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Volksabstimmung zum UNO-Beitritt in der Schweiz

    Meurer: Es war spannend gestern in der Schweiz, deutlich spannender als 1986. Damals scheiterte die erste Volksabstimmung zum UNO-Beitritt der Schweiz klar und deutlich. Gestern aber entschieden sich die Schweizer mit knapper Mehrheit, nämlich 55 Prozent Ja-Stimmen, dafür. Noch knapper war der Vorsprung der sogenannten Kantonsmehrheit: 12 Kantone sagten ja, 11 nein. Bei Verfassungsänderung in der Schweiz muss es eine doppelte Mehrheit geben. Damit wird die Schweiz, die bislang eine Mitgliedschaft für nicht vereinbar mit ihrer Neutralitätspolitik hielt, das 190. Mitglied der Vereinten Nationen. Am Telefon begrüße ich nun den Außenminister der Schweiz, Joseph Deiss. Guten Morgen, Herr Deiss.

    Deiss: Guten Morgen.

    Meurer: Wie wichtig ist die Entscheidung von gestern für die Schweiz?

    Deiss: Für unser Land ist das sicher ein Quantensprung im Vergleich zum Ergebnis aus dem Jahre 1986, das Sie soeben erwähnt haben. Das Resultat ist deutlicher als man meinen kann. 55 Prozent Zustimmung für das Volksmehr ist bei einer Initiative schon ein sehr solides Ergebnis. Beim Ständemehr, das ist klar, war es knapp, aber mit einer Stimme Vorsprung haben wir es geschafft.

    Meurer: Trübt diese eine Stimme Vorsprung bei der Kantonsmehrheit das Ergebnis ein klein wenig?

    Deiss: Ich glaube, im nachhinein ist das Ergebnis das Ergebnis. Wichtig ist ja, dass wir beitreten und dass wir nicht zu 50 Prozent, sondern vollständig beitreten. Aber innenpolitisch ist es immer wichtig, den Gründen der Nein-Stimmenden nachzugehen und zu sehen, was sie dazu geführt haben könnte. Bei uns in der Politik ist ja der Minderheitenschutz auch ein sehr wichtiges Element.

    Meurer: Drückt sich, Herr Deiss, in der Entscheidung für den UNO-Beitritt ein verändertes Selbstverständnis der Schweiz aus?

    Deiss: Ich glaube, es gibt zwei Dinge: vielleicht ein verändertes Selbstverständnis, insofern eine gewisse Scheu und Zurückhaltung aufgegeben wird und das Bewusstsein entsteht, dass wir, ohne unsere Grundwerte aufzugeben, dort mitreden können, wo das Weltgeschehen bestimmt wird. Auf der anderen Seite ist es aber auch die Erkenntnis, das sich in der Welt oder in der UNO vieles geändert hat und somit eine andere Haltung angebracht ist.

    Meurer: Haben die Ereignisse des letzten Jahres, nicht nur der 11. September in den USA, sondern auch all das was in der Schweiz selbst passiert ist, der Amokläufer in Zug, die Swissair-Katastrophe, der Brand im Gotthard-Tunnel dazu beigetragen, dass die Schweizer jetzt anders denken?

    Deiss: Ich glaube, solche Ereignisse hätten uns eher einen Strich durch die Rechnung machen können, insofern in der Schweiz außenpolitische Vorlagen immer sehr umstritten sind. Gestern war die Teilnahme wieder überdurchschnittlich hoch - die höchste seit 10 Jahren -, und solche Ereignisse können eher einen negativen Einfluss auf solche Abstimmungen haben. Dadurch aber, dass die UNO sich als fähig erwiesen hat, die Krisen, die nach dem 11. September auf uns zukamen, doch zu bewältigen oder wenigstens Lösungsansätze zu finden, hat dazu geführt, dass sich der 11. September und auch die anderen Ereignisse nicht so negativ auswirken konnten.

    Meurer: Was bringt es denn der Schweiz, Mitglied in der UNO zu sein?

