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"Viele Journalisten berichten nicht ganz seriös"

Der chinesische Botschafter in Deutschland, Ma Canrong, hat die deutsche Berichterstattung über angebliche Einschränkungen der Pressefreiheit bei den Olympischen Spielen scharf kritisiert. Viele Berichte von Journalisten seien frei erfunden. Der Diplomat erklärte, sein Land habe eigene Mediengesetze, an die sich ausländische Journalisten zu halten hätten. Zugleich betonte er, es werde alles dafür getan, dass die Medien ungehindert über die Olympischen Spiele berichten könnten.

Ma Canrong im Gespräch mit Sabine Adler |
    Christoph Heinemann: Heute ist der 08.08. 2008. Um 8 nach 8, genauer um 20:08 Uhr Ortszeit - das ist 14:08 Uhr unserer Zeit -, beginnen in Peking die Feierlichkeiten zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele. Hoch symbolisch: die Acht gilt Chinesen als Glückszahl und so gesehen bildet der sportliche Parkour für die Athletinnen und Athleten von heute an eine Achterbahn. Zum Auftakt der Olympischen Spiele hatte Sabine Adler, die Leiterin unseres Hauptstadtstudios in Berlin, Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Botschafter der Volksrepublik China in Deutschland, Herrn Ma Canrong.

    Sabine Adler: Herr Botschafter Ma, Sie sind seit sechs Jahren in Deutschland, haben die Berichterstattung über China ja sicherlich sehr genau verfolgt und haben wahrscheinlich auch festgestellt, dass kaum zu einer Zeit so viel über Ihr Land berichtet worden ist wie jetzt gerade vor den Olympischen Spielen. Haben Sie sich über die Berichterstattung geärgert?

    Ma Canrong: Ärger kann ich nicht sagen, aber ich muss ganz offen sagen, dass viele Berichterstattungen hier in Deutschland nicht so objektiv sind und manche sogar von den Tatsachen oder Wahrheiten ziemlich entfernt sind - bei der Berichterstattung über die Gewalttaten am 14. März in Tibet, in Lhasa sogar ganz verkehrt. Das hat natürlich viel Ärger, sogar Empörung unter der chinesischen Bevölkerung ausgelöst. Für mich als Botschafter sehe ich in diesen Tatsachen, dass wir noch mehr tun, um die Verständigung zwischen unseren beiden Seiten zu verstärken, um diese Vorurteile bei manchen Leuten abzubauen. Wir wollen sehen, dass auch mehr Journalisten nach China kommen, um mit eigenen Augen China besser kennen zu lernen. Dann werden sie vielleicht bei dieser Berichterstattung objektiver sein.

    Adler: Herr Botschafter Ma, der deutsche Außenminister hat mit seinem Außenministerkollegen Ihres Landes telefoniert, und zwar ging es da um die Beschränkung der Pressefreiheit im Vorfeld der Berichterstattung von den Olympischen Spielen. Wie bewerten Sie das Bemühen des Olympischen Komitees beziehungsweise auch verschiedener Regierungen, doch mehr Pressefreiheit bei der Berichterstattung zu ermöglichen, als bisher zugelassen wird?

    Ma Canrong: Erstens: Über Pressefreiheit haben wir auf beiden Seiten eigentlich nicht identische Meinungen. Das muss ganz offen gesagt werden. Wir haben in China alles getan, um Journalisten reibungslos über die Olympischen Spiele zu berichten. Das haben die meisten Journalisten, die jetzt in Peking arbeiten, anerkannt. Heute Morgen habe ich gerade in Ihrem Sender gehört, dass ein Journalist aus Peking berichtet hat, dass er am Zugang zum Tienanmen-Platz überhaupt nicht gehindert wurde. Sein Eindruck ist positiv. Aber auch andererseits muss einmal deutlich gesagt werden, dass China eigene Gesetze und Regelungen, Ordnungen hat. Die Journalisten müssen auch daran festhalten. Das ist nicht nur in China so, sondern auch bei anderen Olympiaden genauso.

    Adler: Was ist so schlimm daran, wenn man zum Beispiel eine Website von "Amnesty International" aufmacht?

    Ma Canrong: Wissen Sie, Amnesty - so habe ich es gehört - ist für Journalisten schon frei. Viele Journalisten berichten nicht ganz seriös, frei erfunden oder von der Annahme oder nur vom Hören. Ich nenne Ihnen dafür ein Beispiel. Ihr Journalist hat berichtet, dass im deutschen Haus keine deutsche Zeitung von den chinesischen Behörden genehmigt wird.

    Adler: Mit drei Tagen Verzögerung, drei bis vier Tagen Verzögerung.

