Bettina Klein: Die Bundesrepublik liegt also unter dem Durchschnitt, was die Zahl der Hochschulabsolventen angeht, und dabei kann man noch einmal unterscheiden zwischen Akademikerkindern und Kindern nichtakademischer Herkunft. Von 100 Akademikerkindern nehmen 83, also die Mehrzahl, ein Hochschulstudium auf. Bei den anderen sind es von 100 nur 23 und das, obwohl doppelt so viele das Abitur ablegen. Die Initiative Arbeiterkind.de hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Zustand zu ändern. Sie will Schülerinnen und Schüler aus einem nichtakademischen Elternhaus dabei Unterstützung geben, ein Studium aufzunehmen. Es ist eine Internet-Plattform, aber darüber hinaus auch ein bundesweites Netzwerk von Mentoren, und zu diesem Netzwerk gehört Katja Urbatsch, mit der ich jetzt am Telefon verbunden bin. Ich grüße Sie, Frau Urbatsch.
Katja Urbatsch: Guten Tag!
Klein: Was ist der Hauptgrund dafür, dass Kinder von Eltern, die nicht studiert haben, so häufig den gleichen Weg gehen?
Urbatsch: Ich glaube, da gibt es keinen richtigen Hauptgrund, sondern da kommen immer mehrere Gründe zusammen. Das ist zum einen, dass natürlich die Eltern meist den eigenen Berufsweg empfehlen. Das heißt, dass jemand, der studiert hat, seinen Kindern auch empfiehlt zu studieren, und Eltern, die nicht studiert haben, eher eine Ausbildung empfehlen. Hinzu kommt natürlich auch die Finanzierung. Viele machen sich auch Sorgen darüber, dass sie ein Studium nicht finanzieren können, und wenn man eine Ausbildung absolviert, bekommt man natürlich sofort Geld und ist auch unabhängig von den Eltern.
Klein: Das heißt, der Background im Elternhaus spielt eine große Rolle. In welchem Verhältnis dazu stehen Entscheidungen der Politik, die jetzt angemahnt werden, eben für Kinder aus sozusagen unteren sozialen Schichten diese Bildung zu ermöglichen?
Urbatsch: Ich denke, da muss man von mehreren Seiten herangehen. Ich denke, in der Politik ist es ja auch schon angekommen, dass wir in Bildung investieren müssen. Ich habe eher den Eindruck, dass es in der Bevölkerung nicht angekommen ist. All diese schönen Fakten, die Sie eben dargelegt haben, warum es sich lohnt, in Bildung zu investieren, das ist in der Bevölkerung noch nicht angekommen.
Klein: Was meinen Sie damit?
Urbatsch: Ich bin zum Beispiel neulich bei einer Sommer-Uni gewesen in Niedersachsen und dort habe ich eine Schülerin kennengelernt, die ist gegen den Willen ihrer Eltern zu dieser Sommer-Uni gefahren, hat daran teilgenommen, weil die nicht möchten, dass sie studiert. Das ist eben kein Einzelfall, sondern das erleben wir sehr häufig, dass die Eltern dagegen sind, dass die Lehrer Kinder aus nichtakademischem Hintergrund nicht fördern, dass sie keine Gymnasialempfehlung bekommen oder auch nicht zum Studium ermutigt werden aufgrund ihres sozialen Hintergrundes.
Klein: Das heißt, es ist tatsächlich nicht im Wesentlichen eine Geldfrage?
Urbatsch: Geld spielt natürlich auch eine Rolle. Da kommen wie gesagt mehrere Gründe zusammen. Da fehlt die Ermutigung von zu Hause, da fehlen die Vorbilder und da fehlen natürlich auch die Informationen darüber, dass es Stipendien gibt, dass es sich lohnt, auch Kredite aufzunehmen, in BAFöG zu investieren, auch wenn es Schulden sind.
Klein: Sie schreiben auf Ihrer Internet-Seite, Frau Urbatsch, dass es Ihr Ziel ist, Informationen zu liefern. Jetzt muss man natürlich auch sagen, wenn man allmählich erwachsen wird, dann trägt man auch die eigene Verantwortung für den eigenen Lebensweg. Weshalb ist da noch so viel Aufklärungsarbeit bei jungen Leuten zu leisten, damit sie das Gefühl haben, natürlich kann ich auch ein Studium aufnehmen, wenn ich möchte?
