![Ein Mann schwenkt die syrische Oppositionsflagge auf einem Denkmal auf dem zentralen Umayyad-Platz in Damaskus. Ein Mann schwenkt die syrische Oppositionsflagge auf einem Denkmal auf dem zentralen Umayyad-Platz in Damaskus.](https://bilder.deutschlandfunk.de/41/72/12/a8/417212a8-96a7-43ef-8892-657296273ec6/syrien-sturz-al-assad-100-1920x1080.jpg)
In der Geschichte Syriens verlief das Zusammenleben meist vergleichsweise friedlich. Mit dem Bürgerkrieg ab 2011 entstanden dramatische soziale und politische Spannungen. Hier ein kleiner Überblick:
Sunniten und Schiiten in Syrien
Weltweit gehören der islamischen Konfession des Sunnitentums etwa 85 Prozent der Muslime an. Vor Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 machten syrischeSunniten Schätzungen zufolge etwa drei Viertel der Bevölkerung Syriens aus. Vor allem Araber und Kurden bekennen sich zum Sunnitentum. Da die letzte Volkszählung 1962 stattfand, sind die Zahlen jedoch unsicher.
Der Begriff Sunniten stammt vom arabischen Wort für Überlieferung (Sunna). Sunniten glauben, dass der Kalif durch Konsens und Wahl aus der Gemeinschaft bestimmt werden sollte. Die zweite große islamische Konfession des Schiitentums hingegen ist überzeugt, dass die Nachfolge in der Familie des Propheten bleiben muss. Nach dem Tod des Propheten Mohammed hätte die Nachfolge demnach bei dessen Schwiegersohn Ali liegen müssen. Diese Meinungsverschiedenheit führte zu religiösen, politischen und sozialen Unterschieden, die bis heute bestehen. Der Bevölkerungsanteil der Schiiten in Syrien bewegt sich im unteren Prozentbereich. Viele Schiiten verlassen derzeit aus Angst vor den neuen Herrschern das Land.
Alawiten - die Glaubensgruppe, der auch die gestürzte Herrscherfamilie al-Assad angehört
Die Alawiten, die nicht mit den Aleviten zu verwechseln sind, haben sich aus den schiitischen Wurzeln des Islams entwickelt. Sie leben heute vor allem in Syrien und hatten im Land vor allem deshalb eine große Bedeutung, weil die Herrscherfamilie al-Assad zu dieser religiösen Minderheit zählt.
Der Glaube der Alawiten verbindet verschiedene Einflüsse miteinander, darunter Elemente von Islam, Christentum und älterer Glaubensüberzeugungen. Ihre Religion reicht bis ins 9. Jahrhundert zurück. Glaubenslehren und religiöse Rituale sind nur eingeweihten Männern zugänglich. Frauen sind von den Zeremonien ausgeschlossen, da sie als sündig gelten. Zu den religiösen Festen gehören unter anderem das persische Neujahr, Weihnachten und das islamische Fastenbrechen.
Christen - eine Wiege des Christentums steht in Syrien
Vor der islamischen Eroberung im siebten Jahrhundert war das Gebiet des heutigen Syriens mehrheitlich christlich geprägt. Es bestanden Zentren der Theologie und des Mönchtums. Viele bedeutende Kirchenväter-Schriften entstanden dort. Die berühmte Umayyaden-Moschee in Damaskus war ursprünglich eine Kirche. Die ältesten christlichen Stätten des Landes befinden sich in Maalula, Derya, Homs, Aleppo und Damaskus. Syrien gilt als Wiege des Christentums.
Die größten Gemeinschaften bilden heute die syrisch-orthodoxe Kirche mit dem Patriarchat in Damaskus und die griechisch-orthodoxe Kirche. Daneben gibt es noch armenisch-orthodoxe Christen und die mit Rom verbundenen Ostkirchen. Die Zahl der römisch-katholischen Christen ist eher gering. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa sieben Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 geben.
Gesellschaftlich gehörten die mehrheitlich arabischstämmigen syrischen Christen der Mittel- und Oberschicht an. Seit der Machtübernahme von Hafiz al-Assad im Jahr 1970 wurden sie in Militär, Verwaltung und Regierung eingebunden. Die Kirchen zählten deshalb zu den Stützen des Assad-Regimes, weshalb viele nach dem Assad-Sturz besondere Furcht vor Racheakten haben.
