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Viele Politiker "klappen ihre Ohren physisch zu"

Nach dem Gipfel in Straßburg verbreiten europäische Politiker Zuversicht. Joachim Starbatty, emeritierter Volkswirtschaftler an der Universität Tübingen und Eurogegner, kritisiert die Bekenntnisse der Politiker. "Nach drei Wochen dasselbe Theater wie vorher, das ist doch keine Politik", sagt er.

Joachim Starbatty im Gespräch mit Dirk Müller | 25.11.2011
    Dirk Müller: Nach jedem Gipfel, nach jedem Spitzentreffen geben sich die Staats- und Regierungschefs äußerst optimistisch und zuversichtlich. Nun haben wir die Eurokrise im Griff, heißt es da, unsere Beschlüsse von heute sind das richtige Signal an die Finanzmärkte. Weit gefehlt! Nichts im Griff, denn die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Jetzt sind die Börsen seit Tagen wieder auf Talfahrt, Portugals Staatsanleihen sind gestern zu Ramschpapieren heruntergestuft worden. Selbst die deutschen Anleihen sind nicht vollständig über den Ladentisch gegangen. Viele traditionelle Investoren haben seit Mitte der Woche diese links liegen lassen. Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und Mario Monti, sie haben sich gestern in Straßburg getroffen.

    O-Ton Nikolas Sarkozy: "Es geht um die Entschlossenheit der drei wichtigsten Wirtschaften, alles zu tun, um den Euro zu stützen, um die Nachhaltigkeit des Euro zu garantieren."

    Müller: Der französische Staatspräsident gestern Nachmittag in Straßburg. – Wie herauskommen aus der Schuldenkrise, wie herauskommen aus der Vertrauenskrise? Darüber sprechen wollen wir nun mit Joachim Starbatty, einer der Wirtschaftsprofessoren, die gegen die Milliardenhilfe für Griechenland vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt haben. Guten Morgen!

    Joachim Starbatty: Guten Morgen!

    Müller: Herr Starbatty, wie lange ist der Euro noch unsere Währung?

    Starbatty: Das kann man im Einzelnen nicht so sagen. Das hängt von der Politik ab, die betrieben wird. Die Politik, die jetzt die offensichtliche zu sein scheint, die Leute zu beruhigen: Das ist ja nur Pfeifen im Walde. Damit kann man keine Probleme lösen. Man muss wirklich jetzt herangehen und sagen, wo liegen denn die Probleme. Die Probleme liegen nicht beim Euro als Währung, sondern die Probleme liegen bei einzelnen Mitgliedsstaaten, die nicht mehr in der Lage sind, den Euro auf Dauer zu ertragen. Man sagt immer, sie wären verschuldet; natürlich sind sie verschuldet. Aber das größere Problem ist: Viele Länder in der Eurozone sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Und das kann man durch einfaches Sparen nicht wettmachen. Ein Schuldner, der ein Unternehmen hat, das nicht mehr gut läuft, der braucht ein neues Geschäftsmodell. Wenn er nur spart, spart, spart, spart er sich kaputt. Er braucht ein neues Geschäftsmodell, darüber muss man nachdenken. Und das ist bisher noch nicht geschehen.

    Müller: Das hört sich jetzt relativ theoretisch an. Was heißt das, ein neues Geschäftsmodell?

    Starbatty: Das muss man anfangen bei der Wettbewerbsfähigkeit. Diese Länder, die jetzt Schwierigkeiten haben, haben in den letzten zehn Jahren systematisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren. In Deutschland sind die Lohnstückkosten konstant geblieben, auch dank der Gewerkschaften. In anderen Ländern sind sie stark angestiegen. Diese Länder sind nicht mehr konkurrenzfähig. Und wer nicht konkurrenzfähig ist, kann keine Überschüsse erwirtschaften, um Schulden zu bezahlen.

    Müller: Das gilt für alle Länder, über die wir reden?