    Deiss: Das bringt die Möglichkeit, mitzureden und mitzubestimmen. Bisher war die Schweiz zwar auf ihrer Beobachterbank ein wichtiges Mitglied, was die Beiträge anbetrifft - wie sind 14. Staat, was die Gesamtbeiträge an das UNO-System anbelangt -, und auf der anderen Seite hatten wir kein Mitspracherecht. Ich glaube für ein souveränes Land, wie auch die Schweiz, ist das nicht befriedigend. Weiter geht es uns darum, in der UNO unsere eigenen Anliegen vorzubringen oder die Themen einzubringen, die für uns wichtig sind - ich denke z.B. an Vorschläge, die wir im Bereich der Sanktionen machen wollen -, oder ganz allgemein festzustellen, dass sich heute eine friedensfördernde Politik eben innerhalb der UNO abspielt und nicht außerhalb.

    Meurer: Wird die Schweiz künftig auch Blauhelme den Vereinten Nationen für Missionen zur Verfügung stellen?

    Deiss: Das ist ein Entscheid, der nicht vom gestrigen Sonntag abhängig ist. Wir haben letztes Jahr im Juni bereits über eine Änderung unseres Militärgesetzes abgestimmt, das nun vorsieht, dass es bei friedenserhaltenden Operationen mit UNO- oder OSZE-Mandat durchaus möglich ist, dass die Schweiz auch Truppen stellt, was wir übrigens im Kosovo, mit zwar relativ bescheidenen Zahlen, aber doch immer vom Grundsatz her ebenso wichtig, getan haben.

    Meurer: Mancher fragt sich jetzt, Herr Deiss, ob der Entscheidung von gestern und dem angesagten Beitritt in die UNO weitere außenpolitische Öffnungsschritte der Schweiz folgen?

    Deiss: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir hier mit viel Überlegung vorangehen und die verschiedenen Themen nicht miteinander vermischen. Es wurde natürlich gestern auch des öfteren gefragt, ob dieser Entscheid auf unsere Europa-Politik, insbesondere im Hinblick auf einen EU-Beitritt, eine Rolle spielen könnte. Der Bundesrat hat immer großen Wert darauf gelegt zu zeigen, dass sich diese Themen nicht vermengen und wir unsere Europa-Politik unabhängig von jener innerhalb der UNO gestalten wollen. Hier ist unser Weg gezeichnet, indem wir einerseits die bilateralen Verträge nun umsetzen wollen, neue Verträge in den kommenden Monaten aushandeln werden, eine Beitrittsfrage allerdings erst auf die nächste Legislaturperiode verschieben wollen, das heißt, es wird gegenwärtig nicht über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gesprochen.

    Meurer: Die nächste Legislaturperiode beginnt, wenn ich es richtige sehe, 2003 und dauert bis 2007. Könnte in dieser Zeit der EU-Beitritt wieder ein Thema werden?

    Deiss: Der Bundesrat hat angekündigt, er werde sich in diese Zeitspanne die Frage erneut stellen, ob eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen angebracht sei. Bis dahin wollen wir die wichtigen Fragen, die mit einem Beitritt verbunden sind - Innenpolitik, die föderalistische Struktur, die Positionen der Kantone in einem Beitrittsszenario, oder auch, wie es mit unserer direkten Demokratie innerhalb der EU sein würde - besprechen. Solche Fragen müssen wir gründlich abklären, damit wir unseren Leuten auch sagen können, was mit einem Beitritt verbunden wäre. Das ist also noch mit viel Arbeit verbunden. Vorläufig geht es uns darum, uns zu nähern. Wir hoffen, am 01. Mai dieses Jahres die sieben bilateralen Verträge, inklusive Freizügigkeit der Personen, einzuführen. Das wird uns schon viel konkrete Erfahrungen bringen.

    Meurer: Der Außenminister der Schweiz, Joseph Deiss, nach der Volksabstimmung von gestern bei uns heute früh im Deutschlandfunk. Herr Deiss, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio