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Volker Bertelmann alias "Hauschka"
"Meine Musik ist wie ein Highspeed-Zug"

Er wird als Erbe der Minimal-Music-Koryphäe Philip Glass bezeichnet, und findet selber, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt: Der Komponist Volker Bertelmann, besser bekannt unter dem Künstlernamen Hauschka. Er sprach im Deutschlandfunk über Oscar-Chancen, Rhythmus, Opern und seine neue Platte.

Volker Bertelmann "Hauschka" im Corso-Gespräch mit Fabian Elsäßer | 31.01.2017
    Der deutsche Komponist und Pianist Volker Bertelmann, bekannt unter dem Künstlernamen Hauschka
    Der deutsche Komponist "Hauschka" ist für einen Oscar für den Soundtrack zu dem Film "Lion" nominiert. (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Fabian Elsäßer: Der Regisseur Peter Sellars hat einmal über die Musik von Philip Glass folgenden schönen Satz gesagt: Das ist ein bisschen wie bei einer Zugfahrt durch Amerika. Wenn Sie aus dem Fenster schauen, dann scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, dann merken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich. Na ja, es muss ja einen Grund geben, warum man die Musik des US-Amerikaners als Minimal Music bezeichnet, ihn gar als Mitbegründer dieses Genres sieht neben Steve Reich. Berühmt ist Glass vor allem für seine Miniaturen am Klavier, nicht mal eine Handvoll Noten, die sich einer langen Welle gleich endlos zu wiederholen scheinen. Heute wird er 80 Jahre alt.
    Zugeschaltet ist uns jetzt ein Komponist, der eine ganze Generation jünger ist und den man selbst mit etwas großzügigem Hörverständnis als Minimalist oder als Glass-Erbe einordnen könnte. Die Musikstammbaumseite Inflooenz.com listet Glass jedenfalls als wichtigen Einfluss für ihn, für Volker Bertelmann aus Düsseldorf, besser bekannt unter dem Künstlernamen Hauschka, der derzeit noch mal einen zusätzlichen Bekanntheitsschub erlebt, weil er nämlich für den Soundtrack für den Film "Lion" für einen Oscar nominiert ist. Herzlich willkommen zum "Corso"-Gespräch, Herr Bertelmann!
    Volker Bertelmann: Hallo, guten Tag!
    Elsäßer: Ja, können Sie damit leben, Philip Glass als Einfluss, Sie als Erbe?
    Bertelmann: Nein, absolut. Also, es gibt natürlich sehr viele Gemeinsamkeiten. Ich finde, dass Philip Glass‘ Musik halt auch eine sehr große Verbindung zur elektronischen Musik hat, wo ich ja sozusagen eher vielleicht herkomme und wo halt sehr viele repetitive Elemente stattfinden, die sich halt sehr langsam verändern. Und die Beschreibung mit dem Zug ist eigentlich sehr treffend.
    Elsäßer: Leider nicht von mir.
    Bertelmann: Nein, es ist aber trotzdem, was ich eigentlich ganz schön finde, dass es ja trotzdem auch immer wieder Ausbrüche von solchen Komponisten gibt, wo sich sie vielleicht noch mal andere Sachen ausprobieren oder vielleicht auch mal sehr plötzlich nicht mehr so repetitiv sind, dann auch wieder zurückfallen. Also, bei den Komponisten kann man auf jeden Fall sehr gut merken, dass sie eine sehr starke Verbindung auch zur Pop- und Rockmusik haben, was ja bei vielen Komponisten jetzt nicht so der Fall ist.
    Elsäßer: Würden Sie sagen, und man hört die bei Glass, diese Verbindung?
    "Der Rhythmus ist für mich was sehr Treibendes"
    Bertelmann: Absolut. Also, ich finde, diese rhythmische Verschränkung von Motiven und auch die Betonung, Synkopen, also was ja bei Steve Reich genau das Gleiche ist, also. Man hat halt manchmal das Gefühl, man schließt die Augen und könnte eigentlich, wenn das mit einem Synthesizer gespielt wird, könnte man Ambientmusik hören oder vielleicht auch manchmal Techno.
    Elsäßer: Können Sie sich noch erinnern, wie Sie auf ihn gestoßen sind und wie so die ersten Höreindrücke waren?
    Bertelmann: Ich bin auf ihn recht spät gestoßen, weil, eigentlich war ich jemand, der Steve Reich vorher gehört hat. Und ich bin dann eigentlich über ihn … Da gibt es halt sehr viele Ähnlichkeiten. Und ich glaube allerdings, das erste Mal wirklich ihn gehört zu haben bei "Koyaanisqatsi", bei dem Film.
    Elsäßer: Sie haben gerade zwei Stichworte uns mal angeboten, nämlich Techno und dann Repetition. Also, es gibt ja zum Beispiel das Ensemble Brandt Brauer Frick, das Techno mit analogen Instrumenten, mit handgemachten Tönen macht, und Ihre Musik – gerade wenn man sie remixt wie zum Beispiel … ich habe da das Album "Salon des Amateurs", die Remixe in Erinnerung und noch im Gehörgang –, da ist das, finde ich, ähnlich, eben so was stark Repetitives. Wie wichtig ist das rhythmische Element in der Musik von Hauschka?