Kurden - die zweitgrößte Volksgruppe in Syrien
Weltweit gelten die rund 30 Millionen Kurden als das größte Volk ohne eigenen Staat. In Syrien lebt auf ihrem traditionellen Siedlungsgebiet der kleinste Anteil von ihnen im Vergleich zur Türkei, zum Iran und Irak. Die Kurden gehören zu den indogermanischen Völkern und haben eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte. Während des syrischen Bürgerkriegs und mit dem Rückzugs der Regimekräfte bot sich ihnen die Gelegenheit, eine autonome Administration in Nord- und Ostsyrien zu errichten - genannt Rojava. Die Türkei und die mit ihr verbündete Miliz mit dem irreführenden Namen "Syrische Nationale Armee" (SNA) greift die kurdisch kontrollierten Gebiete in Syrien immer wieder an - auch nach Assads Sturz. Zudem bekämpfen die Kurden gegen die Terrormiliz IS - mit Hilfe der USA.
Die Kurden wurden während der mehr als 50-jährigen Herrschaft der Assad-Familie massiv diskriminiert. Immer wieder gab es Übergriffe der Regimekräfte. Nach dem 8. Dezember haben Vertreter in den autonomen kurdischen Gebieten der neuen Übergangsregierung in Damaskus die Hand ausgestreckt.
Drusen - eine "geheime" Religion, in die man nur hineingeboren werden kann
Die drusische Religion gründet zwar zu Beginn des 11. Jahrhunderts im schiitischen Islam, ist inzwischen aber vollkommen eigenständig. Glaube und Traditionen werden weitgehend ”geheim” gehalten. Man kann nur als Druse geboren werden, Missionierung oder Konvertierung wird kategorisch abgelehnt. Die Drusen sind überzeugt, dass alles von Gott vorbestimmt wird. Wie die Schiiten glauben sie an die Rückkehr des Imams, der Gottes Reich auf Erden errichten wird. Im absoluten Gegensatz zum Islam glauben sie aber auch an die Seelenwanderung.
Von den weltweit etwa eine Million Anhängern lebt die Mehrheit in Syrien. Die anderen leben vor allem in Israel, Jordanien und im Libanon.
Jesiden - eine bis zum Völkermord von Dschihadisten verfolgte Minderheit
Der Glaubensgemeinschaft der Jesiden gehören weltweit geschätzt eine Million Menschen an. Die monotheistische Religion ist rund 4.000 Jahre alt und vereint Elemente altorientalischer Religionen. Jesiden kennen keine heilige Schrift, sie geben ihren Glauben mündlich weiter. Im Mittelpunkt ihrer religiösen Symbolik steht die Figur des Pfauenengels (Melek Taus) als Gottes Stellvertreter auf Erden, dessen Geschichte der des gefallenen Engels ähnelt, was dazu geführt hat, dass die Jesiden fälschlicherweise als Teufelsanbeter bezeichnet werden.
In Syrien leben mit einigen Zehntausend nur relativ wenige Jesiden, aber sie haben dort seit Jahrhunderten wichtige heilige Stätten. Die meisten Anhänger der Religion gibt es im Nordirak, aber auch im Iran und in der Türkei. Ab 2014 sahen sich die Jesiden einem Völkermord durch die Terrormiliz IS ausgesetzt. Die Dschihadisten hatten große Gebiete im Nordirak und Syrien eingenommen. Sie ermordeten zahlreiche jesidischen Männer und Jungen und verkaufte Frauen und Mädchen als Sklavinnen. Viele Jesiden flohen daraufhin auch aus Syrien.
Weitere Ethnien und Gruppen in Syrien von Tscherkessen über Armeniern bis zu Palästinensern
Im Vielvölkerstaat Syrien leben noch weitere Ethnien. Im Vergleich zu Arabern und Kurden sind ihre Zahlen jedoch verhältnismäßig klein. Dazu gehören Aramäer, Armenier, Assyrer, Turkmenen, und Tscherkessen.
Hinzu kommen In den Hunderttausende palästinensische Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahrzehnten eingewandert sind. Viele kamen bereits während der Vertreibungen durch die Staatsgründung Israels in den 40er Jahren, andere im Zuge der nachfolgenden israelisch-arabischen Kriege. Auch viele Iraker kamen aufgrund der dortigen angespannten Lage zuletzt nach Syrien. Nach dem Sieg der Aufständischen über das Assad-Regime allerdings sind vor allem viele Assad-Anhänger umgekehrt in den Irak geflohen.
Diese Nachricht wurde am 18.12.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.