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Vollmer schließt deutsche Truppen im Irak aus

Engels: Am Telefon ist nun der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, guten Morgen.

    Volmer: Guten Morgen.

    Engels: Tony Blair hat es gerade noch einmal gesagt, ein Direktorium soll das anstehende Treffen zwischen Frankreich, Deutschland und Großbritannien nicht sein. Aber ist es nicht doch ein Vorgeschmack auf das Europa der zwei Geschwindigkeiten?

    Volmer: Nicht unbedingt. Sehen Sie: Wenn Europa 15 oder später 25 Mitglieder haben wird, dann kann man selbstverständlich nicht alle Entscheidungen immer im großen Pulk treffen. Entscheidungen müssen vorstrukturiert werden. Dann gibt es nun einmal Konsultationen auch auf anderer Ebene, bilateral, trilateral. Das betrifft aber nicht nur die sogenannten großen Drei. Alle anderen Mitglieder haben ja ihre zweiseitigen Kontakte, in denen sie konsultieren. So beginnt eine Meinungsbildung innerhalb der europäischen Union. Wichtig ist, dass bei den Ministerratstreffen und bei den Gipfeln dann eine möglichst große Einigkeit besteht und die kleineren Staaten nicht das Gefühl haben müssen, dass der Entscheidungsprozess an ihnen vorbei gelaufen ist.

    Engels: Nun liegt aber gerade der EU-Verfassungsentwurf auch deshalb auf Eis, weil die Kleinen sich nicht so richtig repräsentiert sehen. Ist es denn in dieser Zeit sinnvoll, einen großen Dreiergipfel Deutschland, Frankreich, Großbritannien zu organisieren?

    Volmer: Ich weiß nicht, ob das das Problem bei der Verfassung war. Es gab viele kleinere EU-Staaten, die dem Verfassungsentwurf zugestimmt haben. Es waren zwei mittlere, nämlich Polen und Spanien, die meinen, dort zu kurz gekommen zu sein. Sie waren aber, wenn man sich die Zahlen anschaut, die das Stimmgewicht ausdrücken sollen, eher überrepräsentiert in der jetzigen Struktur. So etwas ist natürlich auf Dauer nicht haltbar. Da sind sich die Größeren einig, genauso wie die meisten Kleineren. Deshalb wird dieser Gipfel nicht dazu führen, dass eine Art Direktorium entsteht. Die deutsch-französische Freundschaft, die ja von allen als Motor für die europäische Entwicklung anerkannt ist, beweist ja gerade, dass sie keinen Exklusivanspruch hat, indem sie die Briten nun konsultiert. Demnächst werden sicherlich auch wiederum andere konsultiert, die sich auch wiederum quer in Verbindung setzen. Die Konsultierung der Briten ist deshalb wichtig, weil im Zuge des europäischen Einigungsprozesses und gerade mit Blick auf die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik immer wieder die Frage aufgeworfen wurde, ob sich Europa nicht teilweise abkoppelt von den USA. Und die demonstrative Einbeziehung der Briten in diese Konsultation soll auch deutlich machen, dass die transatlantische Dimension, also die Beziehung zu den Vereinigten Staaten, genauso wichtig ist und bleibt, wie sie vorher war.

    Engels: Sie sprechen von der Einbindung der Briten gerade bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Doch das klappt ja, wie wir am Beispiel Irakkrieg gesehen haben, offenbar nur so lange, wie nicht die besondere Beziehung zwischen Washington und London in den Vordergrund tritt?

    Volmer: Ja, der Irakkrieg war ein negatives Beispiel dafür, dass sich Europa in wichtigen Fragen noch nicht einig ist und auch die Konsultation und die Meinungsbildungsprozesse im Vorfeld von wichtigen Entscheidungen noch nicht geprägt waren vom Gemeinschaftsgeist, sondern immer noch von der nationalen Sichtweise der einzelnen Mitgliedsstaaten mit ihren historischen Verpflichtungen. Wir haben als Bundesrepublik Deutschland, auch wenn wir gegen den Irakkrieg waren und das, was dort stattfindet, als Desaster beschreiben können, das Interesse, dass man aus diesem Problem herauskommt. Deshalb hat die Bundesregierung, wie ich finde, zu Recht signalisiert, dass sie bereit ist, an einer Problemlösung mit zu arbeiten, im engen Zusammenhang mit anderen Europäern, die dort militärisch engagiert sind, ohne dass wir aber eine bestimmte Linie überschreiten wollen.

    Engels: Wie sieht diese Linie aus? Es heißt nach wie vor, keine Truppen in den Irak, aber möglicherweise, wie bekannt ist, Hilfe bei der Ausbildung von Polizisten. Aber gehen auch irgendwann deutsche Kräfte in den Irak, um den Wiederaufbau zu schützen?

    Volmer: Die Bundesrepublik hat sich ein bisschen darauf spezialisiert, teilweise in zivil-militärischer Zusammenarbeit, das sogenannte Postconflict Peacebuilding, den Wiederaufbau in Nachkriegszeiten, das sogenannte Nation-Building, mit zu unterstützen. Ob dann da auch einmal ein Soldat dabei ist in Zivil oder in einer anderen Funktion, das ist heute spekulativ. Klar ist auf jeden Fall, dass wir nicht mit Truppen teilnehmen. Erstens an der Kriegsführung. Das war die Vergangenheit. Und was die Zukunft angeht: an einer militärischen Sicherung. Wir finden nach wie vor notwendig, dass möglichst bald die Macht im Irak abgegeben wird an eigene irakische Institutionen, dass es dort möglichst bald zu demokratischen Wahlen kommt und dass eine legitimierte Regierung integriert ist in die vereinten Nationen und über die UNO dann auch ihre Appelle an die internationale Gemeinschaft richten kann. Das aber ist ein langer Prozess und bevor der nicht konstruktiv abgelaufen ist, haben wir gar keine Handhabe, über ein verstärktes Engagement im Irak nachzudenken.

    Engels: Aber ich habe Sie recht verstanden, wenn die UNO-Deckung da wäre und wenn vielleicht eine konzentrierte NATO-Aktion käme, dann würden Sie auch nicht ausschließen, dass der eine oder andere deutsche Soldat auch im Irak operiert?

    Volmer: Nein, das ist eine völlig spekulative Fragestellung. Man muss sich dann die Szenarien sehr genau anschauen, die Sicherheitslage vor Ort, die Entwicklungslinien, die sich auftun, die internationalen Kooperationszusammenhänge, auch die Reaktionen der arabischen Welt insgesamt. Was wir auf jeden Fall vermeiden müssen, ist, dass der Westen als ganzer, und dafür steht die NATO, und insbesondere seine militärischen Strukturen als gegen die arabische Welt gerichtet wahrgenommen werden, und zwar sowohl auf der offiziellen, staatlichen Ebene, als auch, was vielleicht sogar noch wichtiger ist, auf der Ebene der Massen bei den einfachen Leuten auf der Straße.

    Engels: Die UNO prüft ja zurzeit, ob und wie gewählt werden soll im Irak. Da stehen zwei Modelle zur Auswahl, relativ rasch Direktwahlen vor oder bei Abzug der Amerikaner oder erst eine Übergangsregierung, wie es die US-Regierung vorschlägt. Was bevorzugen Sie?

    Volmer: Wir bevorzugen die möglichst schnelle Übertragung der Souveränitätsrechte an den Irak. Sicherlich gibt es sehr viele Probleme sowohl beim Organisieren von Wahlen, als auch bei der Bildung von Parteien und Interessenvertretungen, die dort zur Wahl stehen können. Wahlen sind nicht nur Ausdruck von Demokratie. Sie können auch Ausdruck sein von gesellschaftlicher Desintegration, weil Parteibildungen dazu führen können, dass sie entlang ethnischer oder religiöser Grenzen stattfinden. Dann vertiefen sie möglicherweise in einer gewissen Phase Spaltungen in einer Bevölkerung. Dies alles will sehr genau überlegt sein.

    Engels: Ludger Volmer, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfaktion. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Volmer: Nichts zu danken.