    Bertelmann: Sehr wichtig. Der Rhythmus ist halt für mich was sehr Treibendes, gibt auch der Musik gewisse Erdung. Ich finde, vor allem als Pianist ist man ja jetzt nicht immer so autark, was den Rhythmus angeht, obwohl es ja eigentlich ein sehr rhythmisches Instrument ist, vor allem wenn man es dann präpariert, wird es eigentlich fast schon zu einem Schlagzeug. Und das gefällt mir sehr gut, dass ich zwischen diesen Elementen hin- und herspringen kann.
    Und was mir auch sehr gut gefällt, vor allem an der Repetition, ist halt, dass es im Prinzip eine gewisse Zeit braucht, um sich daran zu gewöhnen. Also, der Zuhörer braucht erst mal … weiß ich nicht genau, wie lange, aber ich würde mal sagen: mindestens zehn Minuten, um sich quasi in so eine Akzeptanz zu begeben, um zu sagen, okay, jetzt ist es halt so, es wiederholt sich. Und dann fängt man aber plötzlich an, quasi die Feinheiten zu bemerken, und man verliert halt das Gefühl für Zeit. Und das finde ich eigentlich in der heutigen Zeit eine unglaubliche, große Qualität.
    Elsäßer: Da sind wir dann wieder bei der Landschaft, die vorbeizieht, oder?
    Bertelmann: Richtig, absolut. Also, wenn ich zum Beispiel meine Musik beschreibe im Konzert, sage ich oft, was sehr interessant ist, dass Peter Sellars das ähnlich beschrieben hat, ich sage halt oft, dass meine Musik wie ein Highspeed-Zug, also eine Highspeed-Zugfahrt ist mit offenen Fenstern, also wo man eigentlich die ganze Zeit während der Geschwindigkeit halt ganz viele Eindrücke bekommt, die aber auch wechseln. Aber der Zug fährt halt. Und das ist eigentlich für mich wie so ein Bild, das hält sozusagen alles zusammen, die Richtung.
    Elsäßer: Eine Zugfahrt spielt ja auch eine ganz schicksalhafte zentrale Rolle in dem Film "Lion". Die Geschichte eines indischen Waisenkindes, das dann später schon als junger Mann von Australien aus wieder seine Jugend entdeckt. Und bei diesem Film sind Sie beteiligt, zusammen mit Dustin O’Halloran, und Sie sind sogar für den Oscar nominiert mit diesem Soundtrack. Fanden Sie das einen lustigen Zufall, dass ausgerechnet eine Zugfahrt da so eine Rolle spielt und Sie mit diesem, sage ich mal, Zugbild so gerne Ihre Musik beschreiben, insofern passt das?
    Bertelmann: Nein, es ist eigentlich genau, wie Sie ja sagen … Weil, als ich in Melbourne ein Konzert spielte und der Regisseur Garth Davis zu meinem Konzert kam, hatte ich in dem Konzert genau diese Metapher sozusagen benutzt und meine Musik versucht zu beschreiben. Genau dieser Satz hat ihn eigentlich total angesprochen. Und er ist dann nach dem Konzert zu mir gekommen und hat gefragt, ob wir mal uns über den Film unterhalten könnten. Und da es bei ihm halt diese Zugfahrt, die findet ja auch in Indien statt, es ist eine sehr wilde, ja, gesellschafts… sehr viele Geräusche, Menschen leben … Es gibt ja ein ganz anderes Tempo in diesen Städten und auch viel, viel mehr Menschen. Er konnte sich halt vorstellen, dass meine Musik, die ja sehr geräuschbetont ist und sehr haptisch eigentlich ist, dass die vielleicht für diesen indischen Teil sehr toll wäre.
    Elsäßer: Denn, ich sage mal, Sie machen ja glaube ich mehr die Kindheitsvertonung, O’Halloran dann eher die Suche des Erwachsenen.
    "Die nächste Platte beschäftigt sich mit Fragen der Zukunft"
    Bertelmann: Das war die Grundidee, die am Anfang stand. Die haben wir aber recht … Ich glaube, innerhalb der ersten Woche haben wir die Idee weg, auf die Seite getan und haben gemeinsam mit dem Regisseur dann überlegt, dass es eigentlich ja die Begleitung von Saroos Leben ist, von seiner Kindheit bis zu seinem Erwachsenwerden und dass die Musik sich eigentlich mischen muss. Und insofern haben wir dann angefangen, Dustin und ich, die Musik eigentlich komplett zu mischen und alle Cues, also alle Musikthemen zusammen zu schreiben. Da hat einfach manchmal der Teil von Dustin ein bisschen mehr Übergewicht, manchmal meiner.
