Gerwald Herter: Jetzt dazu bei uns im Interview der Bremer Bürgermeister und Bundesratspräsident Jens Böhrnsen. Guten Morgen!
Jens Böhrnsen: Guten Morgen!
Herter: Herr Böhrnsen, sind Sie gegen die Beschleunigung des Wachstums in Deutschland?
Böhrnsen: Ich bin für die Beschleunigung des Wachstums in Deutschland, aber ich bin nicht für die Beschleunigung des Wachstums der Verschuldung, und das ist das Ziel (jedenfalls objektiv) des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, denn es sieht Steuersenkungen vor, eine Gegenfinanzierung ist aber nicht vorgesehen, und deswegen ist das Gesetz mit gewaltigen Steuerausfällen verbunden und das können Bund und Länder und vor allen Dingen auch die Gemeinden in Deutschland nicht tragen.
Herter: Erinnert Sie das nicht an die Konjunkturprogramme der Großen Koalition, die ja auch von der SPD, auch von Finanzminister Steinbrück mitgetragen wurden?
Böhrnsen: Es gibt historisch kein Beispiel dafür, dass es gelingt, Steuersenkungen, Steuermindereinnahmen von solchem Ausmaß wirklich durch ein dadurch ausgelöstes Wirtschaftswachstum zu finanzieren, und das wird auch in diesem Fall so sein. Hinzu kommt aber, dass natürlich einzelne Maßnahmen so absurd sind, jedenfalls unter Wachstumsgesichtspunkten, dass es ja niemanden gibt, der sie eigentlich aus diesem Grunde verteidigt, also zum Beispiel die Vergünstigung für die Hotellerie.
Herter: Wenn da mehr Leute übernachten, dann ist das auf jeden Fall ein Impuls für die Konjunktur. Wenn mehr Leute in Gaststätten und Kneipen gehen, dann verdienen Wirte mehr. Die investieren dann vielleicht in ihren Gaststätten. Warum sollte das die Konjunktur nicht ankurbeln?
Böhrnsen: Weil wir entsprechende Aussagen aus der Hotellerie haben, die solche Mechanismen nicht sehen, die Wirtschaftsweisen ähnlich. Also es gibt niemanden in Deutschland, der diese Milliarde, die dafür aufgebracht wird, als gut angelegtes Geld betrachtet. Wenn man wirklich eine Milliarde zusätzlich ausgeben will, dann sollte man sie zum Beispiel in die Bildung stecken, in die Universitäten und in die Schulen und in die frühkindliche Bildung. Das wäre gut angelegtes Geld für die Zukunft in Deutschland.
Herter: Das will die Bundesregierung ja auch machen. Was ist denn mit den Familien? Gönnen Sie denen Steuerentlastungen etwa nicht?
Böhrnsen: Das ist im Prinzip natürlich nicht zu beanstanden. Die Anhebung von Kinderfreibetrag und Kindergeld erscheint isoliert betrachtet durchaus sinnvoll. Allerdings muss man auch hier darauf hinweisen, dass dies aufgrund der progressionsabhängigen Wirkung des Kinderfreibetrages vor allem den Beziehern höherer Einkommen zugutekommt und dass zum Beispiel den Kindern im Hartz-IV-Bezug davon gar nichts bleibt, also auch insofern eine soziale Schieflastigkeit. Insgesamt muss man auf das Paket schauen, und das sind Entlastungen, Steuermindereinnahmen von rund 8,5 Milliarden Euro, und davon sollen Länder und Gemeinden 45 Prozent tragen. Das ist der Einwand, der ja insbesondere aus dem Bundesrat kommt und eben nicht allein von SPD-regierten Ländern, sondern eben auch von CDU-Ministerpräsidenten, denken Sie an den wichtigen Satz von Carstensen aus Schleswig-Holstein in einer CDU-Runde. Wie hat er gesagt? "Die haben sie doch nicht alle!" Dem würde ich mich so nicht anschließen, aber es trifft schon den Kern.
Herter: Herr Carstensen hat die ganze Sache mitbeschlossen, er war daran beteiligt. Es fällt auf, dass vor allem der Widerstand in Norddeutschland besonders groß ist: von Beust in Hamburg, Carstensen in Schleswig-Holstein und auch Sie in Bremen. Wie erklären Sie das?
Böhrnsen: Wir schauen auf unsere Haushalte. Wir haben Mindereinnahmen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise und wir können Weiteres nicht verkraften. In Schleswig-Holstein und in Bremen kommt ein Weiteres hinzu: Wir haben in der Föderalismuskommission II in diesem Jahr die Schuldenbremse beschlossen, wir wollen bis 2020 erreichen, dass die Länder ohne neue Kredite auskommen, und Schleswig-Holstein und Bremen bekommen auf diesem Wege Unterstützung, Konsolidierungshilfen. Für Bremen etwa bedeutet das, dass uns die Hälfte dessen, was wir an Unterstützung jährlich erhalten sollen, um die Schuldengrenze einhalten zu können, durch das jetzt anstehende Wachstumsbeschleunigungsgesetz und durch die weiteren Pläne der Bundesregierung, die ja dann zum 1.1.2011 in Kraft treten sollen, dass uns die Hälfte dieses Konsolidierungsbetrages genommen würde. Damit wird völlig unklar, wie man dann die Schuldenbremse einhalten soll. Das treibt Peter-Harry Carstensen in Schleswig-Holstein um, das ist mein Problem und das ist auch etwa das von Peter Müller im Saarland. Deswegen kommt aus diesen Ländern dezidiert die Frage: Wie passt es zusammen, den Ländern die Einnahmen so dramatisch zu reduzieren und auf der anderen Seite von ihnen zu Recht den Weg zu verlangen, die Schuldenbremse 2020 einhalten zu können?
Herter: Welche Art von Kompensation würden Sie denn akzeptieren?
Böhrnsen: Ich habe vor allen Dingen Sorge, dass jetzt ein politischer Basar eröffnet wird, wo einzelne Länder herausgekauft werden aus der Ablehnungsfront.
Herter: Ist der nicht schon auf, der Basar?
Böhrnsen: Das scheint, dass der offen ist. Ich finde es geradezu skandalös, wenn, wie schon andiskutiert worden ist, etwa darüber nachgedacht wird, ob das Konjunkturprogramm in seinen investiven Unterstützungen für die Länder möglicherweise dazu genutzt werden kann, um gewissermaßen Haushaltsersatzmittel zur Verfügung zu stellen. Das ist alles der falsche Weg, sondern man muss grundsätzlich die Frage klären: Was können Länder und Gemeinden an weiteren Steuermindereinnahmen ertragen? Wie muss sich der Bund verhalten? Eine Beteiligung von 45 Prozent an den Entlastungswirkungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes ist jedenfalls ein untragbares Maß.
Herter: Sehen Sie eine Linie, die da durch unionsregierte Länder und SPD-regierte Länder geht, oder glauben Sie, dass sie gemeinsam einen geschlossenen Widerstand organisieren können?
Böhrnsen: Ich setze darauf, dass es eine weitgehend gemeinsame Linie der Länder gibt, weil es im Prinzip nicht um Parteifarben geht, sondern es geht einfach darum, ob wir vor Ort in den Ländern und den Städten und den Gemeinden unsere Aufgaben erfüllen können. Das ist das, was uns eint, ob CDU oder SPD, oder die Rufe, die aus den Städten kommen. Im Präsidium des Deutschen Städtetages ist der Satz gefallen, es droht ein Aufstand der Städte. Denken Sie an Wuppertal, wo man gemeint hat, sich nicht mehr das Schauspiel innerhalb des Theaters leisten zu können. Ich muss befürchten, dass wir den Ausbau von frühkindlichen Bildungseinrichtungen und im Schulbereich und im Hochschulbereich, dass wir dort nicht die entsprechenden Mittel haben. Diese Problemlage eint uns. Keiner hat etwas dagegen – im Gegenteil: wir sind alle dafür -, das Wachstum anzukurbeln, aber mit den richtigen Instrumenten bitte.
Herter: Fürchten Sie um den Länderfinanzausgleich und stellen Sie auch den Solidaritätszuschlag vor diesem Hintergrund in Frage?
Böhrnsen: Der Länderfinanzausgleich ist 2005 in Kraft getreten, so wie er jetzt geregelt ist. Er ist bis 2019 festgeschrieben. Dann wird darüber diskutiert werden; im Moment wird es keine Mehrheiten dafür geben. Den Solidaritätsbeitrag stelle ich nicht in Frage. Ich stelle allenfalls die Frage, die ergänzende Frage, ob Solidarität in Deutschland nur nach Himmelsrichtungen orientiert ist, oder nach Notwendigkeit, und da weiß ich eben auch, dass in den alten Bundesländern auch und gerade hier und da im Norden der große Wunsch und die Notwendigkeit nach mehr Solidarität und gemeinsamer Kraftanstrengung nötig ist, um das Verfassungsziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse in Deutschland zu erreichen.
