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Virtuose Häutung

Der luxemburgische Schauspieler Luc Feit traut sich allein mit dem expressiven Monolog von Albert Ostermaiers "Schwarze Sonne scheine" auf die Bühne. Psychologisches Fronttheater in einer unpersönlichen Umgebung – das funktioniert.

Von Rosemarie Bölts |
    Gäbe es nicht das Bettzeug, das der Protagonist im Laufe der Vorstellung verwuschelt und als Arabesque seiner Erinnerung an seine Jemen-Reise auch mal als Wüstenumhang verfremdet - die Kälte dieser totweißen Materie würde sich ungeschützt auf die Zuschauer übertragen. Es gibt in dem rohen Theaterraum des Marstalls nämlich weder Vorhang noch Residenzschnörkel, hinter dem man sich verstecken oder zurückziehen kann, und so liegt es allein am luxemburgischen Schauspieler Luc Feit, das Publikum mit dem expressiven Monolog von Albert Ostermaiers "Schwarze Sonne scheine" eineinhalb Stunden lang emotional zu fesseln. Psychologisches Fronttheater als erstaunliches Frontaltheater:

    "Ich hatte fast alles erlebt, wovon ich träumte, aber ich immer auch das, wovon ich nicht träumen wollte, aber weiter träumte, nachts erwachte, schreiend, schwitzend mit rasendem Herzklopfen. Ich muss die Angst überwinden, sonst überwindet sie mich. Die Blindstelle finden, sie fühlen, füllen mit dem, was ich sah, fühlte, fürchtete."

    Eigentlich ist es eine Räuberpistole, die Albert Ostermaier in seinem Stück erzählt. Seelischer Missbrauch durch einen charismatischen, in einer Rockband spielenden Abt, der "wie ein Popstar mit einem Zuhör-Gesicht" alle Menschen in seinen Bann zieht und sie - absichtlich oder nicht - demütigt und manipuliert und sich dabei aller Verantwortung entzieht. Aber was ist daran dichterischer Traum? Was die eigene Geschichte des Autors Albert Ostermaier?

    Dass der junge Mann Sebastian als Klosterschüler blindlings dem Abt des nahe gelegenen Klosters ergeben ist, weil er ihn in seinen dichterischen Ambitionen unterstützt und stärkt - nachvollziehbar. Dass er am Ende zutiefst enttäuscht ist, weil "der Mann Gottes in schwarzer Kutte" mit "der Göttin in Weiß", einer vermeintlichen Ärztin, eine unheilige Allianz bildet, indem sie dem jungen Mann grundlos einreden, er sei todkrank und habe nur noch ein halbes Jahr zu leben - unglaubwürdig, aber dramaturgisch ein berechtigter Schocker. Und dass der junge Mann dadurch wie im Fieberwahn reagiert und in tiefe, suizidale Konflikte stürzt? Zeugt das nicht auch eher von des Autors hochkomplexer, überbordender Fantasie?

    "Sei schneller, zwei Schritte hinab, den Abgrund vor Augen, ich stürze, stürze jeden Augenblick, zu spät abzubremsen, too late, too late, stop, your handy, jetzt halte dich doch fest!"

    Klar, der anspruchsvolle, gefeierte Ostermaier absolviert hier nicht den Vatermord, den nach freudscher Lesart jeder junge Mann zum Erwachsenwerden braucht, sondern entsprechend der göttlichen Aura gleich dem Übervater-Mord. In der Buchvorlage liest sich die böse Abrechnung mit dem "Übervater" wie ein Racheakt, der mitunter allzu penetrant ausufert.

    In der Inszenierung des Luxemburger Stadttheaters wird die kraftstrotzende und dennoch differenzierte und bilderreiche Sprache des Autors jedoch zu einem faszinierenden Psychospiel destilliert. Albert Ostermaier hat sein Buch auch fürs Theater "eingerichtet", sodass man meinen möchte, eigentlich erzähle der Schauspieler Luc Feit dem Publikum ja nur den Buchinhalt.

    Aber genau darin liegt dessen Kunst. Er häutet die Geschichte mit all ihren Anekdoten, Rückblenden, Resümees virtuos, indem er ihr Wort für Wort Ausdruck verleiht, unterstützt von minimalen Gesten und sparsamen Bewegungen. So zum Beispiel, als er sich - Verschweigen ist angesagt - bis über Mund, Augen und Ohren in eine Verbandsrolle einwickelt und dabei ungerührt von dem sadistischen Verhalten des Abts spricht. Oder, wenn er nackt im Krankenhaushemd beginnt und sukzessive im Verlaufe der verbalen Entblößung am Ende der Geschichte in Jeans und Hemd angezogen ist. Und immer behält dieser Erzähler Kontakt zum Publikum, das sich diesem verhaltenen Horrortrip nicht entziehen kann. Als wär`s ein Stück von ihm.