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'Viele Mittelständler haben Angst vor neuen Krediten'

    Gerner: Mit dem zurückgehenden Hochwasser in Dresden an der Elbe wächst die Gewissheit, dass eine Art zweiter Aufbau Ost erforderlich ist. Wir sind um zehn Jahre zurückgeworfen, ist ein Satz dieser Tage. Stark betroffen in den ostdeutschen Ländern, inwiefern? Das will ich von einem hören, der sich dazu rechnen kann, Christian Doerr, Feinkosthersteller in Dresden. Herr Doerr, Sie kommen gerade aus dem Stau. Ist das noch eine Folge der Aufräumarbeiten, das Verkehrschaos?

    Doerr: Ja, weil noch einige Brücke zu und nicht befahrbar sind. Besonders hier, wo die Weißeritz diese Katastrophen eingerichtet hat und einige Brücken baufällig mitgerissen hat.

    Gerner: Was produzieren Sie in welchem Umfang, und inwiefern sind Sie betroffen?

    Doerr: Wir produzieren Feinkostsalate, Ketchups, Mayonnaisen und Dressings. Wir liefern in den gesamten neuen Bundesländern an alle Lebensmitteleinzelhandelsketten, und wir sind davon betroffen, dass bei uns das Wasser im Keller stand und dementsprechend Anlagen zerstört wurden, die die Produktion mit Elektroenergie, Kälte und Luft versorgen. Das Problem dessen ist vor allem, dass wenn Sie jetzt Hochwasserkatastrophen haben, auch diverse Keime und Mikroorganismen mitgespült werden, und wenn man die im Gebäude hat, darf man zunächst nicht produzieren.

    Gerner: Können Sie den Schaden schon beziffern?

    Doerr: Den Schaden schätze ich auf etwa eine halbe Million Euro ein. Das ist zunächst eine grobe Einschätzung.

    Gerner: Sind Sie versichert gewesen?

    Doerr: Wir haben uns gegenüber Hochwasserkatastrophen nicht versichert, weil der Fluss Weißeritz im Normalfall kaum über die Ufer tritt. Bei uns war es nicht die Elbe, bei uns ist es die Weißeritz gewesen. Die Ursache des Übertretens ist darin gewesen, dass die Talsperren Malter und Klingenberg einen sehr hohen Wasserpegel hatten, und dass die Regenmengen, die dann dazu gekommen sind, das Wasservolumen derart erhöht haben, dass die Talsperren das nicht mehr aushalten konnten, und dies wurde dann über die Flüsse abgeleitet.

    Gerner: Was bringt Ihnen jetzt die Soforthilfe, die die Bundesregierung versprochen hat?

    Doerr: Das sind in erster Linie Kredite, und das ist das Problem allgemein für den Mittelstand in den neuen Bundesländern, weil alle ja ihre Unternehmen auf Kredite ausgebaut haben und an alten Krediten zahlen, mit denen sie die Dinge geschaffen haben, die sie bisher hatten, so dass sie jetzt noch einen Kredit aufnehmen werden und damit zweimal einen Kredit zahlen.

    Gerner: Inwiefern hatten Sie denn Ihre ersten Kredite der Anfangszeit schon abbezahlt?

    Doerr: Wir hatten zwei Drittel unserer Kredite schon abbezahlt.

    Gerner: Und was bedeutet die neue Situation in der zeitlichen Achse des Abbezahlt Habens?

    Doerr: Dass wir jetzt erst mal wieder Investitionen machen für Dinge, die wir eigentlich schon hatten, die wir durch das Hochwasser verloren haben, und dass wir Investitionen in die Zukunft, die wir vorhatten, damit zunächst zurückstellen müssen. Und des weiteren müssen Zins uns Tilgungen auch für diese neuen Kredite geleistet werden, und damit wird ja der Gewinn und das Ergebnis nachhaltig beeinflusst.

    Gerner: Wie wird es Ihrer Firma absehbar gehen? Können Sie schon sagen, wann Sie wieder aufmachen werden?

    Doerr: Wir wollen morgen mit der Produktion beginnen. Das ist definitiv. Wir sind ab nächster Woche wieder voll lieferfähig, weil wir über das gesamte Wochenende wieder zweischichtig produzieren werden. Und wir hoffen natürlich, dass wir diese Hochwasserkatastrophe mit relativ wenig Schaden überstehen.

