Es ist ungewohnt still im Berliner Jakob-Kaiser-Haus. In dem Gebäude, in dem 60 Prozent der Bundestagsabgeordneten ihre Büros haben, geht es sonst zu wie in einem Bienenstock. Am Eingang liegen rote Klemmbretter – für die Anwesenheitslisten der Abgeordneten. Zurzeit trägt sich hier niemand ein – im vordersten Brett klemmt stattdessen der Bestellprospekt eines Pizzaservices. Auch das Sicherheitspersonal scheint sich zu langweilen. Nur manchmal ist im Eingangsbereich ein bisschen was los. Dann nämlich, wenn ein Besucher kommt, der keinen Ausweis hat; ein Fremder also, dem sie die Tür nicht einfach so per Knopfdruck öffnen können.
Esther Uleer ist eine derjenigen, die den Sicherheitsleuten wenig Aufregung beschert. Sie besitzt natürlich einen Ausweis, denn die junge Frau ist Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Eine der wenigen, die in der parlamentarischen Sommerpause das Jakob-Kaiser-Haus betreten.
"Es ist vor allem abends leerer. Also, manchmal fragt man sich, hab’ ich jetzt gerade irgendwas falsch gemacht, dass ich noch hier lang laufe und andere offensichtlich hier nicht lang laufen. Und so ist es ja auch gedacht, dass es eine Zeit der relativen Ruhe ist und dass man danach wieder mit Volldampf loslegen kann."
"Danach" wird ab der zweiten Septemberwoche sein. Bis dahin hält Sprecherin Uleer - zusammen mit einem Sekretariat - sozusagen Stallwache für die 237-köpfige Unionsfraktion. Das heißt, sie informiert sich täglich über die aktuelle Lage – ihr Schreibtisch ist voll mit Zeitungen, sie nimmt die Pressemitteilungen der Arbeitsgruppen entgegen, veröffentlicht sie und beantwortet Anfragen von Journalisten – die trotz Sommerpause nicht weniger werden. Uleer managt also die ausgeflogene Herde und hat für den Fall des Falles alle Nummern und Kontaktdaten zur Hand:
"Es gibt durchaus Möglichkeiten, wie zu der Sondersitzung im Juli, dass man frühzeitig per Email, per SMS heute die Abgeordneten zusammentrommelt und deren Erreichbarkeit ist auch in der Sommerpause sichergestellt."
Bei einem braucht sich Uleer keine Sorgen um seine Erreichbarkeit machen. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder kommt ohne sein Mobiltelefon sowieso nicht durch den Sommer:
"Ich bin schon genervt, wenn ich in meinem Wahlkreis in Regionen komme, wo ich keinen Handyverkehr habe, das kann man sich in heutiger Zeit nicht leisten, mehrere Stunden vom Netz abgeschnitten zu sein. Zumal ja auch, in der sogenannten Saure-Gurken-Zeit - wie man es früher genannt hat – die Presse ja weiter hochaktiv ist."
Trotz Ferienzeit – das Bestreben stets erreichbar beziehungsweise scheinbar präsent zu sein, das teilt Kauder mit vielen seiner Kollegen. Denn wer sich nicht zu seinen Themen äußert oder schlimmer noch, nicht zitiert wird, scheint nicht wichtig zu sein. So melden sich dann auch Politiker zu Wort, die sich nachweislich gar nicht im Berliner Regierungsviertel aufhalten. Besonders aktiv sind jene, die die sozialen Medien für sich entdeckt haben.
So ist Grünen-Politiker Volker Beck zwar offiziell im Urlaub. Auf Twitter aber schreibt @Volker_Beck zu mancher Tageszeit fast im Stundentakt Texte. Fast 24.000 sogenannte Follower, also Leser seiner Einträge, hat der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Daran kommt selbst @sigmargabriel nicht heran. Seit Mai nutzt der SPD-Chef die 140-Zeichen kurzen Nachrichten und bleibt so im Gespräch. Nebenbei kann er sich auch wunderbar um Töchterchen Marie kümmern "und zwar offline", wie er jüngst twitterte – denn eigentlich ist Gabriel in Elternzeit. Letzteres hat er mit seinem Parteifreund Hubertus Heil gemeinsam:
"Mein Sommer heißt Leo, wenn Sie so wollen. Insofern mache ich Home-Office und Elternzeit hier zu Haus und hab’ das Glück, jetzt so den Sommer genießen zu können."
