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Vom Bundestag in den Rüstungskonzern
"Eine Frage der persönlichen Integrität"

Es sei "ein Stück weit instinktlos", sagte Timo Lange von der Anti-Korruptions-Organisation Lobbycontrol im DLF, dass Ex-Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sich in den Aufsichtsrat des Rüstungskonzerns Rheinmetall wählen ließe. Auch wenn Jung die Vorgaben des Transparenzgesetzes einhalte, bestehe die Gefahr eines Interessenkonflikts.

Timo Lange im Gespräch mit Ursula Mense | 09.05.2017
    Der CDU-Politiker und ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung.
    Der CDU-Politiker und ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung. (imago / Metodi Popow)
    Ursula Mense: Ein zentrales Thema des Aktionärstreffens ist die Wahl des ehemaligen Bundesverteidigungsministers Franz Josef Jung in den Aufsichtsrat. Für kritische Beobachter auch acht Jahre nach der aktiven Zeit Jungs als Minister ein Unding. Denn Jung ist zur Zeit noch immer politisch aktiv, was bedeutet, dass er weiterhin gute Kontakte zu Verteidigungspolitikern im Deutschen Bundestag unterhält, wovon Rheinmetall profitieren könnte. Ich habe darüber mit Timo Lange von der Anti-Korruptions-Organisation Lobbycontrol gesprochen. Er formuliert seine Kritik so:
    Timo Lange: Mit Herrn Jung geht ja nun dann ein weiterer ehemaliger Minister zum Rüstungskonzern Rheinmetall, nachdem der ehemalige Entwicklungshilfeminister Herr Niebel ja auch bereits dorthin gewechselt ist. Beide Fälle sind sicherlich anders zu bewerten, da bei Herrn Jung ja nun doch einige Jahre seit seiner Ministerzeit vergangen sind. Zugleich ist er ab 2015 stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion für Außen- und Sicherheitspolitik und insofern auch politisch mit Dingen beschäftigt, die Rheinmetall ganz konkret interessieren dürften, und wie Rheinmetall gesagt hat, wurde Herr Jung durchaus auch aufgrund seiner besonderen Expertise im Rüstungsbereich dort in den Aufsichtsrat berufen beziehungsweise vor der Berufung vorgeschlagen.
    Mense: Aber dennoch hat er ja nun wirklich brav, könnte man fast sagen, acht Jahre gewartet. Er war bis 2009 Verteidigungsminister. Er erfüllt damit die Vorgaben des Transparenzgesetzes. Warum ist das für Sie trotzdem so kritikwürdig?
    Lange: Völlig richtig. Wir haben seit ein bisschen mehr als einem Jahr ein Karenzzeit-Gesetz, was für Minister einen Abstand vorsieht von bis zu 18 Monaten zwischen Amt und neuem Job, wenn Interessenkonflikte vorliegen. Diese Zeit hat Herr Jung natürlich eingehalten. Gleichzeitig war er Abgeordneter oder ist immer noch Abgeordneter. Da gibt es kein Gesetz, das das regelt, sondern hier muss man sagen ist das auch ein Stück weit eine Frage der persönlichen Integrität und auch der politischen Verantwortung eines ehemaligen Spitzenpolitikers.
    Mense: Also instinktlos?
    Lange: Genau. Es ist ein Stück weit instinktlos, als ehemaliger Verteidigungsminister zu einem Rüstungskonzern zu wechseln, und man steht damit natürlich auch trotzdem in einem Interessenkonflikt, wenn man als Bundestagsabgeordneter mit Dingen befasst ist, die den Konzern ganz konkret betreffen.
    Mense: Bundestagsabgeordneter wird er ab Herbst nicht mehr sein. Dennoch noch mal die Frage: Es gibt ja auch nicht nur deutsche Vorbilder, Sie haben ja einige genannt, sondern auch auf europäischer Ebene. Da gibt es beispielsweise José Manuel Barroso, ehemals Präsident der EU-Kommission. Der hat bei Goldman Sachs angeheuert. Neelie Kroes, zuletzt EU-Kommissarin für die digitale Agenda, sie soll an einer Briefkastenfirma beteiligt sein. Und das sind nur zwei Beispiele. Sind wir in Deutschland vielleicht zu streng?
    "Jung hätte das Ende der Legislaturperiode abwarten können"
    Lange: Na ja. Gerade auch auf europäischer Ebene gibt es ja ebenfalls sehr lebhafte Debatten zu diesen Seitenwechseln, und man muss dabei immer betrachten, dass es nicht nur um die Frage eines Interessenkonflikts geht, inwieweit vielleicht auch politische Handlungen durch Jobangebote beeinflusst werden können, sondern auch schlichtweg darum, dass gewisse Unternehmen Vertreter von Partikularinteressen in ihr politisches Netzwerk, ihr Lobbynetzwerk ausbauen. Und Herr Niebel zum Beispiel ist ja explizit auch als Interessenvertreter bei Rheinmetall und das muss man in dieser Gesamt-Gemengelage mit betrachten.
    Mense: Das heißt aber dann umgekehrt, dass es für Politiker nach ihrem Ausscheiden eigentlich kein Betätigungsfeld mehr gibt? Oder anders gefragt: Ab wann und in welchen Bereichen würden Sie denn sagen, es ist okay für einen Politiker zu wechseln?
    Lange: Na ja, das hängt dann schon sehr stark vom Einzelfall ab. Im Fall von Herrn Jung hätte man jetzt schon aus meiner Sicht doch das Ende der Legislaturperiode abwarten können, um das dann zu einer vernünftigen Trennung zu bringen.
    Mense: Das heißt aber nicht, er hätte darauf verzichten sollen? Oder doch?
    Lange: Das ist dann eine moralische Frage. Rein rechtlich ist das völlig in Ordnung, was Herr Jung dort macht. Bei den Abgeordneten ist es ja ohnehin so, dass sie neben dem Mandat schon allen möglichen Tätigkeiten, darunter auch Aufsichtsratstätigkeiten nachgehen dürfen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Aber als Bürger kann man das, finde ich, auch zurecht kritisieren, wenn der Abstand nicht überzeugend ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.