Archiv


Völkerrechtler sieht kaum Chancen für Entschädigung deutscher Vertriebener

Durak: Keine Entschädigung deutscher Vertriebener von Polen. Der Bundeskanzler hat in Warschau versprochen, alles zu tun, damit diese Ansprüche nicht realisiert werden. Greift die Bundesregierung damit nicht unabhängigen Gerichten vor, darf sie so etwas überhaupt versprechen? Das ist eine von mehreren interessanten juristischen Fragen in diesem Zusammenhang. Weiterhelfen kann uns Professor Michael Bothe, er ist Völkerrechtler und lehrt an der Universität Frankfurt am Main. Guten Morgen.

Moderation: Elke Durak |
    Bothe: Guten Morgen.

    Durak: Herr Bothe, hat der Bundeskanzler mit seinem Versprechen Recht getan?

    Bothe: Er hat etwas versprochen, was er durchaus versprechen konnte. Er hat nicht etwa irgendwelchen gerichtlichen Entscheidungen vorgegriffen, er hat nur gesagt, wie sich die Bundesrepublik, die Bundesregierung, wenn es zu Gerichtsverfahren kommt, verhalten würde. Das ist ein durchaus normaler Vorgang, die Bundesregierung muss sich ja darüber Gedanken machen, nachdem solche Verfahren angedroht sind.

    Durak: Er hat aber gesagt, alles dafür zu tun, damit diese Ansprüche nicht realisiert werden. Ist das nicht ein Vorgriff auf juristische Entscheidungen?

    Bothe: Nun gibt es wirklich sehr gute Gründe dafür, zu sagen, dass solche Ansprüche der einzelnen vertriebenen Person, darum geht es ja, nicht bestehen oder jedenfalls zulässigerweise vor den dafür in Betracht kommenden Gerichten, seien es polnische oder deutsche Gerichte, sei es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte oder vielleicht auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, dass diese nicht zulässig oder jedenfalls nicht begründet sind und das kann ein Bundeskanzler durchaus sagen. Dass sich eine Bundesregierung auf einen solchen Standpunkt stellen würde, ist juristisch sehr gut zu begründen.

    Durak: Herr Bothe, welche Chancen hätten solche Klagen vor polnischen oder internationalen Gerichten?

    Bothe: Ich sehe da eigentlich keine hohen Chancen. Was die polnischen Gerichte angeht, so sind nach dem polnischen Recht diese Ansprüche wohl weitgehend wirksam ausgeschlossen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist für Verletzungen der europäischen Menschenrechtskonventionen zuständig, die, wohlgemerkt, nach dem Inkrafttreten der Konvention für Polen geschehen sind. Die europäische Menschenrechtskonvention ist zu Beginn der neunziger Jahre für Polen in Kraft getreten und es kann also nur um Ereignisse gehen, die danach liegen. Wie sich die juristische Phantasie möglicher Kläger mit diesem Punkt auseinandersetzt, das weiß ich nicht, aber ich sehe das eigentlich nicht. Dann bleiben Ansprüche vor deutschen Gerichten, die darauf gestützt werden könnten, und diese Rechtsbehauptung steht im Raum, dass die Bundesrepublik eben über bestehende Ansprüche in einer Weise disponiert habe, die die Eigentumsrechte der präsumtiven Kläger nach deutschem Recht verletzt, auch das sehe ich im Ergebnis nicht als gegeben an.

    Durak: Damit meinen Sie ja den Lastenausgleich für Vertriebene, gewährt durch die Bundesregierung, beendet etwa 1992 und der Bund der Vertriebenen beruft sich genau darauf, dass die Frage der Entschädigung für Eigentum nicht endgültig geregelt sei. Ist das geregelt oder nicht?

    Bothe: Es ist so, dass die Vertriebenen Leistungen bekommen haben, die letzenendes darauf beruhten, dass die Gesamtgemeinschaft Deutschlands sich solidarisch verhalten hat gegenüber allen denen, die durch diesen Krieg Verluste erlitten hatten und natürlich waren dies zuerst und vor allem die Vertriebenen. Aber dieses war keine volle Entschädigung sondern eben ein Ausgleich der Lasten und insofern ist sicherlich die Lastenausgleichsregelung von damals kein endgültiger Abschluss, aber das sagt ja nichts darüber ob jetzt noch Vermögensansprüche bestehen und zwar wohlgemerkt Vermögensansprüche gegenüber der Bundesrepublik. Nun kann man die Vertreibungsmaßnahmen ja nicht der Bundesrepublik zurechnen, sondern es geht allein darum, ob die Bundesrepublik möglicherweise dadurch, dass sie sich gegenüber Polen in einer bestimmten Weise verhält auf Ansprüche eingewirkt hat, Ansprüche zum Vernichten gebracht hat, die diejenigen, die diese Ansprüche erheben gegenüber Polen, zu haben glauben.

    Durak: Herr Bothe, Entschuldigung, es wird jetzt ganz, ganz kompliziert, dass wir das nachvollziehen und verstehen können, wie Sie es juristisch sicherlich einwandfrei formulieren. Können Sie es noch einmal für uns, für Laien, auf einen verständlichen Nenner bringen. Ist es so, dass in diesem speziellen Punkt noch Angreifbares ist, auf das sich der Bund der Vertriebenen stützen könnte?

    Bothe: Ich sehe das nicht, weil die Bundesrepublik, wenn sie, sie hat das ja nicht wirklich, aber wenn sie gegenüber Polen auf der völkerrechtlichen Ebene auf Ansprüche verzichtet, dann greift sie nicht in rechtswidriger Weise auf Eigentumsrechte zu, nur darum geht es.

    Durak: Die polnische Seite, ein letztes Wort dazu, erwartet aber offenbar, dass die Bundesregierung eine abschließende, gesetzliche Regelung schafft. Kann man den polnischen Nachbarn da Hoffnung machen?

    Bothe: Das ist eine politische Entscheidung, ob man es bei dieser, zugegeben, etwas unbefriedigenden Lage, wo ja Rechtsbehauptungen einfach im Raum stehen, belässt oder ob man das auf der Ebene der Bundesrepublik letztlich einer Klärung zuführt. Diese Klärung könnte dann natürlich verfassungsrechtlich wieder zum Gegenstand von Prozessen gemacht werden, aber ob man das in dieser unsicheren Lage belässt oder ob man hier eine Klärung herbeiführt, das ist letztlich eine politische Entscheidung.

    Durak: Und möglicherweise hören wir wieder voneinander in solchen Fällen. Herzlichen Dank. Professor Michael Bothe, Völkerrechtler an der Universität Frankfurt am Main. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bothe.

    Bothe: Bitte.