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"Violins of Hope"
Erinnerung auf vier Saiten

Amnon Weinstein restauriert seit mehr als 30 Jahren Geigen. Sie stammen von jüdischen Musikern, die in Vernichtungslagern ermordet wurden. Die Instrumente findet er auf Dachböden und in Antiquariaten. Der 76-Jährige will nicht nur die kaputten Holzkästen wieder zum Klingen bringen, ihm geht es um die Würde der Besitzer. Ein Werkstattbesuch in Tel Aviv.

Von Blanka Weber | 19.12.2016
    Geigenbauer Amnon Weinstein mit einer von ihm restaurierten Violine bei der Ausstellung "Violins of Hope" in Monaco.
    Geigenbauer Amnon Weinstein mit einer von ihm restaurierten Violine bei der Ausstellung "Violins of Hope" in Monaco. (picture alliance / dpa / Cyril Dodergny)
    "Es ist so einfach, kann man sagen."
    Amnon Weinstein, dunkelgrau meliertes Haar, auffallender Bart, bequemes Hemd und Schürze, steht in seiner Werkstatt in Tel Aviv.
    "Das ist eine alte Violine, die ein Klezmer genutzt hat. Ich weiß nicht in welcher Zeit."
    Er schaut auf die Rückseite des Instrumentes. Kleine, in Perlmutt eingelegte Davidsterne sind auf den zweiten Blick zu sehen. Es sind die Zeichen, die Amnon Weinstein sucht und findet.
    Seine Werkstatt wirkt wie aus einer anderen Welt. Die Klimaanlage rattert, die Zimmer sind dunkel und vollgestopft mit Utensilien, vor allem aber mit Geigen - neuen und jenen, die eine eigene Geschichte erzählen.
    "Von 1850, 40 oder 30 - wir wissen nicht die genaue Zeit - stammen diese Instrumente. Hier - man kann einen Davidstern auf der Rückseite sehen. Also wissen wir nun: genutzt hat diese Geige eine jüdische Familie, ein jüdischer Mann. Das können wir sagen."
    Die Ventilatoren summen. Amnon Weinstein mag es kalt. Draußen sind es 30 Grad. Er steht in Trekkingschuhen zwischen Geigen, Kisten, Materialkartons und seiner Werkbank. An der Seite liegen ein paar Beutel mit Nüssen und Energieproviant. Es ist die Welt des 76-jährigen Geigenbauers. Eine Welt zwischen gestern und heute. Gelernt hat Amnon Weinstein bei seinem Vater Moshe, der ihm mehr hinterließ als das pure Handwerk.
    "Es war sehr normal, dass in traditionellen Haushalten eine Violine an der Wand hing und oftmals Freitag, aber noch mehr nach dem Schabbat, jemand die Violine genommen hat, um darauf zu spielen."
    Er schraubt an der Halterung für Instrumentensaiten und sucht ein Ersatzteil. Jene Geige, die vor ihm liegt, hat eine Geschichte wie alle anderen etwa 70 Instrumente - man kennt keinen Namen der Besitzer, manchmal hat sich ein Geigenbauer auf Jiddisch im Innenleben des Instrumentes verewigt und eine kleine Notiz mit Bleistift auf dem rohen Holzboden hinterlassen. Es sind die Geheimnisse, denen Amnon Weinstein auf der Spur ist.
    "Nein, wir haben wirklich keine Namen. Aber wir nehmen jede Geige mit Davidstern, restaurieren sie, weil es wichtig ist."
    Erinnerung an den Holocaust
    Manche Instrumente kamen aus Berlin, weiß er, dort waren die besten Geigenbauer. Ihre Kunden waren jüdische Musiker. Manche Instrumente habe er auch direkt aus Dachau erhalten - dem ehemaligen KZ. Es sind die bitteren Töne, die hier mitschwingen.
    Er und seine Frau stammen aus Osteuropa - den Eltern gelang rechtzeitig die Flucht im Jahr 1938, dem Jahr der Reichspogromnacht. Was heute in Osteuropa passiere, gefalle ihm gar nicht.
    "Wir waren in Polen, in Auschwitz, in Vilna - der Stadt, aus der meine Familie stammt. Aber, wir wollten dort wieder weg. Ich bin mir sicher, wenn ich dort mit meinen Geigen käme, vielleicht würden sie uns nicht wieder weglassen?"
    Amnon wird nachdenklich, ernst und wütend beim Thema Holocaust. Er hat viele Dokumente seines Vaters finden können, Fotos der Familie. Das Thema bestimmt sein Leben.
    "Lemberg, da war ein Orchester. Jeder dort war jüdisch. Als die Deutschen kamen, brachten sie das Orchester ins Lager und sie hatten dort zu spielen: jeden Tag, als die Menschen ins Gas gingen. Abends als die anderen von der Arbeit nach Hause kamen. In dem Moment, als sie alle Juden umgebracht hatten, kam dann auch das Orchester dran."
    Er habe Vilnius besucht, erzählt er. Er erinnert sich ungern daran: Ein Mitglied der Gruppe sei auf offener Straße als Jude beleidigt worden. Amnon Weinstein schüttelt den Kopf. Nein, das muss er nicht nochmal haben.
    "Ich war eingeladen, 'Violins of Hope' in Polen zu machen. Meine Antwort war: nein. Wir haben dort Filme gemacht, Bücher, aber mehr geht nicht - eben weil vieles passiert bis heute."
    Er gab seine restaurierten Instrumente für Konzerte nach Cleveland und nach Berlin. Er leiht sie regelmäßig israelischen Solokünstlern. Manche seiner Geigen sind nicht mehr bespielbar, einfach zu kaputt und verschlissen. Aber dennoch eine Erinnerung. Eine Mahnung. Und - eine Hoffnung.
    Nur ein Instrument, das nimmt er nicht gern in die Hand - auf den ersten Blick eine Geige wie alle anderen auch - aus feinem Ahornholz akkurat gefertigt.
    "Schau, das ist die allerschlimmste Geige meiner Sammlung. Hier steht: Heil Hitler. 1936. Und hier ist die Signatur des Geigenbauers, der muss ziemlich hart drauf gewesen dieser Typ. Egal."
    Seine Mine wird finster und Amnon Weinstein hängt das Instrument etwas abseits von den anderen. 400 Familienmitglieder haben er und seine Frau verloren. Es waren immer weitverzweigte Familien, sagt er - gern hätte er auch Großeltern gehabt wie die anderen Kinder, damals als er klein war und in Israel ankam.
    Vielleicht reist er mit den "Violins of Hope" im Gepäck nächstes Jahr wieder nach Deutschland und verlässt seinen kleinen Kosmos in einer Nebenstraße von Tel Aviv für ein paar Tage, seine Welt aus Tragik, Staub, zerrissenen Saiten, kaputten Geigenkästen - und dem Willen: aus diesen Resten etwas Schönes, etwas Gutes zu schaffen.