Urbatsch: Da fehlen einfach ganz viele Informationen, weil es ist natürlich klar, wenn man aus einem akademischen Hintergrund kommt, dass die Eltern da schon viel erzählen, dass man vielleicht schon mal eine Uni von innen gesehen hat, dass man weiß, dass es BAföG und Stipendien gibt. Aber auch ich selber habe es zum Beispiel gar nicht gewusst bis zum vierten Semester, dass ich mich um ein Stipendium hätte bewerben können. Da gibt es einfach noch ganz viele Informationen, die eben nicht dort ankommen wo sie hin müssen, und deswegen bieten wir diese Informationen an und ermutigen insbesondere auch dazu, ein Studium aufzunehmen, denn es reicht auch nicht, einfach nur zu informieren, sondern man muss eben auch ermutigen, weil gerade Kinder aus nichtakademischem Hintergrund sich das häufig gar nicht zutrauen, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt.
Klein: Jetzt sprechen wir immer davon, dass es so etwas wie eine Arbeiterklasse in diesem herkömmlichen Sinne gar nicht mehr gibt. Die Lebensverhältnisse haben sich ja im Laufe der Jahrzehnte immer weiter einander angeglichen. Zudem gibt es viel weniger klassische Industriearbeitsplätze als früher. Sie wurden ja in erheblichem Maße vom Dienstleistungssektor verdrängt. Löst der Begriff Arbeiterkind, den Sie auch für Ihre Plattform gewählt haben, da auch Assoziationen aus, die nicht mehr so ganz in die Zeit passen?
Urbatsch: Wir meinen Arbeiterkinder natürlich ein bisschen anders. Wir meinen damit alle Kinder, die aus einem nichtakademischen Hintergrund kommen, weil es ist einfach schwierig, ein Synonym zu finden für Nichtakademikerkinder, weil Nichtakademikerkinder ist einfach negativ besetzt und wir haben einfach versucht, einen positiven Begriff zu finden, und da gibt es leider bisher keinen anderen Begriff als Arbeiterkind.de. Aber wie gesagt, wir versuchen das neu zu besetzen und meinen damit alle aus nichtakademischem Hintergrund.
Klein: Wie viel ist denn noch übrig vom Arbeiterkind der 50er- und 60er-Jahre, wenn wir uns die Situation heute anschauen?
Urbatsch: Das ist natürlich für mich jetzt ein bisschen schwer zu sagen, weil ich Jahrgang 1979 bin und das nicht so ganz nachvollziehen kann, aber ich denke, es gibt immer noch viele Gemeinsamkeiten und wir haben doch viele Mentoren, die ein bisschen älter sind und sich wundern, warum sich da nichts verändert hat bezüglich der Einstellung in den Familien zu Bildung und zum Studium.
Klein: Sie wollen Unterstützung liefern, auch Informationen. Das sozusagen ist die eine Seite, aber es müssen ja auch Kinder und Jugendliche auf Sie zukommen. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit etwas fruchtet?
Urbatsch: Ja. Auf jeden Fall haben wir das Gefühl, dass unsere Arbeit fruchtet. Wir gehen auch in die Schulen, um die Schüler zu erreichen, um aufzuklären, und wir erleben eigentlich eine große Begeisterung, eine große Dankbarkeit, dass wir in die Schulen gehen, diese Informationen darbieten und unsere Hilfestellung anbieten. Da machen wir sehr, sehr gute Erfahrungen.
Klein: Wenn Sie davon sprechen, es fehlt nach wie vor an Ermutigung, worauf führen Sie das zurück?
Urbatsch: Das ist natürlich schwer zu sagen, aber ich denke, wir bräuchten da noch ein bisschen mehr Enthusiasmus. Ich bin ja gerade in Amerika und hier erlebt man doch so eine "College-going culture", dass es doch gegenüber Bildung eine sehr, sehr viel positivere Einstellung gibt, und ich denke, davon könnten wir uns eine Scheibe abschneiden, dass wir noch ein bisschen enthusiastischer sind und noch mehr ermutigen.
Klein: Katja Urbatsch war das von der Internet-Plattform Arbeiterkind.de, die sich einsetzt für Nichtakademikerkinder, um sie zu unterstützen, ein Studium aufzunehmen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Frau Urbatsch.
Urbatsch: Danke!
www.arbeiterkind.de
Katja Urbatsch: Guten Tag!
Klein: Was ist der Hauptgrund dafür, dass Kinder von Eltern, die nicht studiert haben, so häufig den gleichen Weg gehen?
Urbatsch: Ich glaube, da gibt es keinen richtigen Hauptgrund, sondern da kommen immer mehrere Gründe zusammen. Das ist zum einen, dass natürlich die Eltern meist den eigenen Berufsweg empfehlen. Das heißt, dass jemand, der studiert hat, seinen Kindern auch empfiehlt zu studieren, und Eltern, die nicht studiert haben, eher eine Ausbildung empfehlen. Hinzu kommt natürlich auch die Finanzierung. Viele machen sich auch Sorgen darüber, dass sie ein Studium nicht finanzieren können, und wenn man eine Ausbildung absolviert, bekommt man natürlich sofort Geld und ist auch unabhängig von den Eltern.
Klein: Das heißt, der Background im Elternhaus spielt eine große Rolle. In welchem Verhältnis dazu stehen Entscheidungen der Politik, die jetzt angemahnt werden, eben für Kinder aus sozusagen unteren sozialen Schichten diese Bildung zu ermöglichen?
Urbatsch: Ich denke, da muss man von mehreren Seiten herangehen. Ich denke, in der Politik ist es ja auch schon angekommen, dass wir in Bildung investieren müssen. Ich habe eher den Eindruck, dass es in der Bevölkerung nicht angekommen ist. All diese schönen Fakten, die Sie eben dargelegt haben, warum es sich lohnt, in Bildung zu investieren, das ist in der Bevölkerung noch nicht angekommen.
Klein: Was meinen Sie damit?
Urbatsch: Ich bin zum Beispiel neulich bei einer Sommer-Uni gewesen in Niedersachsen und dort habe ich eine Schülerin kennengelernt, die ist gegen den Willen ihrer Eltern zu dieser Sommer-Uni gefahren, hat daran teilgenommen, weil die nicht möchten, dass sie studiert. Das ist eben kein Einzelfall, sondern das erleben wir sehr häufig, dass die Eltern dagegen sind, dass die Lehrer Kinder aus nichtakademischem Hintergrund nicht fördern, dass sie keine Gymnasialempfehlung bekommen oder auch nicht zum Studium ermutigt werden aufgrund ihres sozialen Hintergrundes.
Klein: Das heißt, es ist tatsächlich nicht im Wesentlichen eine Geldfrage?
Urbatsch: Geld spielt natürlich auch eine Rolle. Da kommen wie gesagt mehrere Gründe zusammen. Da fehlt die Ermutigung von zu Hause, da fehlen die Vorbilder und da fehlen natürlich auch die Informationen darüber, dass es Stipendien gibt, dass es sich lohnt, auch Kredite aufzunehmen, in BAFöG zu investieren, auch wenn es Schulden sind.
Klein: Sie schreiben auf Ihrer Internet-Seite, Frau Urbatsch, dass es Ihr Ziel ist, Informationen zu liefern. Jetzt muss man natürlich auch sagen, wenn man allmählich erwachsen wird, dann trägt man auch die eigene Verantwortung für den eigenen Lebensweg. Weshalb ist da noch so viel Aufklärungsarbeit bei jungen Leuten zu leisten, damit sie das Gefühl haben, natürlich kann ich auch ein Studium aufnehmen, wenn ich möchte?