    Starbatty: Nein. Das gilt vor allen Dingen für die Südländer. Das gilt für Spanien, es gilt für Italien, es gilt für Portugal, es gilt für Griechenland, es gilt teilweise auch für Irland. Diese Länder müssten alle aus der Währungsunion ausscheiden, dann hätten sie wieder ein Geschäftsmodell, dann könnten sie abwerten, dann könnten wieder neue Nachfrageströme in diese Länder fließen. Wer fährt heute noch nach Griechenland? Wenn man sieht, welche Probleme das Land hat, welche Schwierigkeiten bei der Landung sind, beim Benzinkauf und so weiter, dann sagt man: Nein, lieber dann in die Türkei, ist billiger und ist keine Unruhe. Das ist genau das Problem und damit muss man sich auseinandersetzen.

    Müller: Das müssen Sie uns noch einmal erklären, Herr Starbatty. Diese Problematik, nicht wettbewerbsfähig zu sein, das hat es immer gegeben, das hat es zu D-Mark-Zeiten gegeben beziehungsweise ja auch zu Zeiten, wo es noch nicht den Euro gab. Wie ist das früher gelöst worden?

    Starbatty: Ja. Früher hat man abgewertet. Als ich zum ersten Mal in Italien war, im Jahre 1956 – schon lange her -, damals waren 1.000 Lira 6,70 D-Mark wert. Im Jahre 1998, als es zur Währungsunion kam, waren 1.000 Lira 98 Pfennige wert, noch nicht einmal ein Sechstel des früheren Wertes.

    Müller: Da hatten die Italiener damals schon abgewirtschaftet?

    Starbatty: Ja, sie haben immer abgewertet und sie haben ihre mangelnde Konkurrenzfähigkeit aufgrund höherer Inflationsraten, aufgrund höherer Lohnstückkosten dann durch die Abwertung wieder wettmachen können. Und so sind wir konkurrenzfähig geblieben. Nur zwei Zahlen: Italien hatte vor der Währungsunion im Jahre 1995 einen Weltmarktanteil, einen Anteil am Weltmarkt insgesamt von 6,5 Prozent. Der ist jetzt runter auf 2,8, ein Drittel des früheren Wertes. Ja das Land kann nicht mehr die Produkte herstellen, die es aus seinen Schwierigkeiten herauszieht. Genau das ist das Problem, und da schließen alle Politiker die Augen davor.

    Müller: Aber damals gab es auch noch nicht China und Indien.

    Starbatty: Ja, natürlich! Aber Deutschland hat seinen Anteil ja gehalten und sogar gesteigert, weil wir eben konkurrenzfähig geblieben sind. Die Lohnstückkosten sind nicht gestiegen, dort ist es anders, und genau das ist das Thema und da müssen die Leute heran und sagen: Ja, wie bekommen diese Länder wieder ein Geschäftsmodell, wie werden sie wieder konkurrenzfähig, wie kann man dafür sorgen, dass wieder Kapital ins Land fließt. Denn ein Land, das nicht mehr wettbewerbsfähig ist, kann nicht darauf hoffen, dass Investitionen von außen kommen, um dem Land zu helfen.

    Müller: Wenn wir, Herr Starbatty, bei diesem Geschäftsmodell, was Sie fordern, bleiben. Ich habe Sie richtig verstanden, möchte das aber noch einmal nachfragen. Das geht nur aus Ihrer Sicht, wenn diese Länder definitiv aus der Zone herausgehen?

    Starbatty: Ja. Man kann das natürlich auch dadurch machen, dass man sich zu Tode spart. Das sehen wir jetzt ja. Die Länder sparen sich alle zu Tode. Portugal, Griechenland, die werden abgewertet von den Ratingagenturen, obwohl sie sparen. Ja, klar. Wenn sie einfach nur sparen und die Nachfrage wegbricht, dann bricht auch die Basis weg, auf der Steuern gezahlt werden, nämlich die Arbeitsplätze. Deswegen muss man da zu einem neuen Modell kommen. Sie müssen aus der Währungsunion heraus – nicht weil ich will, dass sie heraus müssen, sondern weil ich möchte, dass diesen Ländern geholfen wird. Das ist mein Vorschlag und da müssen die Politiker endlich auch drauf hören.