    Ma Canrong: Und dann hat er berichtet, dass dies großes Aufsehen in Deutschland ausgelöst hat. Manche Politiker haben sogar aufgrund dieser Berichterstattung China beschuldigt, China scharf kritisiert. Tatsache ist, dass Ihr Botschafter sich uns gegenüber entschuldigt hat, dass die Verantwortung überhaupt nicht an China liegt, sondern die Zeitungen, die hier erschienen sind, brauchen unterwegs zwei bis drei Tage, bis sie in Peking angekommen sind und ausgestellt werden. Das haben die Journalisten nicht berichtet. So etwas wird wirklich nicht der richtigen Verständigung zwischen unseren beiden Staaten dienen.

    Adler: Sie haben gerade gesagt, die chinesische Regierung lässt den Zugang zu "Amnesty International" wieder zu. Bei der BBC waren Seiten gesperrt, bei der Deutschen Welle waren Seiten gesperrt. Würden Sie sagen, das war ein Fehler, diese Seiten zu sperren?

    Ma Canrong: Von Fehler kann überhaupt gar keine Rede sein. Ich glaube das IOC hat das mit den zuständigen Stellen beim Vorbereitungskomitee in Peking immer arrangiert. Zu konkreten Dingen, die Sie ansprechen, gibt es immer widersprüchliche Berichte. Das müssen Sie auch anerkennen. Das geht heute so, morgen so. Man muss wirklich ganz objektiv und sachlich berichten.

    Adler: Gehen Sie davon aus, dass künftig, also während der Olympischen Spiele zumindest, sämtliche Internetseiten frei zugänglich sein werden?

    Ma Canrong: Jeder Staat hat Regelungen über Internet. Auch Deutschland. China hat auch seine Regelungen über Internet. Das war vor der Olympiade so, ist während der Olympiade so und wird auch nach der Olympiade so sein.

    Adler: Im Vorfeld der Olympischen Spiele ging es auch darum, die Menschenrechtssituation in China zu verbessern. Wie schätzen Sie das ein? Hat sich die Lage verbessert? Hat sich da etwas getan?

    Ma Canrong: Über Menschenrechte in China, ob gut oder schlecht, das kann nur die chinesische Bevölkerung selbst beurteilen. Über die Menschenrechte in Deutschland können nur die Deutschen am meisten wissen. Wenn wir jetzt über Menschenrechte in China sprechen, dann sind wir ganz stolz darauf, was wir in den letzten Jahren, besonders seit der offenen Reform auf diesem Gebiet als Fortschritt gemacht haben. Die Chinesen leben heute - die meisten Chinesen - so gut wie nie zuvor. Die Menschenrechtssituation von heute ist die beste seit Gründung des neuen Chinas oder sogar in der Geschichte. Natürlich: China ist so groß. China ist heute immer noch Entwicklungsland. In China ist natürlich nicht alles perfekt. Wir haben viele Probleme, große Schwierigkeiten. Wir müssen auf diesem Weg weitergehen. Auch die Menschenrechte müssen immer verbessert werden. Das kann aber nicht von heute auf morgen geschehen. Auf diesem Gebiet wollen wir und haben wir auch bis jetzt mit dem Ausland einen Dialog geführt, zusammengearbeitet. Wir wollen auch später, auch in Zukunft diesen Kurs verfolgen. Alles andere, Menschenrechte als ein Druckmittel auszunutzen, ist zwecklos und auch sogar schädlich.

    Adler: Die Kritik an der eingeschränkten Pressefreiheit, die Kritik an der Menschenrechtssituation und die Kritik an den Verhältnissen in Tibet und dem Umgang mit den Ereignissen in Tibet, würden Sie sagen, dass das Kritik war, die nicht wohlwollend China gegenüber war, die nicht konstruktiv war, oder hat diese Kritik vielleicht auch geholfen, mit dem Problem besser umzugehen?

    Ma Canrong: Es gibt bestimmt Leute, die nicht so wohlwollend gegenüber China stehen. Das muss ich ganz offen sagen. Für uns sind die Olympischen Sommerspiele in Peking vor allem ein Sportereignis der Welt. Dieses Sportereignis zu politisieren, ist nicht richtig. Die politischen Fragen können nur auf politischem Weg gelöst werden. Es gibt wie gesagt andere Wege, Dialog mit einzelnen, Zusammenarbeit oder anderes. Es gibt immer Leute - das haben wir gesehen -, die diese Olympische Spiele in Peking ausnutzen, um mit so genannten Menschenrechts-, Tibet- oder anderen Fragen hochzuspielen, um Druck auf die chinesische Regierung auszuüben, um China zu zwingen, so viel zu ändern. Das ist nicht korrekt.

    Adler: Denken Sie, dass durch diese Olympischen Spiele die Zusammenarbeit auf dem politischen Gebiet gestört worden ist?

    Ma Canrong: Ja. Da muss man sehen, wie man sich verhält. Ich glaube das einzige Ziel und der Zweck dieser Olympischen Spiele liegt darin, die Freundschaft zu verstärken, die Solidarität. In dieser Hinsicht glauben wir fest daran, dass durch diese Olympiade und nach der Olympiade die Zusammenarbeit zwischen China und der Welt noch verstärkt wird.

    Adler: In Peking sind sehr, sehr viele neue Gebäude gebaut worden, Sportstätten gebaut worden, aber auch Unterkünfte für die Sportler. Für diese Neubauten mussten sehr viele Menschen ihre Wohnungen verlassen. Wie kann man nun genau diese Personen beziehungsweise auch die Wanderarbeiter, die am Bau dieser Sportstätten mit beteiligt waren, davon überzeugen, dass die Olympischen Spiele eine gute Sache sind, wenn sie selbst doch negativ davon betroffen sind?

    Ma Canrong: So negativ ist das eigentlich nicht. Diese Neubauten sind meistens nicht im Zentrum der Stadt, sondern meistens in der Umgebung und dort ist die Region nicht sehr dicht besiedelt. Nun wissen Sie vielleicht nicht, dass gerade die Leute, die in dieser Gegend wohnen, vorher nicht besonders gute Wohnverhältnisse hatten. Durch das Umziehen konnten sie meistens ihre Wohnverhältnisse verbessern.

    Adler: Und wie verhält es sich mit den Wanderarbeitern?

    Ma Canrong: In ganz China gibt es natürlich sehr viele Wanderarbeiter aus den Dörfern. Wir haben jetzt insgesamt mehr als 130 Millionen. In Zukunft werden vielleicht noch mehr Wanderarbeiter aus den Dörfern in die Stadt kommen, das heißt von der Landwirtschaft übrig bleibende Arbeitskräfte. Es gibt einige Probleme: Unzufriedenheit, weil die Entschädigung nicht ganz zufriedenstellend war. Das ist wahr. Es gibt solche Fälle, aber insgesamt gesehen sind das nur wenige Probleme bei der so großen Anordnung dieser Dimension.

    Adler: Eine Voraussetzung, dass die Luft in Peking während der Olympischen Spiele gut sein wird, ist, dass die Wirtschaft ihre Produktion drosseln muss, dass der Transport in der Stadt auch halbiert wird oder sogar noch weiter heruntergefahren wird. Wie wird das eigentlich mit der Wirtschaft gehandhabt? Kriegen die Betriebe, die jetzt für die Olympischen Spiele ihre Produktion drosseln müssen, eine Entschädigung? Kommt man denen irgendwie anders entgegen?

    Ma Canrong: Die meisten Unternehmen tun das gerne, gerade um einen Beitrag für eine gute Olympiade zu leisten. Zum anderen: die Regierung, Stadtregierung, Zentralregierung, hat auch viele Maßnahmen ergriffen, um die Schäden zu verringern. Zum Beispiel sind einige steuerliche Maßnahmen vorgesehen und man wird auch nach der Olympiade die Produktion mit Mehrarbeit kompensieren. Insgesamt gesehen werden schon einige Schäden dabei entstehen, aber nicht so große.

    Adler: Herr Botschafter, ich habe noch eine Frage zum Sport, zum Doping, zum Kampf gegen Doping. Sie sind ein Vertreter eines wirklich sehr, sehr großen Landes. Es ist fast unmöglich, alle Sportler so umfänglich zu kontrollieren, dass man Dopingsünder tatsächlich findet. Ist das ein Kampf gegen Doping im eigenen Land, den man praktisch nur verlieren kann?

    Ma Canrong: Nein, überhaupt nicht. Wieso verlieren kann? Die chinesische Regierung hat eine ganz sehr harte Politik bei der Bekämpfung von Doping. Wenn eine Sportlerin oder ein Sportler entdeckt worden ist, dann wird er sofort sehr streng bestraft, sogar vom Sportleben ausgeschlossen. Über die Olympiade in Peking müssen Sie sich wirklich im Klaren sein, dass China diesmal nur Gastgeberland ist. Alle Kontrollen bei Doping kommen nicht von den Chinesen, sondern müssen vom IOC gemacht werden, dass auch chinesische Sportlerinnen und Sportler alle komplett unter dieser strengen Kontrolle stehen. Diesmal wird in Peking ein neues Zentrum der Antidoping errichtet und viel mehr als in Athen werden Dopingkontrollen gemacht - 4500, fast ein Drittel mehr als in Athen.

    Adler: Haben Sie eine Lieblingssportart?

    Ma Canrong: Ich gehe, obwohl ich wenig Zeit dazu habe, schwimmen und manchmal spiele ich auch Tischtennis.