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"Vier Prozent Wachstumsbeschleunigungsgesetz und 96 Prozent andere Ursachen"

Diese Politik sei eine erste Maßnahme, um wieder Wachstum zu schaffen, sagt Haushalts- und Finanzpolitiker Florian Toncar von der FDP. Im Jahre 2011, "wenn der schlimmste Teil der Krise hinter uns liegt", solle dann konsolidiert werden.

Florian Toncar im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Zwei Tage vor Weihnachten werden Päckchen gepackt. Allerdings wird nicht jeder Inhalt die Empfänger erfreuen. Der Deutsche Beamtenbund und die Gewerkschaft ver.di drohen mit Streik. Die Vertretungen der Arbeitnehmer fordern fünf Prozent mehr Gehalt. Wolfgang Schäuble denkt mit Blick auf Beamte wohl eher in Promille als in%en. Der Bundesfinanzminister muss schließlich das zur Politik erhobene Steuersenkungsmantra der Liberalen finanzieren. Geschenk Nummer 2: angesichts des Rekorddefizits im Haushalt erwägt die schwarz-gelbe Koalition offenbar, von 2011 an den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu erhöhen. Das berichtet heute die "Süddeutsche Zeitung". Am Telefon ist der FDP-Haushalts- und Finanzpolitiker Florian Toncar. Guten Tag.

    Florian Toncar: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Toncar, rechnen Sie damit, dass der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung in dieser Legislaturperiode über 3,0 Prozent hinaus steigen wird?

    Toncar: Das ist bisher so nicht vereinbart. Wir haben vereinbart, dass die Bundesagentur für Arbeit Geld aus Steuermitteln bekommt. Richtig ist aber auch, dass das sicherlich in der Höhe, in der das zurzeit passiert, nicht die Regel sein kann. Wir setzen aber zunächst einmal darauf, dass der Arbeitsmarkt auch wieder in Schwung kommt, dass Beitragsmittel auch steigen und dass wir natürlich auch um eine Erhöhung der Lohnzusatzkosten rumkommen.

    Heinemann: Schließen Sie definitiv eine Erhöhung über 3,0 Prozentpunkte aus?

    Toncar: Das schließe ich nicht aus. Es ist ja auch so, dass man im Grunde nicht sagen kann, wie die nächsten vier Jahre wirtschaftlich weiter laufen, und ich glaube, irgendjemand, der da was ausschließt, der redet auch unredlich. Wir wollen das aber nicht, weil Lohnzusatzkosten natürlich Arbeit verteuern, und Arbeit verteuern ist eigentlich das, was wir uns zurzeit überhaupt nicht leisten können.

    Heinemann: Mag sein, dass Sie nicht wollen. Vielleicht müssen Sie aber?

    Toncar: Deswegen schließe ich das auch nicht aus. Aber wir werden sicherlich alles tun, um das zu verhindern, und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist ja auch eine erste Maßnahme, die genau dazu dienen soll, nämlich wieder Wachstum zu schaffen, auch Arbeit zu schaffen und damit natürlich auch wieder Beitragseinnahmen zu schaffen. Je besser uns das gelingt, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass wir auch zu solchen Mitteln greifen müssen.

    Heinemann: Eine erste Maßnahme, sagen Sie. Eine falsche Maßnahme, sagt der Wirtschaftsweise Bofinger, weil alle Bindungen langfristig sind und nicht, wie benötigt, kurzfristig.

    Toncar: Nun gut, das ist seine Meinung, aber ich denke, es ist in jedem Fall richtig, das zu tun. Die Entlastung der Familien ist richtig, und zwar dauerhaft richtig. Die Erleichterung zum Beispiel beim Betriebsübergang, wenn ein Erbfall eintritt, wenn der Unternehmensinhaber stirbt, ist auch langfristig richtig, weil es hilft, dass Unternehmen fortbestehen können, die sonst möglicherweise geschlossen werden müssten. Und wenn Sie an die Unternehmenssteuerreform denken, die Elemente, die da im Wachstumsbeschleunigungsgesetz drin sind, das sind alles Maßnahmen, die nicht nur in der Krise richtig sind, sondern die eigentlich schon vor der Krise falsch waren. Aber dass wir die Schritte jetzt machen, ist mit Sicherheit ein zusätzlicher Impuls, gerade jetzt in der Krise.

    Heinemann: Dies aber alles auf Pump zu finanzieren, ist eben nicht richtig.

    Toncar: Ob das beispielsweise, was wir im Bereich der Unternehmensbesteuerung machen, auf Pump läuft, oder ob das nicht dazu führt, dass zum Beispiel Investitionen begünstigt werden, das ist eine Frage, die ich für offen halte. Ich glaube, dass zum Beispiel das, was wir machen, bei der Besteuerung geringwertiger Wirtschaftsgüter Investitionen erleichtert, so wie viele andere Maßnahmen auch. Wenn man aber mal die gesamte möglicherweise drohende Neuverschuldung jetzt im nächsten Jahr von 100 Milliarden Euro sich anschaut, die jetzt von Bundesminister Schäuble vorgelegt worden ist, von diesen 100 Milliarden geht der Großteil in die Entlastung der sozialen Sicherungssysteme und es sind knappe vier Milliarden Euro, die das Wachstumsbeschleunigungsgesetz den Bundeshaushalt belastet. Also ich glaube, man muss die Kirche auch mal im Dorf lassen und über die Ursachen der Haushaltsmisere ehrlich sprechen. Das sind vier Prozent Wachstumsbeschleunigungsgesetz und 96 Prozent andere Ursachen für diese hohe Neuverschuldung.

    Heinemann: Herr Toncar, bisher wissen wir, dass 2011 rund zehn Milliarden Euro gespart werden sollen. Werden die Details erst nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg bekannt gegeben? Wird also ab März 2011 dann die Katze aus dem Sack gelassen?