    Müller: Es gibt ja heftige Kritik an den Ratingagenturen, es gibt ja auch heftige Kritik am Gebaren der Finanzmärkte. Wo liegt da das Problem?

    Starbatty: Ja, die Ratingagenturen haben zu spät gewarnt. Wer Frankreich noch ein Tripple-A gibt und auch Deutschland ein Tripple-A gibt, der macht die Augen zu. Also, wenn ich sehe, was wir als Verschuldungen haben, ...

    Müller: Auch Deutschland?

    Starbatty: Ja. Ich meine, was wir zurzeit haben, ist eine Staatsanleihenblase. Wenn man sich vorstellt, dass zweijährige Papiere in Deutschland nur 0,25 Prozent bringen, das ist ja geradezu lachhaft, wenn wir die Inflationsrate nehmen. Insofern werden wir noch einige Wunder da erleben.

    Müller: Das heißt, das war kein Zufall, dass am Mittwoch zwei Milliarden an Staatsanleihen nicht über den Tisch gelaufen sind?

    Starbatty: Nein, nein. Ich meine, ich habe mir die Konditionen angeguckt. Da war man etwas zu optimistisch bei den Leuten, die das alles designt haben. Da hätte man wissen müssen, dass bisher das nur Fluchtgeld war und dass, wenn es zu neuen Anlagen kommt, die Leute genauer hingucken und dann nicht mehr einfach sagen, wir machen das so weiter wie bisher. Nein, nein, da muss die Bundesregierung schon darauf achten, dass sie in Zukunft bessere Konditionen gibt. Aber ein Warnschuss war es in jedem Falle.

    Müller: Bessere Konditionen heißt höhere Zinsen?

    Starbatty: Höhere Zinsen, ja.

    Müller: Und das wird wieder teurer beim Zurückzahlen?

    Starbatty: Natürlich! Aber wir haben jetzt ja – das muss man sich vorstellen – eine Inflationsrate von drei Prozent, bei zehn Jahre laufenden Titeln einen Zinssatz von 2,0, 2,1 Prozent. Und da werden noch Steuern drauf gezahlt. Man muss sich das mal vorstellen.

    Müller: Herr Starbatty, Sie sind ja ein renommierter bekannter Eurokritiker, aufgrund dessen ja auch sehr umstritten. Sehen Sie einen Politiker in der Europäischen Union, eine Politikerin, die es richtig machen?

    Starbatty: Ja! Die FDP und Frank Schäffler und diese Initiative, die FDP abstimmen zu lassen, das ist genau das richtige. Der weiß, was es ist. Es gibt auch einige Leute innerhalb der CDU. Wissen Sie, ich diskutiere ja viel mit diesen Leuten auch.

    Müller: Wie heißen die Leute denn?

    Starbatty: Bitte?

    Müller: Wie heißen die Leute denn?

    Starbatty: Ja, das sind einzelne Abgeordnete, muss ich jetzt keine Namen nennen. Ich habe auch mit dem Fraktionsvorsitzenden diskutiert. Aber wenn ich meine Sachen vorbringe, dann merke ich: Die klappen ihre Ohren physisch zu. Die wollen es nicht wissen. Die wollen ihren Kopf lieber im Sand halten, als der Wirklichkeit ins Auge zu blicken.

    Müller: ..., weil es nicht opportun ist?

    Starbatty: Weil sie erstens glauben, ... Sie wollen das einfach nicht glauben. Das sind so Illusionen, die Politiker haben. Die denken, jemand ist zu dick geworden, der muss jetzt einfach ein bisschen schlanker werden, der spart ein bisschen, der isst ein bisschen weniger, dann geht es ihm wieder gut. Nein, nein: Das Problem innerhalb der Eurozone ist so ernst, dass sie auseinanderzureißen droht. Mit diesen Sachen muss man sich auseinandersetzen. Und dieses Pfeifen im Walde, wir haben Vertrauen in den Euro, wir werden ihn stützen, die Börse kann sich auf uns verlassen, wir machen neue Maßnahmen. Und nach drei Wochen dasselbe Theater wie vorher, das ist doch keine Politik.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Joachim Starbatty. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Starbatty: Ja, bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.