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Verzweifelter Appell
Reeder kritisieren EU-Flüchtlingspolitik

Der Verband Deutscher Reeder hat die Bundesregierung erneut dazu aufgerufen, die Besatzungen von Handelsschiffen bei der Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer zu unterstützen. 40.000 Menschen wurden im letzten Jahr von Handelsschiffen gerettet. Die seelische Belastung für die Seeleute sei groß.

Von Axel Schröder | 20.04.2015
    Eine von der italienischen Küstenwache veröffentlichte Aufnahme zeigt das Schiff "Gregoretti' auf der Suche nach Überlebenden der Flüchtlingskatastrophe
    1.500 Schiffbrüchige wurden allein in den letzten vier Monaten von deutschen Handelsschiffen gerettet. (picture alliance / dpa / ITALIAN COAST GUARD / HANDOUT ANSA STATES)
    Am Freitag schickte der Verband Deutscher Reeder zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit einen Brief an die Bundesregierung. Beide Mal forderte der Verband, die Besatzungen von Handelsschiffen endlich nicht mehr allein zu lassen bei der Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. 40.000 Menschen wurden im letzten Jahr von Handelsschiffen aus Seenot gerettet. Erst vor zwei Wochen rettete die 22köpfige Crew der "Santa Giorgina", unterwegs für die Hamburger Reederei Offen 420 Schiffbrüchige. Erzählt der Geschäftsführer des Verband Deutscher Reeder Ralf Nagel.
    "Da gehen die Rettungsboote raus, da werden die Rettungsinseln aufgeblasen, es werden Rettungsnetze an die Bordwand gemacht, damit man sich da festhalten kann und auch hochkrabbeln kann. Aber da viele der Menschen gar nicht schwimmen können, wissen sie, wie viele Minuten sie eigentlich nur haben, um sie noch halbwegs lebend ins Boot zu kriegen. Insofern: ja, die Seeleute sind dazu ausgebildet. Aber nicht für so eine massenhafte Rettung von verzweifelten Menschen aus Seenot."
    Ziemliche Verzweiflung
    Alle 420 Schiffbrüchigen konnte die Mannschaft der "Santa Giorgina" retten. Allerdings, so Ralf Nagel, gelingt das nicht immer:
    "Und das bedeutet, dass vor den Augen unserer Seeleute Menschen ertrinken. Frauen, Kinder. Und selbst etliche derjenigen, die man an Bord holen kann sterben dort innerhalb einer Stunde, weil sie unterkühlt sind und völlig entkräftet. Und das ist eine Situation, die glaube ich nachvollziehbar jeden von uns in eine ziemliche Verzweiflung treiben würde."
    Rückkehr zum alten Rettungsprogramm gefordert
    Einige Seeleute, die viel auf Routen im Mittelmeer unterwegs waren, hätten mittlerweile gekündigt. Die seelische Belastung hätten die Männer nicht mehr ertragen. 1.500 Schiffbrüchige wurden allein in den letzten vier Monaten von deutschen Handelsschiffen gerettet. Dass die Zahlen so rapide angestiegen sind, liegt vor allem an dem seit letztem Jahr neu ausgerichteten Rettungsprogramm der EU. Das Programm "Mare Nostrum" der italienischen Küstenwache wurde durch "Triton" abgelöst. „Triton" kostet die Mitgliedstaaten der EU drei Millionen Euro pro Monat, vorher lagen die Kosten bei 9 Millionen Euro. Allerdings entfernen sich die Schiffe der europäischen Grenzschutzagentur "Frontex" bei ihrer Suche nach Flüchtlingsschiffen jetzt nur noch maximal 30 Seemeilen von der italienischen Küste. Der Verband deutscher Reeder fordert von der Bundesregierung eine Rückkehr zum alten Rettungsprogramm:
    "Da wäre sicher etwas gewonnen! Ich bin mir aber nicht sicher, ob "Mare Nostrum" in der alten Variante ausreichen würde, um den wohl auf 100.000 Flüchtlinge anschwellenden Strom in den Griff kriegen würde. Ich glaube, da muss sogar mehr passieren als damals getan wurde mit "Mare Nostrum". Wobei ich gerne betonen will, dass Italien, die italienische Küstenwache auch in Kooperation mit uns von der Handelsschifffahrt da eine enorme Kraftanstrengung gemacht hat und nach wie vor macht. Aber den Italienern geht es ein Stück weit so uns in der Handelsschifffahrt. Das hat ein Ausmaß angenommen, dass die Italiener allein auch nicht mehr gestemmt kriegen."
    Noch keine Statements
    Der Empfänger des neuen Briefs der Reeder, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, hat sich bisher nicht zu dem Appell geäußert. Auf Anfrage teilt sein Sprecher mit: für diese Probleme sei der Bundesinnenminister zuständig. Außerdem sei eine Lösung der dramatischen Probleme in Arbeit. Spruchreife Statements gibt es noch nicht.