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Völkermord an den Armeniern
Fatih Akins "The Cut" auch in türkischen Kinos

Im kommenden Jahr jährt sich der Völkermord an den Armeniern zum 100. Mal. Die Türkei leugnet nach wie vor die Auslöschung von bis zu 1,5 Millionen Menschen im Osmanischen Reich. Der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin bringt die Ereignisse von 1915/16 nun auf die Leinwand. Seit dem 5. Dezember wird "The Cut" auch in türkischen Kinos gezeigt.

Von Thomas Bormann | 06.12.2014
    Regisseur Fatih Akin, Februar 2014 bei der Berlinale
    Fatih Akin. Sein Werk "The Cut" hat in der Türkei eine Diskussion ausgelöst, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. (picture alliance / dpa)
    April 1915 im Osmanischen Reich: Armenische Familien werden aus ihren Häusern verjagt und auf Todesmärschen durch die Wüste geschickt. Die 24-jährige Kino-Besucherin Burcak ist erschüttert von den Szenen, die sie da auf der Kino-Leinwand gesehen hat:
    "Der Film hat mich sehr aufgewühlt. Ein sehr harter Film. Ich bin sehr traurig. Ich weiß ja nicht viel über die Geschichte. Aber wenn es sich wirklich so zugetragen hat wie in dem Film, dann ist das sehr, sehr bitter. Ehrlich gesagt schäme ich mich gerade. Schlimm, wenn es wirklich so war, dass den armenischen Bürgern so großes Leid angetan wurde."
    An den Schulen lernen die türkischen Kinder nach wie vor, dass es damals, vor 100 Jahren, keinen Völkermord an den Armeniern gegeben habe. Vielmehr hätten sich die Armenier auf die Seite des Kriegsgegners Russland geschlagen; danach sei es bei Kämpfen zwischen Armeniern und Türken zu Grausamkeiten, auch zu Deportationen gekommen.
    Im Internet trifft man denn auch auf viel Ablehnung gegen den Film "The Cut" von Fatih Akin. Ein junger Mann schreibt:
    "Dieser angebliche Völkermord ist so fiktiv wie das Drehbuch von "The Cut" selbst."
    Und weiter:
    "Akın sollte erst einmal einem Film über die Gräueltaten der armenischen Banden drehen, die in Anatolien ganze türkische Dörfer massakriert haben. Dann, aber erst dann würde ich ihn auch respektieren."
    "Aber all das befreit uns nicht von dem, was wir getan haben"
    Aber man findet in den türkischen Internet-Foren auch die andere Meinung.
    "Warum gibt es denn nur noch ein einziges armenisches Dorf in der ganzen Türkei?", fragt ein Student in seinem Internet-Eintrag. "Es wurde doch geplündert, Säuglinge und Greise wurden auf Todesmärsche geschickt. Leider leugnen wir all dieses. Deutschland, Russland, Frankreich oder Italien – sie alle mögen Massaker oder Völkermorde begangen haben, ja auch die Armenier. Aber all das befreit uns nicht von dem, was wir getan haben."
    Der Film von Fatih Akin hat in der Türkei eine Diskussion ausgelöst, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Auch wenn nur wenige Kinos in der Türkei diesen Film zeigen. Dass er überhaupt gezeigt wird, ist schon ein sehr gute Nachricht, meint die Istanbuler Filmkritikerin Evrim Kaya:
    "Ich finde es ganz, ganz wichtig. Ich bin ganz optimistisch und ich finde es ganz wichtig, dass dieser Film ganz normal in Kinos kommt."
    Vor zwölf Jahren wäre das in der Türkei wohl noch nicht möglich gewesen. Damals, im Jahr 2002, konnte der Kino-Film "Ararat" über den Völkermord an den Armeniern nicht in der Türkei gezeigt werden, zu heftig waren Proteste, zu groß die Vorbehalte.
    Drohungen hatte es auch gegen den Film "The Cut" gegeben, nachdem die Filmkritikerin Evrim Kaya vor vier Monaten Fatih Akin interviewt hatte. Ultranationalistische Gruppen hatten gewarnt, sie würden den Film in der Türkei verhindern. Aber, so Evrim Kayan zu diesen Drohungen:
    "Wir haben die damals auch nicht ernst genommen. Mein Vater war ganz nervös, aber das war's."
    Ja, das war es. Die Premiere des Films "The Cut" in Istanbul vor ein paar Tagen lief völlig ungestört. Jetzt steht der Film in mehreren Städten der Türkei auf dem Programm – und erreicht offenbar sein Ziel. Denn die 24-jährige Kino-Besucherin aus Istanbul sagt nach der Vorführung:
    "Filme wie dieser wecken in mir das Bedürfnis, mehr zu wissen, mehr zu lesen und zu erfahren über den geschichtlichen Hintergrund."
    Fatih Akins Film trägt dazu bei, dass in der Türkei die Diskussion auflebt, den Völkermord an den Armeniern nicht mehr reflexartig zu leugnen, sondern die dunklen Seiten der eigenen Geschichte aufzuarbeiten.