Urbatsch: Da fehlen einfach ganz viele Informationen, weil es ist natürlich klar, wenn man aus einem akademischen Hintergrund kommt, dass die Eltern da schon viel erzählen, dass man vielleicht schon mal eine Uni von innen gesehen hat, dass man weiß, dass es BAföG und Stipendien gibt. Aber auch ich selber habe es zum Beispiel gar nicht gewusst bis zum vierten Semester, dass ich mich um ein Stipendium hätte bewerben können. Da gibt es einfach noch ganz viele Informationen, die eben nicht dort ankommen wo sie hin müssen, und deswegen bieten wir diese Informationen an und ermutigen insbesondere auch dazu, ein Studium aufzunehmen, denn es reicht auch nicht, einfach nur zu informieren, sondern man muss eben auch ermutigen, weil gerade Kinder aus nichtakademischem Hintergrund sich das häufig gar nicht zutrauen, weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt.
Klein: Jetzt sprechen wir immer davon, dass es so etwas wie eine Arbeiterklasse in diesem herkömmlichen Sinne gar nicht mehr gibt. Die Lebensverhältnisse haben sich ja im Laufe der Jahrzehnte immer weiter einander angeglichen. Zudem gibt es viel weniger klassische Industriearbeitsplätze als früher. Sie wurden ja in erheblichem Maße vom Dienstleistungssektor verdrängt. Löst der Begriff Arbeiterkind, den Sie auch für Ihre Plattform gewählt haben, da auch Assoziationen aus, die nicht mehr so ganz in die Zeit passen?
Urbatsch: Wir meinen Arbeiterkinder natürlich ein bisschen anders. Wir meinen damit alle Kinder, die aus einem nichtakademischen Hintergrund kommen, weil es ist einfach schwierig, ein Synonym zu finden für Nichtakademikerkinder, weil Nichtakademikerkinder ist einfach negativ besetzt und wir haben einfach versucht, einen positiven Begriff zu finden, und da gibt es leider bisher keinen anderen Begriff als Arbeiterkind.de. Aber wie gesagt, wir versuchen das neu zu besetzen und meinen damit alle aus nichtakademischem Hintergrund.
Klein: Wie viel ist denn noch übrig vom Arbeiterkind der 50er- und 60er-Jahre, wenn wir uns die Situation heute anschauen?
Urbatsch: Das ist natürlich für mich jetzt ein bisschen schwer zu sagen, weil ich Jahrgang 1979 bin und das nicht so ganz nachvollziehen kann, aber ich denke, es gibt immer noch viele Gemeinsamkeiten und wir haben doch viele Mentoren, die ein bisschen älter sind und sich wundern, warum sich da nichts verändert hat bezüglich der Einstellung in den Familien zu Bildung und zum Studium.
Klein: Sie wollen Unterstützung liefern, auch Informationen. Das sozusagen ist die eine Seite, aber es müssen ja auch Kinder und Jugendliche auf Sie zukommen. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit etwas fruchtet?
Urbatsch: Ja. Auf jeden Fall haben wir das Gefühl, dass unsere Arbeit fruchtet. Wir gehen auch in die Schulen, um die Schüler zu erreichen, um aufzuklären, und wir erleben eigentlich eine große Begeisterung, eine große Dankbarkeit, dass wir in die Schulen gehen, diese Informationen darbieten und unsere Hilfestellung anbieten. Da machen wir sehr, sehr gute Erfahrungen.
Klein: Wenn Sie davon sprechen, es fehlt nach wie vor an Ermutigung, worauf führen Sie das zurück?
Urbatsch: Das ist natürlich schwer zu sagen, aber ich denke, wir bräuchten da noch ein bisschen mehr Enthusiasmus. Ich bin ja gerade in Amerika und hier erlebt man doch so eine "College-going culture", dass es doch gegenüber Bildung eine sehr, sehr viel positivere Einstellung gibt, und ich denke, davon könnten wir uns eine Scheibe abschneiden, dass wir noch ein bisschen enthusiastischer sind und noch mehr ermutigen.
Klein: Katja Urbatsch war das von der Internet-Plattform Arbeiterkind.de, die sich einsetzt für Nichtakademikerkinder, um sie zu unterstützen, ein Studium aufzunehmen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Frau Urbatsch.
Urbatsch: Danke!
www.arbeiterkind.de