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Viele schöne bunte Bilder

Die Kölner Mediävistin Ursula Peters hat in ihrem Buch "Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachigen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts" das narzisstische Medium des Selbstbildnisses in den Bilderhandschriften des späten Mittelalters aufgegriffen. Doch wie individuell sind diese Autorenporträts?

Von Michael Wetzel | 21.07.2008
    In seiner letzten Erzählung, "Des Vetters Eckfenster", hat E. T. A. Hoffmann eine aufschlussreiche Anekdote über das Verhältnis von Verfassern zu ihren Büchern eingestreut. Ein nicht ganz uneitler Dichter trifft eines Tages auf einem Markt eine junge Blumenverkäuferin bei der Lektüre eines seiner Werke an und glaubt die Stunde nutzen zu müssen, sich ihr als leibhaftiger Schöpfer des Buches zu offenbaren.

    Doch welch ein Schreck, als die junge Leserin auf die Beteuerungen seiner Verfasserschaft gar nicht reagiert. Schließlich muss er erkennen, dass das Mädchen wohl nicht daran gedacht hat, dass Bücher von Schriftstellern gemacht würden, sondern wohl eher glaubte, der liebe Gott ließe sie wie Pilze wachsen.

    Bei dieser "Autoreitelkeit" scheint die Kölner Mediävistin Ursula Peters den Autor in einer frühen Phase der Herausbildung eines schriftstellerischen Ichs scheinbar zu packen, wenn sie nämlich das narzisstische Medium des Selbstbildnisses in den Bilderhandschriften des späten Mittelalters aufgreift. Diese weisen neben allerlei erzählerischen Illustrationen auch solche Figurendarstellungen auf, die unter ausdrücklicher Nennung des Namens den Verfasser darstellen sollen. Die Variationen sind groß, manchmal erscheint er als adliger Ritter hoch zu Ross, oft als höfisch gekleideter Herr mit eleganter Kopfbedeckung oder in der Amtskleidung des geistigen Würdenträgers, zumeist aber in der Haltung des Gelehrten am Schreibpult und mit den typischen Zeichen der Schreibfeder, der Pergamentrolle oder auch des belehrend ausgestreckten Fingers versehen. Spätere Beispiele etwa der bekannten Christine de Pizan zeigen die Dichterin auch in episodenhaften Szenen ihres Lebens, aber Ursula Peters ist weit davon entfernt, hier psychologisierend auf Autoreitelkeit zu schließen. Sie sieht in den Bildbeigaben der namentlich genannten Verfasser frühe Formen einer Autorprofilierung als Autorisierung persönlicher Texturheberschaft. In diesem modernen Sinne von Autorschaft als Selbstbewusstsein eines Schöpfertums erkennt die Verfasserin im Bildprogramm der mittelalterlichen Texte alle Merkmale wieder und konstatiert Autorsignaturen, Ich-Reden einer Autorenstimme, persönliche Verfasserschaftsbekenntnisse und überhaupt Autoritätsstrukturen einer Werkherrschaft.

    Aber halt, ist denn auch überall ein Autor drin, wo Autor drauf steht? Das Beispiel von Hoffmanns naiver Leserin, die nicht nach dem Autor fragt, hat durchaus seine sozialgeschichtliche Relevanz. Der vor rund vierzig Jahren von so genannten Diskursanalytikern wie Roland Barthes und Michel Foucault verkündete Tod des Autors, hat in aller Radikalität die Frage danach gestellt, was überhaupt einen Autor ausmacht und welche historische und kulturelle Konstellation Verfasser sich als Urheber von Werken begreifen lässt. Was dabei deutlich wurde, ist die entscheidende Voraussetzung eines Individualitätsbewusstseins, das die zuvor oft anonymen Schreiber zu Autoren werden lässt, abgeleitet von den lateinischen Komponenten der "auctoritas" als Herrschaft über das Werk und des Verbs "augere" als Vermehren des Sinns und der Bedeutung. Und das sich bekanntlich erst seit der Renaissance herausbildet und Künstler dazu führt, juristisch ihre Verwertungsrechte einzuklagen und für den Inhalt Verantwortung zu übernehmen, ästhetisch die Vieldeutigkeit an ihre ursprüngliche Intention rückzubinden und nicht zuletzt narzisstisch im Werk ihr Originalgenie gespiegelt zu sehen.

