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Verzicht auf CDU-Vorsitz
Merkel leitet ihren politischen Rückzug ein

Angela Merkel will auf dem Parteitag im Dezember nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren und strebt auch keine weitere Kanzlerkandidatur an. Das teilte sie auf einer Pressekonferenz in Berlin mit. Sie zieht damit die Konsequenzen aus den schweren Verlusten der CDU bei der Landtagswahl in Hessen.

29.10.2018
    Angela Merkel steht an einem Redepult vor einer Wand mit CDU-Logos im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.
    Bundeskanzlerin Merkel ist offenbar bereit, den CDU-Vorsitz abzugeben (dpa/Kay Nietfeld)
    Merkel erklärte in Berlin, sie trage als Kanzlerin qua Amt die Verantwortung für alles. Die schweren Verluste der Unionsparteien bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hätten jedoch gezeigt, dass es so nicht weitergehen könne. Die Bundesregierung gebe ein inakzeptables Bild ab. Erfolge hätten keine Chance gehabt, überhaupt wahrgenommen zu werden.
    Deshalb habe sie das sichere Gefühl, dass es heute an der Zeit sei, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Merkel bestätigte, dass sie sich im Dezember nicht noch einmal für den Parteivorsitz der CDU bewirbt. Nach dem Ende der Legislaturperiode werde sie außerdem keine weitere Kanzlerschaft anstreben und auch nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Auch andere Ämter wolle sie nicht mehr übernehmen.
    Merkel blickt ernst. Auf blauem Hintergrund steht das Zitat: "Ich habe mir immer vorgenommen, meine Ämter in Würde zu tragen und sie eines Tages auch in Würde zu verlassen."
    Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf einer Pressekonferenz in Berlin ihren Rückzug aus der Politik eingeleitet. (dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Bislang hatte Merkel stets betont, Parteivorsitz und Kanzlerschaft könnten nicht getrennt werden. Der CDU-Parteitag findet Anfang Dezember in Hamburg statt.
    Spahn und Kramp-Karrenbauer wollen Merkel nachfolgen
    Eine Empfehlung für ihre Nachfolge an der Parteispitze gab sie nicht. Sie bestätigte aber, dass sich Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn um ihre Nachfolge an der Parteispitze bewerben wollen. Zu Berichten, wonach auch der frühere Fraktionschef Friedrich Merz CDU-Vorsitzender werden möchte, sagte sie nichts. FAZ und "Bild"-Zeitung hatten Vertraute des 62-Jährigen mit den Worten zitiert, Merz wolle sich "der Verantwortung stellen", wenn die Partei es wünsche.
    Friedrich Merz und Angela Merkel im Deutschen Bundestag, 2004
    Friedrich Merz und Angela Merkel im Deutschen Bundestag, 2004 (AP)
    Merkel hatte Merz im Jahr 2002 als Fraktionschef abgelöst. 2009 zog er sich aus der Politik zurück. Der Jurist ist derzeit Aufsichtsratschef der deutschen Tochter des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock. In den vergangenen Tagen hatte es bereits Anzeichen gegeben, wonach Merz ein Comeback sondiert. Dlf-Hauptstadtkorrespondent Stephan Detjen berichtet, in letzter Zeit habe es hinter dem Rücken der Kanzlerin Versuche gegeben, eine Bewerbung von Merz vorzubereiten.
    Zwei weitere potenzielle Nachfolger aus Nordrhein-Westfalen
    Als weiterer Merkel-Nachfolger wird der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet gehandelt. In den vergangenen Wochen hatten drei als aussichtslos geltende CDU-Mitglieder ihre Kandidatur angemeldet: der hessische Unternehmer Andreas Ritzenhoff, der Bonner Jura-Professor Matthias Herdegen sowie der Berliner Student Jan-Philipp Knoop.
    In der Dlf-Sendung "Kontrovers" sagte der Politikwissenschaftler von Lucke, vieles deute auf eine Entscheidung zwischen Kramp-Karrenbauer und Merz hin. Möglicherweise habe der konservative Flügel der CDU jetzt eine Art Putsch vorbereitet, um eine mit der Zeit immer bessere Ausgangslage für Kramp-Karrenbauer zu verhindern.
    "Zeitenwende" laut Thüringens CDU-Chef Mohring
    CSU-Chef Seehofer erklärte, er bedauere den Schritt Merkels. Die Zusammenarbeit sei trotz einiger Diskussionen immer vertrauensvoll und von gegenseitigem Respekt geprägt gewesen. Der frühere CSU-Generalsekretär Thomas Goppel sagte in München, Friedrich Merz eröffne für die CDU eine immense Perspektive und setze damit ein Signal gegen eine weitere Erosion hin zur AfD.
    Thüringens CDU-Landeschef Mike Mohring bezeichnete die Bereitschaft von Kanzlerin Merkel zum Rückzug als "Zeitenwende". Der konservative CDU-Flügel fordert nach dem Rückzug Merkels vom Parteivorsitz eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei. Der neuen Parteispitze müsse es gelingen, die Partei wieder zu einen und auch konservativen und wirtschaftsliberalen Wählern und Mitgliedern wieder eine politische Heimat zu bieten, sagte der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch. Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann sieht in Merkels Rückzug eine Chance für einen Neuanfang. Die Union stehe jetzt vor der anspruchsvollen Aufgabe, den Übergang besonnen und kraftvoll zu gestalten.
    SPD-Chefin Andrea Nahles erklärte für ihre Partei, sie sehe keinen Grund für personelle Konsequenzen auf Bundesebene. Nahles wollte die Berichte über die angebliche Entscheidung Merkels nicht kommentieren. Nahles' Parteigenosse, der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, sagte dem Sender n-tv, die Nachfolge Merkels im CDU-Vorsitz werde auch die Entscheidung der SPD beeinflussen, wie es mit der Großen Koalition weitergehe. Man wolle wissen, mit wem man es zu tun habe und ob auch dieselbe politische Ausrichtung dahinter stehe.
    Merkels Rückzug laut AfD "gute Nachricht"
    AfD-Chef Jörg Meuthen sagte in Berlin, Merkels Entscheidung zum Verzicht auf den CDU-Vorsitz sei eine gute Nachricht. Die Kanzlerin beginne, die Zeichen der Zeit zu verstehen. Die AfD habe dazu viel beigetragen. FDP-Chef Lindner meint, Kanzlerin Merkel gebe das falsche Amt ab. Durch den Verzicht auf den CDU-Vorsitz werde das "Siechtum der Großen Koalition nur verlangsamt".
    FDP-Generalsekretärin Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb auf Twitter, sie zolle Angela Merkel Respekt für ihre Entscheidung. Sie habe sich lange in den Dienst der Sache gestellt, aber in den letzten Jahren ihr politisches Gespür verloren.
    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann schrieb auf Twitter, sollte Angela Merkel tatsächlich den CDU-Vorsitz abgeben, bevor Horst Seehofer den CSU-Vorsitz abgibt, "wäre das eine an Absurdität kaum zu überbietende Entwicklung innerhalb der Union."