Heil ist trotzdem einmal pro Woche im Abgeordnetenbüro – um auch mal in Ruhe die Zeit zu haben, Wichtiges zu erledigen. Und sobald er kommt, ist er ein viel gefragter Mann – denn wenn der Chef schon mal da ist …
Heil ist mit viel Wollen also einer der letzten Stallwächter, der in Berlin ab und an auch mal körperlich präsent ist. Andere sind es nur virtuell. Laut Definition im Duden ist der Stallwächter "die Präsenz am Regierungssitz während der Parlamentsferien". Den Wächter des Regierungsstalls aber gibt es heutzutage nicht mehr, sagt Heil. Wegen der schönen digitalen Welt:
"Ja, natürlich ist es so, dass durch moderne Kommunikationsmittel man immer und überall irgendwie erreichbar ist – das ist Fluch und Segen, aber das führt auch dazu, dass man nicht immer physisch präsent sein muss. Wie in früheren Zeiten, wo man dann Leute verdonnern musste, an bestimmten Feiertagen, Weihnachten oder was auch immer wirklich vor Ort und an Bord zu sein, das ist heute mit modernen Kommunikationsmitteln einfacher, auch Präsenz und auch Kommunikation zu organisieren – im Notfall."
Da könnte man fast meinen, Smartphone und Computer wären die Stallwächter der Web - 2.0 Politik, weil sie immer auf Stand-by stehen. Das geht Hubertus Heil aber dann doch zu weit:
"Am Ende des Tages braucht man manchmal auch physische Verfügbarkeit, also zum Beispiel, wenn es darum geht, schnell auch medial elektronisch zu reagieren, muss man vor eine Kamera. Da muss am Ende des Tages Mensch und Kamera doch zusammen. Das heißt, man muss irgendwohin ein Team hinschicken. Oder: Der Politiker, die Politikerin muss in ein Studio. Das muss man immer noch auch praktisch organisieren. Aber sonst ist es tatsächlich grundlegend verändert."
Keine Angst also – auch ohne Twitter, Facebook und Co. - irgendwie erfahren wir immer, was die deutsche Politik in der Sommerpause macht. Den klassischen Stallwächter, der auf das Haus aufpasst, wenn die anderen schwimmen gehen, gibt es zwar nicht mehr – aber: Irgendjemand ist immer da.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
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"Es ist vor allem abends leerer. Also, manchmal fragt man sich, hab’ ich jetzt gerade irgendwas falsch gemacht, dass ich noch hier lang laufe und andere offensichtlich hier nicht lang laufen. Und so ist es ja auch gedacht, dass es eine Zeit der relativen Ruhe ist und dass man danach wieder mit Volldampf loslegen kann."
"Danach" wird ab der zweiten Septemberwoche sein. Bis dahin hält Sprecherin Uleer - zusammen mit einem Sekretariat - sozusagen Stallwache für die 237-köpfige Unionsfraktion. Das heißt, sie informiert sich täglich über die aktuelle Lage – ihr Schreibtisch ist voll mit Zeitungen, sie nimmt die Pressemitteilungen der Arbeitsgruppen entgegen, veröffentlicht sie und beantwortet Anfragen von Journalisten – die trotz Sommerpause nicht weniger werden. Uleer managt also die ausgeflogene Herde und hat für den Fall des Falles alle Nummern und Kontaktdaten zur Hand:
"Es gibt durchaus Möglichkeiten, wie zu der Sondersitzung im Juli, dass man frühzeitig per Email, per SMS heute die Abgeordneten zusammentrommelt und deren Erreichbarkeit ist auch in der Sommerpause sichergestellt."
