erschien sein Buch "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte" bei Bertz+Fischer.
Austausch unerwünscht
Ich habe dem Account-Betreiber dann eine Woche später eine Mail geschrieben, um mein Bedauern über die missglückte Kommunikation zum Ausdruck zu bringen. Daraufhin gab es eine kurze Antwort, die auf mangelnde Sachlichkeit verwies. Grüße.
Um irgendeine Form von Austausch ging es auch hier nicht.