Freitag, 19. April 2024

Archiv


Volksentscheid gegen "Abzocker" hat Signalwirkung

Rund 68 Prozent der Schweizer haben per Volksentscheid dafür gestimmt, dass künftig die Aktionäre über die Bezahlung von Geschäftsleitung und Aufsichtsrat entscheiden. Ein eindeutiges Ergebnis, das auch für andere europäische Länder Signalwirkung habe, erklärt Andreas Gross, Mitglied im Schweizer Nationalrat.

Andreas Gross im Gespräch mit Bettina Klein | 04.03.2013
    Bettina Klein: Beobachter erwarten durchaus eine Signalwirkung, die von der gestrigen Volksabstimmung in der Schweiz für Europa ausgehen könnte: Begrenzung der Managervergütungen, die von nun ab durch die Aktionäre festgelegt wird.
    Die ersten Reaktionen hierzulande in Deutschland klingen durchaus positiv.
    Wir bleiben noch mal einen Augenblick im Land selbst. Am Telefon begrüße ich Andreas Gross, Schweizer Nationalrat für die Sozialdemokraten in Bern. Seine Partei hat dieses Volksbegehren schwer befürwortet. Guten Morgen, Herr Gross!

    Andreas Gross: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Wie ist dieses Ergebnis zu erklären, gerade dass es so deutlich ausfiel?

    Gross: Es ist, wie gesagt wurde, ein Empörungsschrei der Mehrheit der Leute, die normal verdient, gegenüber jenen Managern, die sich, wie diese Leute den Eindruck haben, selbst bedient haben im Reichtum einer Firma, eines Unternehmens, und es gibt den Aktionären jetzt das Recht, diese Löhne zu kontrollieren. Das war eigentlich die Hauptsache.

    Klein: Der Widerstand war bis zuletzt stark, gerade aus der Wirtschaft, das Votum der Bürger nun ziemlich klar. Heißt das, es geht auch eine Art Riss durch die Schweiz im Moment?

    Gross: Also wenn es nur ein Riss wäre, wäre ich schon zufrieden. Es gibt viele, viele Risse in der Schweiz. Aber es gibt sicher einen Riss: Einer dieser Risse ist der von oben und unten, obwohl unten in der Schweiz relativ ist. Die Schweiz ist eine Mittelklasse-, Mittelschichtgesellschaft. Aber es gibt einige, die sozusagen die Bodenhaftung, den Bodenkontakt verloren haben, wie der Herr Vasella zum Beispiel, der ehemalige Chef der Novartis – und das hat noch einen Effekt gegeben auch in der Abstimmung -, der sich in den letzten Wochen noch glaubte, einen Bonus für seinen Abgang von 72 Millionen Franken, also 60 Millionen Euro zuschreiben zu dürfen. Das hat die Leute entsetzt und das geht nicht, und in dieser Beziehung ist die Schweiz wie oft auch ein europäisches Land in dem Sinne, dass viele Leute den Eindruck haben, ihre Bedürfnisse werden missverstanden, werden nicht gehört, und einige wenige obere Privilegierte nehmen sich zu viel raus, und in der Schweiz haben die Leute eben das Instrument, sich zur Wehr zu setzen, wenn sie dann genug haben.

    Klein: Herr Gross, wir haben aber gerade auch einen Vertreter der Schweizer Wirtschaft gehört, der sich nach anfänglichem Widerstand jetzt offenbar doch sehr einsichtig gezeigt hat und erklärt hat, man werde dieses Gesetzesvorhaben mit aller Kraft unterstützen. Also da ist Einsicht offenbar vorhanden auf der Seite?

    Gross: Nein, das ist die politische Kultur in der Schweiz. In der Schweiz darf auch ein Minister Minister bleiben, sogar auch ein Ministerpräsident darf Chef bleiben, wenn er bereit ist, zu lernen. Das ist auch der große Sinn einer direkten Demokratie, dass die Gesellschaft besser und schneller lernt und dass die Mehrheit sagen darf, wohin dann der Lernprozess gehen soll. Und wenn man bereit ist zu lernen, darf man seine Stellung, seinen Posten behalten. Das gilt auch für den Wirtschaftsverband. Der hat mit acht Millionen diese Initiative bekämpft und er hat sie auch bekämpft aus strategischen Gründen, weil es kommen noch einige Volksabstimmungen zu sozialen Fragen und er wollte von vornherein diesen Initiativen den Wind aus den Segeln nehmen und das hat nicht geklappt.

    Klein: Die Wirtschaftsvertreter und Manager schwenken also offenbar auf Volkesmeinung um?

    Gross: Mindestens am Sonntagabend. Wie Sie aber auch gehört haben richtigerweise vom Korrespondenten: Es gibt Bemühungen, wie er gesagt hat, der Teufel liegt im Detail, dann in der Umsetzung wieder zurückzurudern. Aber das wird wahrscheinlich nicht klappen, weil das Ergebnis ist so eindeutig und so erschlagend für diese Leute, dass sie den Verfassungstext jetzt möglichst wortgetreu umsetzen müssen im Gesetz.