Herter: Der Bundesratspräsident und Bremer Bürgermeister, Jens Böhrnsen (SPD), im Deutschlandfunk über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Vielen Dank.
Jens Böhrnsen: Guten Morgen!
Herter: Herr Böhrnsen, sind Sie gegen die Beschleunigung des Wachstums in Deutschland?
Böhrnsen: Ich bin für die Beschleunigung des Wachstums in Deutschland, aber ich bin nicht für die Beschleunigung des Wachstums der Verschuldung, und das ist das Ziel (jedenfalls objektiv) des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, denn es sieht Steuersenkungen vor, eine Gegenfinanzierung ist aber nicht vorgesehen, und deswegen ist das Gesetz mit gewaltigen Steuerausfällen verbunden und das können Bund und Länder und vor allen Dingen auch die Gemeinden in Deutschland nicht tragen.
Herter: Erinnert Sie das nicht an die Konjunkturprogramme der Großen Koalition, die ja auch von der SPD, auch von Finanzminister Steinbrück mitgetragen wurden?
Böhrnsen: Es gibt historisch kein Beispiel dafür, dass es gelingt, Steuersenkungen, Steuermindereinnahmen von solchem Ausmaß wirklich durch ein dadurch ausgelöstes Wirtschaftswachstum zu finanzieren, und das wird auch in diesem Fall so sein. Hinzu kommt aber, dass natürlich einzelne Maßnahmen so absurd sind, jedenfalls unter Wachstumsgesichtspunkten, dass es ja niemanden gibt, der sie eigentlich aus diesem Grunde verteidigt, also zum Beispiel die Vergünstigung für die Hotellerie.
Herter: Wenn da mehr Leute übernachten, dann ist das auf jeden Fall ein Impuls für die Konjunktur. Wenn mehr Leute in Gaststätten und Kneipen gehen, dann verdienen Wirte mehr. Die investieren dann vielleicht in ihren Gaststätten. Warum sollte das die Konjunktur nicht ankurbeln?
Böhrnsen: Weil wir entsprechende Aussagen aus der Hotellerie haben, die solche Mechanismen nicht sehen, die Wirtschaftsweisen ähnlich. Also es gibt niemanden in Deutschland, der diese Milliarde, die dafür aufgebracht wird, als gut angelegtes Geld betrachtet. Wenn man wirklich eine Milliarde zusätzlich ausgeben will, dann sollte man sie zum Beispiel in die Bildung stecken, in die Universitäten und in die Schulen und in die frühkindliche Bildung. Das wäre gut angelegtes Geld für die Zukunft in Deutschland.
Herter: Das will die Bundesregierung ja auch machen. Was ist denn mit den Familien? Gönnen Sie denen Steuerentlastungen etwa nicht?
Böhrnsen: Das ist im Prinzip natürlich nicht zu beanstanden. Die Anhebung von Kinderfreibetrag und Kindergeld erscheint isoliert betrachtet durchaus sinnvoll. Allerdings muss man auch hier darauf hinweisen, dass dies aufgrund der progressionsabhängigen Wirkung des Kinderfreibetrages vor allem den Beziehern höherer Einkommen zugutekommt und dass zum Beispiel den Kindern im Hartz-IV-Bezug davon gar nichts bleibt, also auch insofern eine soziale Schieflastigkeit. Insgesamt muss man auf das Paket schauen, und das sind Entlastungen, Steuermindereinnahmen von rund 8,5 Milliarden Euro, und davon sollen Länder und Gemeinden 45 Prozent tragen. Das ist der Einwand, der ja insbesondere aus dem Bundesrat kommt und eben nicht allein von SPD-regierten Ländern, sondern eben auch von CDU-Ministerpräsidenten, denken Sie an den wichtigen Satz von Carstensen aus Schleswig-Holstein in einer CDU-Runde. Wie hat er gesagt? "Die haben sie doch nicht alle!" Dem würde ich mich so nicht anschließen, aber es trifft schon den Kern.
Herter: Herr Carstensen hat die ganze Sache mitbeschlossen, er war daran beteiligt. Es fällt auf, dass vor allem der Widerstand in Norddeutschland besonders groß ist: von Beust in Hamburg, Carstensen in Schleswig-Holstein und auch Sie in Bremen. Wie erklären Sie das?