Bei einem braucht sich Uleer keine Sorgen um seine Erreichbarkeit machen. Der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder kommt ohne sein Mobiltelefon sowieso nicht durch den Sommer:
"Ich bin schon genervt, wenn ich in meinem Wahlkreis in Regionen komme, wo ich keinen Handyverkehr habe, das kann man sich in heutiger Zeit nicht leisten, mehrere Stunden vom Netz abgeschnitten zu sein. Zumal ja auch, in der sogenannten Saure-Gurken-Zeit - wie man es früher genannt hat – die Presse ja weiter hochaktiv ist."
Trotz Ferienzeit – das Bestreben stets erreichbar beziehungsweise scheinbar präsent zu sein, das teilt Kauder mit vielen seiner Kollegen. Denn wer sich nicht zu seinen Themen äußert oder schlimmer noch, nicht zitiert wird, scheint nicht wichtig zu sein. So melden sich dann auch Politiker zu Wort, die sich nachweislich gar nicht im Berliner Regierungsviertel aufhalten. Besonders aktiv sind jene, die die sozialen Medien für sich entdeckt haben.
So ist Grünen-Politiker Volker Beck zwar offiziell im Urlaub. Auf Twitter aber schreibt @Volker_Beck zu mancher Tageszeit fast im Stundentakt Texte. Fast 24.000 sogenannte Follower, also Leser seiner Einträge, hat der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Daran kommt selbst @sigmargabriel nicht heran. Seit Mai nutzt der SPD-Chef die 140-Zeichen kurzen Nachrichten und bleibt so im Gespräch. Nebenbei kann er sich auch wunderbar um Töchterchen Marie kümmern "und zwar offline", wie er jüngst twitterte – denn eigentlich ist Gabriel in Elternzeit. Letzteres hat er mit seinem Parteifreund Hubertus Heil gemeinsam:
"Mein Sommer heißt Leo, wenn Sie so wollen. Insofern mache ich Home-Office und Elternzeit hier zu Haus und hab’ das Glück, jetzt so den Sommer genießen zu können."
Heil ist trotzdem einmal pro Woche im Abgeordnetenbüro – um auch mal in Ruhe die Zeit zu haben, Wichtiges zu erledigen. Und sobald er kommt, ist er ein viel gefragter Mann – denn wenn der Chef schon mal da ist …
Heil ist mit viel Wollen also einer der letzten Stallwächter, der in Berlin ab und an auch mal körperlich präsent ist. Andere sind es nur virtuell. Laut Definition im Duden ist der Stallwächter "die Präsenz am Regierungssitz während der Parlamentsferien". Den Wächter des Regierungsstalls aber gibt es heutzutage nicht mehr, sagt Heil. Wegen der schönen digitalen Welt:
"Ja, natürlich ist es so, dass durch moderne Kommunikationsmittel man immer und überall irgendwie erreichbar ist – das ist Fluch und Segen, aber das führt auch dazu, dass man nicht immer physisch präsent sein muss. Wie in früheren Zeiten, wo man dann Leute verdonnern musste, an bestimmten Feiertagen, Weihnachten oder was auch immer wirklich vor Ort und an Bord zu sein, das ist heute mit modernen Kommunikationsmitteln einfacher, auch Präsenz und auch Kommunikation zu organisieren – im Notfall."
Da könnte man fast meinen, Smartphone und Computer wären die Stallwächter der Web - 2.0 Politik, weil sie immer auf Stand-by stehen. Das geht Hubertus Heil aber dann doch zu weit:
"Am Ende des Tages braucht man manchmal auch physische Verfügbarkeit, also zum Beispiel, wenn es darum geht, schnell auch medial elektronisch zu reagieren, muss man vor eine Kamera. Da muss am Ende des Tages Mensch und Kamera doch zusammen. Das heißt, man muss irgendwohin ein Team hinschicken. Oder: Der Politiker, die Politikerin muss in ein Studio. Das muss man immer noch auch praktisch organisieren. Aber sonst ist es tatsächlich grundlegend verändert."
Keine Angst also – auch ohne Twitter, Facebook und Co. - irgendwie erfahren wir immer, was die deutsche Politik in der Sommerpause macht. Den klassischen Stallwächter, der auf das Haus aufpasst, wenn die anderen schwimmen gehen, gibt es zwar nicht mehr – aber: Irgendjemand ist immer da.
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