    Klein: Bei welchen Details erwarten Sie dann noch Schwierigkeiten und wer könnte wie viel Druck dagegen noch ausüben?

    Gross: Ja es gibt sehr viele Leute, die sehr viel Druck ausüben können auf das Parlament, das mit der gesetzlichen Umsetzung betraut ist. Es geht darum: In der Verfassung stehen jetzt Muss-Artikel, keine Kann-Formulierungen, und der Unterschied ist genau das Wasser im Wein und da werden einige versuchen, noch viel Wasser in den Wein zu schütten. Aber das Schöne ist: Wenn die gesetzliche Umsetzung dem Herrn Minder und auch den Initianten nicht gefällt, dann kann er das Referendum dagegen ergreifen und dann gibt es eine zweite Abstimmung und dann kann, wenn die Stimmung so bleibt, wiederum die radikale Position sich zum Durchbruch verhelfen.

    Klein: Noch mal zum Verständnis, Herr Gross. Welche Detailfragen zum Beispiel müssen jetzt nicht umgesetzt werden, weil das so nicht vorgesehen ist von der Verfassung?

    Gross: Es gibt keine Detailfragen, die nicht umgesetzt werden müssen. Zum Beispiel wie stark die Aktionäre die Managergehälter beschränken können, das steht in der Verfassung sehr explizit und das muss umgesetzt werden. Sonst werden die Initianten gegen die gesetzliche Umsetzung wiederum das Referendum ergreifen und eine Volksabstimmung provozieren. Dann gibt es diese Muss-Formulierungen, diese bestimmten Formulierungen, die können nicht infrage gestellt werden, auch wenn das einige Leute versuchen werden.

    Klein: Aber was kann infrage gestellt werden?

    Gross: Eben die Macht der Aktionäre. Der Herr Minder hat nicht gesagt, so wie euer FDP-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen gesagt hat, es geht nicht um eine staatliche Macht, sondern per Verfassung haben die Aktionäre bei uns jetzt die größte Macht in Bezug auf die Gehaltsgestaltung der Manager, und diese Macht wird nicht infrage gestellt werden können, weil sie in der Verfassung steht.

    Klein: Schauen wir mal auf die Argumente der Gegner, jetzt mal allgemein betrachtet. Es wird immer wieder Vertragsfreiheit angeführt, auch die Furcht der Abwanderung von großen Wirtschaftsunternehmen, das Argument, dass solche Regeln eh unterlaufen werden könnten, wenn es Unternehmen nützt. Sind die alle komplett entkräftet Ihrer Meinung nach?

    Gross: Nein, das stimmt schon. Das große Problem liegt darin, dass die einen behauptet haben, dass die Manager sozusagen der Firma mehr Sorge tragen als die Aktionäre, die manchmal auch kurzfristige Interessen haben, also die berühmten Heuschrecken, wie in Deutschland vor einigen Jahren gesagt wurde. Das hat ein Stück Wahrheit und das haben einige Leute auch gesagt, beziehungsweise der Herr Minder selber auch im Interview in Ihrem Beitrag. Er zielte auf die Mitte, er wollte keine sozialistische Revolution und so weiter. Der Dachverband hat die Urteilsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger unterschätzt, weil er mit Angstparolen argumentierte, die sich nicht durchsetzen konnten. Auch auf der anderen Seite ist nicht sicher: In England, wo zum Teil diese schweizerischen Möglichkeiten auch schon existieren, zeigt sich, dass die Aktionäre aus Identifikation, aus Stolz zur Firma oft den Managern Gehälter zubilligen, die normale Bürger diesen verwehren würden, und da wird sich dann noch erweisen, wie kantig und wie mächtig dieses Instrument wirklich nun sein wird, das jetzt die Aktionäre in der Schweiz bekommen haben.

    Klein: Herr Gross, abschließend: Hoffen Sie auf eine große Signalwirkung für den europäischen Kontinent oder für die EU?

    Gross: Ich hoffe nicht. Ich bin sicher, dass das passiert, weil die Europäer, wie schon auch gesagt wurde, in der Reaktion in Deutschland. Es bestätigt zum Beispiel den Beschluss letzte Woche im Europaparlament, die Boni zu deckeln, also Maximalgrenzen einzusetzen. Die Schweiz ist eine moderne Gesellschaft, eine europäische Gesellschaft, und was in der Schweiz zum Ausdruck kommt, das existiert mehr oder weniger auch in anderen Ländern, und deshalb werden diese Länder, auch wenn sie keine Volksentscheide interpretieren können, das Schweizer Ergebnis als Anstoß nehmen, hier auch Grenzen zu setzen, die aber vielleicht durch die Kultur mehr existiert haben als in der Schweiz, wo man wirklich den Eindruck hatte, gewisse Manager hätten die Firma als Selbstbedienungsladen interpretiert.

    Klein: Die Einschätzung von Andreas Gross, für die Sozialdemokraten Mitglied im Schweizer Nationalrat, zur gestrigen Volksabstimmung zur Begrenzung der Managerbezüge. Ich bedanke mich für das Gespräch und einen schönen Tag noch Ihnen.

    Gross: Gerne auch. Auf Wiedersehen, Frau Klein!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.