Böhrnsen: Wir schauen auf unsere Haushalte. Wir haben Mindereinnahmen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise und wir können Weiteres nicht verkraften. In Schleswig-Holstein und in Bremen kommt ein Weiteres hinzu: Wir haben in der Föderalismuskommission II in diesem Jahr die Schuldenbremse beschlossen, wir wollen bis 2020 erreichen, dass die Länder ohne neue Kredite auskommen, und Schleswig-Holstein und Bremen bekommen auf diesem Wege Unterstützung, Konsolidierungshilfen. Für Bremen etwa bedeutet das, dass uns die Hälfte dessen, was wir an Unterstützung jährlich erhalten sollen, um die Schuldengrenze einhalten zu können, durch das jetzt anstehende Wachstumsbeschleunigungsgesetz und durch die weiteren Pläne der Bundesregierung, die ja dann zum 1.1.2011 in Kraft treten sollen, dass uns die Hälfte dieses Konsolidierungsbetrages genommen würde. Damit wird völlig unklar, wie man dann die Schuldenbremse einhalten soll. Das treibt Peter-Harry Carstensen in Schleswig-Holstein um, das ist mein Problem und das ist auch etwa das von Peter Müller im Saarland. Deswegen kommt aus diesen Ländern dezidiert die Frage: Wie passt es zusammen, den Ländern die Einnahmen so dramatisch zu reduzieren und auf der anderen Seite von ihnen zu Recht den Weg zu verlangen, die Schuldenbremse 2020 einhalten zu können?
Herter: Welche Art von Kompensation würden Sie denn akzeptieren?
Böhrnsen: Ich habe vor allen Dingen Sorge, dass jetzt ein politischer Basar eröffnet wird, wo einzelne Länder herausgekauft werden aus der Ablehnungsfront.
Herter: Ist der nicht schon auf, der Basar?
Böhrnsen: Das scheint, dass der offen ist. Ich finde es geradezu skandalös, wenn, wie schon andiskutiert worden ist, etwa darüber nachgedacht wird, ob das Konjunkturprogramm in seinen investiven Unterstützungen für die Länder möglicherweise dazu genutzt werden kann, um gewissermaßen Haushaltsersatzmittel zur Verfügung zu stellen. Das ist alles der falsche Weg, sondern man muss grundsätzlich die Frage klären: Was können Länder und Gemeinden an weiteren Steuermindereinnahmen ertragen? Wie muss sich der Bund verhalten? Eine Beteiligung von 45 Prozent an den Entlastungswirkungen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes ist jedenfalls ein untragbares Maß.
Herter: Sehen Sie eine Linie, die da durch unionsregierte Länder und SPD-regierte Länder geht, oder glauben Sie, dass sie gemeinsam einen geschlossenen Widerstand organisieren können?
Böhrnsen: Ich setze darauf, dass es eine weitgehend gemeinsame Linie der Länder gibt, weil es im Prinzip nicht um Parteifarben geht, sondern es geht einfach darum, ob wir vor Ort in den Ländern und den Städten und den Gemeinden unsere Aufgaben erfüllen können. Das ist das, was uns eint, ob CDU oder SPD, oder die Rufe, die aus den Städten kommen. Im Präsidium des Deutschen Städtetages ist der Satz gefallen, es droht ein Aufstand der Städte. Denken Sie an Wuppertal, wo man gemeint hat, sich nicht mehr das Schauspiel innerhalb des Theaters leisten zu können. Ich muss befürchten, dass wir den Ausbau von frühkindlichen Bildungseinrichtungen und im Schulbereich und im Hochschulbereich, dass wir dort nicht die entsprechenden Mittel haben. Diese Problemlage eint uns. Keiner hat etwas dagegen – im Gegenteil: wir sind alle dafür -, das Wachstum anzukurbeln, aber mit den richtigen Instrumenten bitte.
Herter: Fürchten Sie um den Länderfinanzausgleich und stellen Sie auch den Solidaritätszuschlag vor diesem Hintergrund in Frage?
Böhrnsen: Der Länderfinanzausgleich ist 2005 in Kraft getreten, so wie er jetzt geregelt ist. Er ist bis 2019 festgeschrieben. Dann wird darüber diskutiert werden; im Moment wird es keine Mehrheiten dafür geben. Den Solidaritätsbeitrag stelle ich nicht in Frage. Ich stelle allenfalls die Frage, die ergänzende Frage, ob Solidarität in Deutschland nur nach Himmelsrichtungen orientiert ist, oder nach Notwendigkeit, und da weiß ich eben auch, dass in den alten Bundesländern auch und gerade hier und da im Norden der große Wunsch und die Notwendigkeit nach mehr Solidarität und gemeinsamer Kraftanstrengung nötig ist, um das Verfassungsziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse in Deutschland zu erreichen.
Herter: Der Bundesratspräsident und Bremer Bürgermeister, Jens Böhrnsen (SPD), im Deutschlandfunk über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Vielen Dank.