    Gerner: Wir haben auch von Infektionsgefahren gehört, Risiko aufgrund verunreinigten Hochwassers, gerade in Dresden. Wie steht es damit? Haben Sie die absolute Gewähr, dass alles wieder desinfiziert ist bei Ihnen?

    Doerr: Die Gewähr haben wir, weil das Gesundheitsamt und die Veterinärhygiene jeden Tag bei uns vor Ort ist. Und des weiteren sind die Trinkwasserproben sehr positiv, also wir haben auch mit den Stadtwasserwerken eng zusammengearbeitet, und wir haben von allen Seiten grünes Licht bekommen.

    Gerner: Wie groß war Ihre Belegschaft bisher?

    Doerr: 75 Mitarbeiter.

    Gerner: Werden Sie alle halten können?

    Doerr: Wir versuchen, alle zu halten. Das ist auch das oberste Gebot. Gerade jetzt ist es wichtig, dass jeder Arbeitsplatz erhalten wird, weil er letztendlich zu unserer Entwicklung mit beiträgt.

    Gerner: Wo liegt das Risiko?

    Doerr: Das Risiko liegt natürlich darin, dass wir neue Belastungen haben werden durch Kredite und Investitionen, die man wieder vornehmen muss. Die Kosten müssen irgendwo auch im Blick gehalten werden, und da wird natürlich versucht, Optimierungen durchzuführen.

    Gerner: Ich nehme an, in Ihrem bekannten Geschäftskreis gibt es weitere Mittelständler. Wie viele müssen da jetzt über die Klinge springen, um es etwas salopp zu formulieren?

    Doerr: Wenn ich das so einschätze, wird es für die Kleinbetriebe sehr schwer. Ich schätze, dass 10 bis 15 Prozent nicht mehr den Neuanfang wagen.

    Gerner: Was bedeutet denn mit Blick darauf die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform, die die Bundesregierung jetzt beschlossen hat?

    Doerr: Das ist natürlich für uns Betroffene ein weiterer Rückschlag, weil ja da für uns nochmals Steuerzahlungen hinzukommen, wo wir für die Hochwasserkatastrophe ein zweites Mal bezahlen.

    Gerner: Konkret?

    Doerr: Also wenn wir ein Jahr länger mit dem höheren Steuersatz Steuern bezahlen müssen, dann geht uns Gewinn verloren, den wir wieder in das Unternehmen investieren und wodurch wir neue Arbeitsplätze schaffen könnten. Diese Investitionsmöglichkeit wird uns damit genommen.

    Gerner: Was wäre denn für Sie die beste Alternative zur Behebung der finanziellen Folgeschäden gewesen?

    Doerr: Die beste Alternative wäre, wenn man ein richtiges Konjunkturprogramm auflegen und Mittel zur Beseitigung der Schäden zur Verfügung stellen würde, und dass man zunächst von seinen Altschulden gewissermaßen befreit wird. Das wäre für uns das Wichtigste.

    Gerner: Wie ist denn die Stimmung in Dresden unter den Menschen?

    Doerr: Die Stimmung ist natürlich extrem bedrückt, weil viele Mittelständler sehr verzweifelt sind und nicht wissen, wie es weitergeht, weil viele vor neuen Krediten Angst haben.

    Gerner: Ich habe gehört, viele Hoteliers haben Stornos bekommen, weil allgemein der Eindruck ist, Dresden hätte auf ganzer Breite unter Wasser gestanden. Haben die Medien da eventuell zuviel des Guten getan?

    Doerr: Ich weiß es ganz konkret von einem guten Freund von mir. Die haben eine Pension; dort ist kein Tropfen Wasser hingekommen, und die haben für die nächsten drei Monaten alle Buchungen verloren. Ob die Medien schlechte Stimmung diesbezüglich verbreitet haben, weiß ich nicht. Dass man natürlich nicht nach Dresden fährt, wenn Zwinger und Semperoper unter Wasser stehen, kann ich natürlich auch verstehen.

    Gerner: Was machen Sie jetzt gleich, wenn Sie aufgelegt haben?

    Doerr: Ich werde mich wieder darum kümmern, dass die Desinfektions- und Reinigungsarbeiten weiter überwacht werden, und dass wir ganz sicher morgen produzieren können.

    Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio