
Ein Studentencafé im Kölner Uni-Stadtteil Lindenthal. Der Laden hat gerade erst aufgemacht, aber vier Studenten des Kölner Vereins Oikos sind schon da. Oikos, das kommt aus dem Griechischen: Es ist der Wortstamm für Ökonomie und Ökologie. Wie sich diese wichtigen Größen übereinanderbringen lassen, damit beschäftigen sich die Studenten bei Oikos unter anderem. In der Lehre kommen ihnen solche komplexen Zusammenhänge zu selten vor.
"Das kritische Hinterfragen, das findet in dem Sinne keinerlei Eingang in die Lehre oder wird auf jeden Fall nicht honoriert im Studium."
Aufruf: Für mehr Vielfalt in den Wirtschaftswissenschaften
Kerstin Hötte ist 25, Master Studentin und im Vorstand von Oikos. Weil nicht nur sie die Lehre in der Volkswirtschaft zu einseitig findet, hat ihr Verein gerade unter dem Dach des "Netzwerks Plurale Ökonomik" einen Aufruf veröffentlicht. Zahlreiche andere Initiativen aus rund 20 Ländern haben sich beteiligt, knapp 1.500 Wissenschaftler haben den Aufruf mittlerweile unterzeichnet. Er lautet: Für mehr Vielfalt in den Wirtschaftswissenschaften.
"Einseitig ist es in dem Sinne, als dass ein bestimmtes theoretisches Konzept gelehrt wird, also meistens ist es ausgerichtet an der Neoklassik. Und methodisch ist es in dem Sinne, als dass sich das Studium rein auf eine mathematische Methode fokussiert."
Auf die mathematische Methodik hat Helge Braun aus dem Hochhaus der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen-Fakultät der Uni Köln einen ganz anderen Blick. Er hat einen Lehrstuhl am Center for Macroeconomic Research inne und unterrichtet Studenten in Grundzügen der Makroökonomik.
"Ich glaub das ist einem am Anfang des Studiums - war es mir zumindest - auch nicht klar: Die Fragen, die ich beantworten will, sind schon ganz oft quantitativer Natur. Vielleicht ist es so, dass ein Mindestlohn immer gut ist - aber wie hoch? Sollen die Zinsen gesenkt werden? Vielleicht ist die Antwort ja - aber um wie viel? Die Natur der Fragestellung ist schon so quantitativ, aus dem Grund ist auch die Mathematik wichtig."
Einseitigkeit der Methodik in der Kritik
Hier kritisieren die Studenten allerdings die Einseitigkeit der Methodik - es gebe eben nur Mathe und keine qualitativen Methoden, wie in den Sozialwissenschaften üblich. Für Kerstin Hötte ist zum Beispiel klar:
"Volkswirte sollten Gesellschaftswissenschaftler sein und Gesellschaft kann man nicht mit Ingenieursmethoden lösen. Eine Bekannte vom Netzwerk für plurale Ökonomik hat das sehr schön formuliert: Volkswirte werden momentan zu Sozialingenieuren ausgebildet."
Im Studium würden außerdem oft Probleme vereinfacht, merkt ihr Oikos-Kollege Matthias Endres an:
"Häufig, wenn man einen Kritikpunkt in der Vorlesung anbringt und sagt: In Experimenten ist doch eigentlich das durchschnittliche Verhalten von Menschen ganz anders. Dass dann zur Antwort gegeben wird: Ja, das kann man auch mathematisch erklären, was du anmerkst. Aber: Das ist zu komplex. Wenn ich ein Problem glaube gut mit Mathe zu beschreiben können und diese Mathe dann komplex ist, dann muss ich eben die mathematischen Methoden dazu in einem Studium vermitteln."
Einerseits beschränken sich die Methoden also aufs mathematische, andererseits fühlen sich die Studenten hier nicht gut genug ausgebildet, zumal im Grundstudium. Viele Studenten kommen nicht über den Bachelor-Grad hinaus, geschweige denn bis auf Doktoranden-Level. Und so sehen sie sich auch auf dem Arbeitsmarkt einem Problem ausgesetzt, ergänzt Paul Schneider, ebenfalls VWL-Student in Köln:
"Wenn man einen ausgebildeten VWLer mit einem ausgebildeten Mathematiker vergleicht, dann wird der von Mathematik relativ wenig Ahnung haben im Vergleich. Von daher macht es auch relativ viel Sinn, für Leute, die nachher mit den ökonomischen Modellen rechnen sollen, ausgebildete Mathematiker einzustellen statt Ökonomen."
Es gibt neuere Ansätze als die Neoklassik
Ein ähnliches Problem ergibt sich für das Feld der Theorien. Hier kritisiert der internationale Studenten-Aufruf des Netzwerks Plurale Ökonomik: Es geht zu viel um die Neoklassik. Zwar gibt es auch neuere Ansätze, so Kerstin Hötte:
"Vielleicht als gutes Beispiel kann man hier in Köln die Behavioral Economics auf jeden Fall nennen, die einen sehr interdisziplinären Ansatz verfolgen. Allerdings muss man dazu dann auch sagen, dass man davon im Bachelor-Studium herzlich wenig mitbekommt."
Diese Theorie versucht, menschliches Verhalten in wirtschaftlichen Situationen besser zu berücksichtigen. Da Studenten in den ersten Jahren aber kaum etwas dazu hören, können Bachelor-Absolventen auch im Arbeitsalltag keine anderen Instrumente anwenden, als die der Neoklassik. Damit könnten sich neue Ansätze kaum durchsetzen .
Aus Sicht der Lehrenden hat die vermeintliche theoretische Einseitigkeit allerdings ganz pragmatische Gründe, meint Holger Braun:
"Die Studenten werden ja - zurecht - von ganz vielen verschiedenen Professoren unterrichtet, die unterschiedliche Teile des Gebiets kennen und deshalb ist sicherlich, wenn man so einen Kanon hat, auf den sich alle schnell beziehen können und davon dann ihre Fühler ausstrecken. Und da würde ich den Studenten recht geben, dass dieser Kanon, der dient als Grundskelett des Curriculums, dass da die Neoklassik - im weiteren Sinne verstanden - schon dominierend ist. Ob es da eine Alternative gibt, eine bessere? Das mag sein. Aber ich glaube, dass die meisten Ökonomen die im Moment nicht sehen."
Und vielleicht liegt es an den Studenten, gerade das in Zukunft zu ändern.