    Nichts von alledem in den Bildhandschriften des Mittelalters. Hier werden Bildergeschichten aus dem Leben der Verfasser erzählt, die keinen rechtlichen oder poetologischen Eigentumsanspruch an den Texten erheben oder begründen, der sie schon als Autoren auswiese. Wie schreibt Frau Peters doch selbst über die Funktion der Bildlichkeit:

    In ihrer Vielzahl an Ausprägungen piktorialer Kommentierung der Ich-Rede, von traditionellen Illustrationen bis zu komplizierten transkriptiven Oszillationsprozessen von Textpartien und zugeordnetem Bild, bietet sie eine Fülle ungewöhnlicher Autorschaftsszenarien, die sich weniger der Textebene als dem Zusammenspiel von textueller Ich-Rede und bildlicher Autorfigurierung verdanken und sich deshalb in dem Reichtum ihrer Konzeptualisierung von Autorschaft nicht durch Textlektüre, sondern erst und ausschließlich dem Betrachter der bebilderten Handschrift erschließen.

    Will sagen: Wenn man der Argumentation nicht folgen kann, soll man sich die vielen schönen Bilder anschauen, dann wird man schon die Autoren sehen. Man kann sich so des Eindrucks nicht erwehren, dass Ursula Peters auf eine andere Weise so naiv ist wie Hoffmanns Blumenmädchen, indem sie glaubt, der liebe Gott ließe Autoren wie Pilze wachsen. Jedenfalls findet man nirgends eine kulturhistorische Bestimmung von Autorschaft, sondern immer wenn der Nennung eines Dichternamens ein Bild zugeordnet wird, geht sie davon aus, es würde den Autor darstellen. Dabei machen aber die kenntnisreichen Beschreibungen der Ikonographie gerade deutlich, dass es sich hier um typisierte oder stilisierte Figurationen handelt und nicht um individuelle Porträts. Und die immer wiederkehrende Autorisierungsfunktion der Insignien von Gelehrsamkeit weisen eher auf die Professionalität und das Wissen der Verfasser im Sinne einer Handwerklichkeit und nicht eines Künstlertums voller Kreativität, Originalität und Einmaligkeit der Erfindung. Das ginge auch gar nicht, da es für den mittelalterlichen Menschen ein Sakrileg gewesen wäre, sich mit der exklusiven Position des Schöpfergottes zu vergleichen, weshalb Frau Peters selbst immer wieder Dankesbekundungen der Verfasser an Gottes Gaben zitiert und auf die Insistenz von Diktierszenen verweist.

    Man weiß um die Angst der Mediävistik, den Anschluss an die aktuellen Theoriedebatten zu verpassen. Aber die neuerdings von den Mediendiskursen diskutierte Rückkehr des Autors gleich in eine verfrühte Ankunft zu verkehren, ist ein Anachronismus, der die Trennschärfe von Begriffsgeschichte verwässert. Frau Peters erinnert selbst zu Anfang an die Grundeinsicht aller Literaturwissenschaft, dass die Ich-Rede eines Erzählers nicht mit der Autor-Rede verwechselt werden darf, verstößt dann aber selbst gegen diese Regel, indem sie so etwas wie die "Gemengelage von Autor-Ich-Rede" (68) einführt. Zum Autor wird man aber nicht durch Schreiben, sondern durch die Anerkennung in einem literarisch-künstlerischen Feld der Rezeption und Vermarktung seines Namens. Und das heißt auch Wiedererkennen, wie es erst durch das individualisierte Autorporträt möglich ist. Und erst dann wird Autoren die Ehre zuteil, wie sie Peter Handke in seiner "Moravischen Nacht" beschreibt, dass er irgendwo im Zug zwischen Wien und Graz auf ein junges Mädchen stößt, das nicht nur in seinem Buch liest, sondern ihn auch wieder erkennt und anstaunt, "dass er lebte, dass er aus Fleisch und Blut war."

    Ursula Peters: Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachigen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2008 (Böhlau Verlag), 298 S., 312 Abb. (teils farbig), Euro 59,90