Kein Zweifel, dieses Land hat sich viel Zeit gelassen, überhaupt die Einsicht zu gewinnen, dass gründlich reformiert werden muss. Zahlreiche Gründe werden genannt, warum es so lange gedauert hat. Selbstgefälligkeit der Alt-68er oder - wie etwa Paul Nolte meint - die Selbstverliebtheit der Spaßgesellschaft? Ein anderes Erklärungsmodell betrachtet die verschiedenen Akteure bei Reformen, zu denen unter anderen der Bundesrat, die Bundestagsfraktionen und die Ministerpräsidenten der Länder gehören
" Wir nennen das Vetospieler - das sind Akteure, die Reformen verhindern können, die notwendigerweise also einer Reform zustimmen müssen."
Demokratie ist unter anderem der Versuch, unterschiedliche Interessen auszugleichen, Demokratie bedeutet nicht Harmonie, sondern eben auch Streit um die richtigen Entscheidungen. Vetospieler sind daher nicht nur als Reformhemmnisse zu sehen
"Ich denke, sie haben in zweierlei Hinsicht eine positive Funktion, einerseits in der Tat, wir haben ja das Prinzip der Gewaltenteilung und das gilt ja nicht nur zwischen Regierung und Parlament, sondern reicht bis in den gesellschaftlichen Bereich hin und schließt damit Verbände ein. Diese Akteure auch die Funktion, Entwicklungen, die schlecht sind, zu verhindern und ich würde sage, das zweite ist, dass diese über Vetos Prozesse angestoßen werden, die Vetos dann wieder überwinden können , also: Lernprozesse in einem politischen System."
Die Föderalismusreform war der Versuch, Reformhemmnisse zu beseitigen, den Ländern und dem Bund mehr Entscheidungsfreiheit zu geben. Prof. Fritz Scharpf vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung war Mitglied der Föderalismuskommission. Das, was am Ende dabei herausgekommen ist, betrachtet er nicht als den ganz großen Wurf:
" Das kritische Urteil bezieht sich auf die Reichweite der Ergebnisse. Die Föderalismuskommission ist angetreten , mit dem Ziel, die autonomen Handlungsmöglichkeiten der Bundespolitik und der Politik in einzelnen Ländern wesentlich zu erweitern. Was die Bundespolitik angeht, ging es darum, dass das Veto des Bundesrates bei bundespolitischen Entscheidungen zurückgedrängt werden sollte. Das ist im Prinzip nicht gelungen. Es gibt hier auch Veränderungen, aber die gehen in beide Richtungen, per saldo wird man sagen können, hat sich wenig geändert, und möglicherweise ist sogar die Blockademöglichkeit in bestimmten Bereichen erweitert worden. , so dass die Bundespolitik nicht sehr viel oder nur sehr wenig gewonnen hat. Was die Länder angeht, die haben eine relativ große Zahl an einzelnen Gesetzgebungskompetenzen übertragen bekommnen. Und so können sie nun eine ganze Zahl von Bereichen selbständig entscheiden. Ladenschluss beispielsweise, auch im Umweltschutzbereich gibt es Bereiche, bei denen die Länder künftig alleine entscheiden können."
Regionale Arbeits- und Sozialpolitik, regionale Wirtschaftspolitik - all dies wurde nicht verwirklicht Fortschritte für den Bund: Nein. Fortschritte für die Länder, ja, aber nur sehr begrenzte. Sodas Fazit von Prof. Fritz Schrimpf. Dies ist gar nicht einmal überraschend, wenn man hört, wie eine solche Kommission, die - um es zu wiederholen - den großen, blockadeabbauenden Entwurf zustande bringen soll, überhaupt arbeitet.
" In einem solchen Prozess gibt es nicht die Möglichkeit, erst einmal neue Vorschläge im Zusammenhang zu entwickeln und durch zu konstruieren und zu sehen, wo sind Vorteile, wo sind Nachteile, wie wirken sich die aus auf die eine Seite, wie auf die andere Seite aus, um nach einer Gesamtlösung zu suchen, die möglicherweise besser ist , sondern in einer solchen Struktur, wir sie hatten, wenn ein Vorschlag auf den Tisch kommt, der dem Saarland zunächst mal weh tun würde, der aber vielleicht kompensiert werden könnte durch andere Elemente, die an anderer Stelle zu diskutieren wären, und das Saarland sagt nein , dann gilt dieses Nein und wird respektiert , weil man aj am Ende die Zustimmung braucht. Insofern werden durch die unmittelbare Beteilung der letztinstanzlich Zuständigen Überlegungen frühzeitig abgeschnitten, die, wenn sie erstmal in Ruhe ausdiskutiert und komplettiert werden könnten, durchaus konsensfähig wären."
Beispiel Universitätsreform .Stichwort Bolognaprozess. Das Ziel: ein System leicht verständlicher, vergleichbarer Hochschulabschlüsse zuschaffen, die europaweit vergleichbar sind, um damit - wie es offiziell heißt - einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Wohl kaum eine Reform ist so schnell über die Bühne gegangen, hat die Betroffenen - hier also die Hochschulen - so durchgerüttelt.
" Ja, ob die Reform zügig oder weniger zügig gelaufen ist, wir hatten ja gerade das Podium, in dem gesagt wurde, die Franzosen würden das schneller machen. Das ist aber eine Reform, die aus unserer Sicht sehr schnell gelaufen ist, damit natürlich auch negative Folgeeffekte erzeugt hat, die man bei etwas intensiverer Diskussion hätte vermeiden können."
Ein etwas längeres Nachdenken und einige Vetospieler mehr wären hier vielleicht nötig gewesen, folgt man der Behauptung, dass die Reform misslungen ist. Wo bleibt bei all Reformen, die erfolgt sind oder auch nicht, bei den all den Reformen, die gelungen sind oder auch nicht, die Politikwissenschaft? In das Getümmel der alltäglichen Politik - so muss man Prof. Fritz Scharpf wohl interpretieren - sollte sich die politische Wissenschaft nicht begeben. Politikberatung sollte also nur in kleiner Dosis und bei grundsätzlichen Fragen erfolgen
" Der Anspruch der Wissenschaft ist Aufklärung und nicht Handlungsanleitung. "