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Victor-Vasarely-Ausstellung
Kunst wie eine Droge

Er gilt als der Erfinder der Op-Art: Der 1906 in Ungarn geborene Victor Vasarely hat rund sechs Jahrzehnte der modernen Kunst begleitet und mitgestaltet. Das Städel Museum in Frankfurt widmet ihm nun die Schau "Im Labyrinth der Moderne". Neben den Trompe-l’oeil-Bildern wird auch Vasarelys Frühwerk gezeigt.

Von Christian Gampert | 26.09.2018
    Ausstellungsansichten "Victor Vasarely. Im Labyrinth der Moderne" im Städel Museum Frankfurt
    Ausstellungsansichten "Victor Vasarely. Im Labyrinth der Moderne" (Städel Museum)
    Wie sich das riesige bunte Bild nach außen zu wölben scheint (wie eine Blase!), wie die vielen popfarbenen Kreise durch systematische Verzerrung auf einmal eine räumliche Dimension annehmen, wie also mit den Mitteln der Geometrie da eine Sinnestäuschung entsteht - das ist schon phantastisch. Man steht in der Ausstellung vor diesen knalligen "Vega"-Bildern aus den Endsechziger- und Siebzigerjahren und begreift auf einmal jene Eingeweihten, die noch heute von fernen Drogenerlebnissen schwärmen - und in der Wohngemeinschaft hingen natürlich diese Poster von Victor Vaserely, die selber schon eine Art Halluzinogen waren.
    Das Wiedersehen mit diesen Bildern ist lehrreich, denn einerseits sieht man, dass das - in ihrer Perfektion - eigentlich eine frühe Form digitaler Kunst ist - nur dass Vasarely völlig ohne Computer arbeitete, nur mit Assistenten. Andererseits erkennt man, warum dieses zwischen Op-Art und Pop-Art changierende Spätwerk zur Dekoration der Swinging Sixties werden konnte, zum Ausdruck der Lebenslust, wenig später aber zur Poster-, Kalenderblatt-, Kaffeetassen- und Tapetenkunst degenerierte: Es war einfach hübsch farbig, optimistisch und dennoch verwirrend, scheinbar entgrenzt.
    Dabei basiert Vasarelys Kunst auf strengen Regeln, und deren Entstehungsgeschichte will die Frankfurter Ausstellung zurückverfolgen, sagt Kuratorin Jana Baumann.
    Alltagstaugliche Gesamtkunst
    Vasarely kommt aus Ungarn, hat dort sehr früh, 1929, am ungarischen Bauhaus studiert, und ist dort mit den Ideen der frühen Moderne in Berührung gekommen, und nimmt das mit, als er nach Paris emigriert.
    Vom Bauhaus, das heißt: von seinem Budapester Lehrer Sándor Bortnyik übernimmt Vasarely den Anspruch, Malerei, Skulptur, Design zu einer alltagstauglichen Gesamtkunst zu verbinden und eine abstrakte Sprache zu entwickeln. Es finden sich in der düsteren Zwischenkriegszeit, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, aber auch gegenständliche Arbeiten, Menschensilhouetten, ein weißgesichtiger Blinder, ein Selbstportrait im zersprungenen Spiegel, schraffierte Gefängnisbilder - die aber alle schon mit abstrakten Elementen arbeiten. Besonders die Zebras, ineinander verknäuelte Tierkörper, sind Form-Experimente in Schwarzweiß.
    Dadurch, dass die Ausstellung rückwärts erzählt, zum Anfang hin, wird klar: auch unter den scheinbar perfekten Oberflächen der späten Op-Art gibt es einen sozialen Untergrund, eine Geschichte. Die optische Irritation, die Vasarelys Tunnel-Bilder, Korridore, Gitter, Wölbungen, geometrischen Muster hervorrufen, ist auch eine historische Irritation, die Ausweglosigkeit der industriellen Moderne. Kein Licht am Ende des Tunnels, kein Anfang und kein Ende in den mosaikhaften Massen von Kreisen, Quadraten, Rhomben.
    Abstraktes Zukunftsversprechen
    Die hochintellektuelle Ausstellung führt nun die Entwicklung von Vasarelys Formenvokabular vor. Eindrücklich die Arbeiten, die noch Realität verarbeiten; die Belle-Île-Serie variiert die organische Gestalt von am Strand aufgefundenen Steinen und Muscheln, "Denfert" spielt mit den Rissen, die Vasarely auf den Kacheln einer U-Bahnstation fand; "Gordes" erkundet Licht- und Schattenräume eines Dorfes. Manche Formen beziehen sich auf ferne Galaxien, und mit der "Hommage à Malewitsch" geht es 1958 endgültig in Richtung geometrische Abstraktion. Und ins systemische Denken.
    "Das Serielle ist natürlich ein Thema bei ihm, wenn er das plastische Alphabet erfindet, immer zwei Formen, zwei Farben und daraus unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten schafft, woraus dann auch Skulpturen entstehen und die Idee des Multiples."
    Vasarely hat immer daran festgehalten, dass seine Kunst alltagstauglich sei, und die Ausstellung bietet mit dem Speisesaal für die deutsche Bundesbank, der nun im Museum aufgebaut ist, ein schönes Beispiel. Der Künstler variiert hier an den Wänden spiegelnde Kunststoffscheiben in Gelb, Ocker, Silber und Schwarz - ein abstraktes Zukunftsversprechen. Aber für wen? Dass dies als Ambiente für speisende Banker dient, hat mit den demokratischen Ansprüchen des Bauhauses nur noch bedingt zu tun.