    Aber es ging da auch gar nicht darum, dass wir irgendwie miteinander kämpfen, sondern es ging vor allem … Gerade mit ihm war es halt ein unheimlich tolles Arbeiten, weil es überhaupt nicht um irgendwelche Profilierungsgeschichten ging, sondern wir haben halt einfach Spaß gehabt und uns gefreut, dass wir es schaffen, über eine Diskussion und über eine Themenentwicklung sozusagen dem Film was zu geben, was sehr schwierig war.
    Elsäßer: Sie haben vorhin betont, dass die Geräuschhaftigkeit in Ihrer Musik einen wichtigen Platz hat, auch eben der Rhythmus. Jetzt werden Sie aber öfter mal in diese Neoklassikecke gestellt oder kriegen dieses Label aufgedrückt, das kriegt zum Beispiel auch Francesco Tristano. Und der hat mal gesagt: Also, verglichen mit Strawinksy oder so, da seien seine eigenen Kompositionen gar nicht so anspruchsvoll. Aber er meint das überhaupt nicht abwertend, weder auf die Musik, noch auf den Hörer bezogen. Finden auch Sie sich da wieder, mit Ihrem musikalischen Selbstverständnis?
    Bertelmann: Also, ich finde mich zum Beispiel zum ersten Mal sehr wieder in der Nichtzugehörigkeit zu dieser Neoklassikbewegung, weil, erst mal ist der Begriff nicht richtig.
    Elsäßer: Ich habe ihn nicht erfunden.
    Bertelmann: Nein, ich weiß, ich auch nicht! Aber der wird dann ja … ist dann halt irgendwann draußen und es ist auch so, dass, ich finde, es sehr gravierende Unterschiede gibt zwischen den Menschen, die oft in dieser Gruppe zusammengefasst werden. Und ich bin ja zum Beispiel im Moment dabei, für viele klassische Ensembles Stücke zu schreiben, und ich versuche, für mich so eine Sprache herauszufinden oder auch vielleicht die Zeit darein zu investieren, vielleicht dem sich ein bisschen anzunähern, also der Komplexität, ohne dass es halt sich anhört wie aus einer Zeit von vor 200 Jahren oder 100 Jahren.
    Elsäßer: Es gibt auf der Seite des Goethe-Instituts einen großen Artikel über Neoklassik, und da werden Sie alle in einen Topf geschmissen.
    Bertelmann: Ich weiß, und das Problem ist einfach, das müssen die Leute … Diese Therapien müssen sie sich selbst geben, wenn sie halt zu einem Konzert von mir kommen und erwarten, dass man mit seiner Freundin im Arm über vergangene Zeiten oder vielleicht Zeiten vor einem träumen kann, dann ist das halt nicht immer möglich.
    Elsäßer: Nee, Sie machen halt Musik zu Abrissgebäuden, ne?
    Bertelmann: Zum Beispiel. Da sind auch …
    Elsäßer: Das hatten Sie doch mal, die leerstehenden … Oder verwechsele ich Sie gerade?
    Bertelmann: Nee, das stimmt.
    Elsäßer: Nee, das waren Sie.
    Bertelmann: "Abandoned City", genau.
    Elsäßer: Genau, genau, das waren Sie!
    Bertelmann: Genau. Die nächste Platte kommt ja am 31. März raus und die beschäftigt sich eigentlich mit so Fragen der Zukunft und ja eigentlich der Utopien, in denen man lebt, wo meine Kinder vielleicht irgendwann in 30 Jahren aufwachsen. Da sind auch romantische Gefühle natürlich bei, aber im weitesten Sinne interessieren mich eigentlich die Themen, die quasi auch einen gewissen Gehalt haben. Ich möchte eigentlich für mich jetzt nicht so am Klavier sitzen und die ganze Zeit das Gefühl haben, jemand steht am Klavier und sagt: Ach, wie wundervoll, wie schön, ach, wie toll, jetzt brauchen wir nur noch die Augen schließen!
    Elsäßer: Könnten Sie sich auch mal eine Oper vorstellen, wie Philip Glass das ja auch macht?
    Bertelmann: Absolut! Das ist aber für mich auch immer eine Frage der Geschichte. Ich habe ja schon mal Musik geschrieben für ein Remake vom "Fliegenden Holländer" von dem Hamburger Schauspielhaus, und das war für mich schon … hatte so Züge von einer Oper. Also, das hatte halt sehr viele orchestrale Teile, wir hatten auch ein klassisches Ensemble, es gab viele Gesangspassagen. Und es war aber jetzt eher ein Musiktheater als eine Oper. Aber ich bin an solchen Werken und an thematischen Ausarbeitungen sehr interessiert, weil es einen herausfordert, wie ein Film auch, wo man mit jemandem, der eine Vorstellung hat, oder mit mehreren Menschen zusammenarbeiten muss und versucht, irgendwie möglichst einen starken Ausdruck zu erzeugen.
    Elsäßer: Volker Bertelmann alias Hauschka, mit ihm sprachen wir über den Einfluss des Komponisten Philip Glass, der heute 80 Jahre alt wird. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.