    Toncar: Nein. Der Bundeshaushalt für 2011 wird aufgestellt im Laufe des Jahres. Die Vorbereitungen in den Ministerien werden Anfang des Jahres beginnen und die Bundesregierung wird im Sommer einen Entwurf vorlegen, der sich an der Steuerschätzung im Mai orientiert. Wir wissen und alle Beteiligten auch in den Ministerien wissen, dass das ein Haushalt werden wird, in dem massiv gespart werden muss, schon weil uns die Schuldenbremse dazu zwingt, aber natürlich auch, weil wir jedenfalls heute damit rechnen, dass im Jahr 2011 der schlimmste Teil der Krise hinter uns liegt, und in dieser Phase muss man natürlich dann auch eine Konsolidierung einleiten. Das ist ja jedem klar.

    Heinemann: Gleichwohl wird in der Union längst bezweifelt, dass die für 2011 geplanten Steuersenkungen überhaupt noch bezahlbar sind.

    Toncar: Diese Steuerreform ist fest vereinbart, sie ist Bestandteil des Koalitionsvertrages und ich gehe fest davon aus, dass der Koalitionsvertrag auch umgesetzt wird. Er ist ja im Übrigen auch in der Finanzplanung des Bundesfinanzministers mittlerweile eingearbeitet. Insofern halte ich jetzt diese Diskussionsbeiträge auch eher für ein bisschen Spiegelfechterei. Wir wissen, dass wir an wichtige Strukturen ran müssen. Ich darf nur daran erinnern: wir werden eine Gesundheitsreform machen, wir werden eine Pflegereform machen, die natürlich auch dazu beitragen sollen, dass der Steuerzahler ein Stück weit auch entlastet wird für die Stabilisierung dieser Systeme. Also man muss, glaube ich, sehen, was wir uns insgesamt vorgenommen haben. Keiner kann heute Haushaltspolitik machen, ohne nicht auch die sozialen Sicherungssysteme, aber auch den ganzen Bereich Subventionen zu sehen. Vor dem Hintergrund glaube ich auch, dass das wirklich machbar ist, finanzierbar ist, und es ist Teil des Koalitionsvertrages, dass eine Steuerreform kommt.

    Heinemann: Konkret: woran sollte genau gespart werden? Sie haben die Subventionen genannt. Welche?

    Toncar: Ich glaube zum Beispiel, dass wir sparen können, indem wir den Ausstieg aus der Kohlekraft vorziehen. Ich selbst bin aber auch offen für alle möglichen steuerlichen Vergünstigungen. Es ist ja beispielsweise so, dass das System der Mehrwertsteuersätze - auch das ist Teil unseres Koalitionsvertrages - überarbeitet und vereinfacht werden soll. Da bin ich bereit, möglichst weit zu gehen und möglichst viele Ausnahmen auch wegfallen zu lassen.

    Heinemann: Wird in dieser Legislaturperiode die Mehrwertsteuer erhöht, wie auch viele Fachleute voraussagen?

    Toncar: Die Fachleute sind doch manchmal auch etwas verwunderlich. Im Übrigen gibt es auch wirklich namhafte Fachleute, die sagen, die Steuersenkung muss eigentlich noch schneller kommen als vereinbart. Ich erinnere nur an Hans-Werner Sinn, der im Oktober gesagt hat, mich wundert, dass die Steuerreform erst 2011 kommt, man müsste sie jetzt machen. Diese Experten gibt es auch, die werden nur zurzeit selten zitiert. Wir wollen keine Steuererhöhungen machen, weil wir doch glauben, dass die Bürger bereits belastet sind bis an die Grenze dessen, was wirklich möglich und nötig ist. Und jeder, der sagt, er ist gegen Steuersenkungen, der sagt damit implizit, auch wenn er das nicht zugibt, dass er im Grunde dafür ist, dass die Bürger immer mehr sparen müssen, dass die Bürger die Lasten auch dieser Krise alleine zu tragen haben, und derjenige, der für die Steuersenkungen ist, oder der gegen eine Mehrwertsteuererhöhung ist, der sagt eben, dass auch der Staat seinen Beitrag dazu leisten muss. Ich finde, das ist eine völlig legitime Botschaft, und ich wundere mich, dass es in Deutschland so große Aufregung darüber gibt, dass es auch politische Kräfte gibt, die sagen, wir wollen, dass auch der Bürger, der in der Krise nun wirklich knapp dran ist, mehr Spielraum zum Atmen hat.

    Heinemann: Herr Toncar, Steuersenkungen für die FDP, niedrigere Steuern für das Hotelgewerbe für die CSU. Welche Wählergruppen müssen noch befriedigt werden?

    Toncar: Da geht es nicht um die Befriedigung von Wählergruppen, sondern es geht im Grunde darum, dass wir jetzt in den nächsten ein bis eineinhalb Jahren ohne große Arbeitsplatzverluste und vieles andere durch die Krise kommen. Ich darf nur daran erinnern, dass viele Fachleute auch sagen, was den Arbeitsmarkt angeht, aber auch was Unternehmensinsolvenzen angeht, Unternehmenspleiten angeht gerade im Mittelstand, da steht das größte noch vor uns. Genau da setzen wir jetzt auch an. Deswegen geht es hier nicht um irgendwelche Gruppen zu versorgen, sondern es geht darum, dass wir versuchen, da wo es beispielsweise auch Familienbetriebe gibt, mittelständische Unternehmen gibt, möglichst viele Arbeitsplatzverluste zu verhindern.

    Heinemann: Der FDP-Haushalts- und Finanzpolitiker Florian Toncar. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Toncar: Ja. Schönen Tag!