Jasper Barenberg: Aus 17 Waggons besteht der Sonderzug, mit dem Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il zu Wochenbeginn über die Grenze nach China gerollt sein soll. Offiziell bestätigt hat das weder die eine, noch die andere Seite. Indizien aber gibt es genug, unter anderem ein paar schwammige Fotos, auf denen ein chinesischer Offizier Seite an Seite mit dem Machthaber von Pjöngjang salutiert. Um weitere Wirtschaftshilfen dürfte es bei den Gesprächen auch gehen, denn seit Jahren leidet die Bevölkerung Nordkoreas Hunger.
Ein Mann, der in Nordkorea nicht nur den Mangel kennengelernt hat - sondern auch Prunk und Luxus - ist Kim Jong Ryul. Er hat lange für das Regime in Pjöngjang Luxusgüter im Westen eingekauft und sich schließlich doch vom Regime abgewandt. Ein Buch berichtet nun erstmals über seine Dienste für den Clan der nordkoreanischen Diktaturen.
Vor dieser Sendung hatte ich Gelegenheit zu einem Gespräch mit Kim Jong Ryul über Nordkorea, über die letzte Diktatur stalinistischer Prägung, also über ein Land, das die Welt mit seinen Atomwaffen erpresst und das die eigene Bevölkerung wie Gefangene behandelt. Gesprochen haben wir auch über den beschwerlichen Alltag der Menschen.
Kim Jong Ryul: Wenn ich zu Hause in Nordkorea bin, gehe ich ja auch, Material zu besorgen, zu dem Land. Zu den Fabriken, Betrieben gehe ich hin. Das sind auch meine Freunde, zum Beispiel 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Da suche ich meine Freunde, Konstrukteure und Ingenieure suche ich, und die sind nicht da am Tage. Ja, wohin sind die gegangen? Auf die Berge sind die gegangen, um Brennholz zu sammeln. Weil wir in Nordkorea damals schon - das ist die Wahrheit -kein Brennmaterial haben, keine Steinkohle haben, nichts, fällen sie Kiefernbäume, Fichtenbäume, alles, um es als Brennholz zu benutzen. Dadurch wird das ganze Land verwüstet, und das ist nur ein Beispiel.
Am Meer gibt es nicht mal Fisch. Warum? Weil die Küsten alle mit Kanonen [versehen] sind, Kanonenstützpunkte und so weiter. Die Fischer können keine Fische fangen. Das geht doch nicht! Das habe ich selbst erlebt. Ein paar Kilometer entfernt vom Meer, vom Ostmeer, bin ich auf einen Bauernmarkt gegangen und dort finde ich überhaupt keinen Fisch, und die Leute erzählen, die lassen die Fischereiboote nicht ins Meer hinein.
Barenberg: Das heißt, Herr Kim, es ist für den Bürger in Nordkorea schon schwierig, sich mit Lebensmitteln, mit Nahrung zu versorgen?
Jong Ryul: Ja, heuer, in diesem Jahr fehlen eineinhalb Millionen [Tonnen] Reis, Nahrung fehlt, und vor 30, 40 Jahren haben große Diktatoren, kleine Diktatoren, diese Kim-Diktatoren haben gesagt, wir produzieren mehr als 15 Millionen Tonnen Reis. Das haben sie erzählt. Aber 15 Millionen Tonnen, das war eine Lüge.
Heute erzeugen sie nicht mal vier, fünf Millionen Tonnen, ein bisschen mehr als 3,5 Millionen Tonnen Reis. Das ist nur ein Fünftel. Solche Lügen! Deswegen braucht Nordkorea sogar nicht nur von Deutschland, sondern von der ganzen Welt, von diesem Todfeind Amerika bekommen die Nahrungsmittel.
Barenberg: Es ist ein Leben voller Entbehrungen, das Sie uns schildern. Wie sieht denn im Gegensatz dazu das Leben der politischen Führungsriege aus?
Jong Ryul: Ein Beispiel werde ich Ihnen nennen. Ich war im Diktatorenhaus, in der Diktatorenvilla, im Diktatorenleben. Ich war sehr viel eingeladen auf Bankett, zum Festessen eingeladen. Dort habe ich mitgegessen und ich weiß alles, wie die Diktatoren leben, und nicht nur, wie die Diktatoren in der Hauptstadt so gut leben, sondern auch im Land.
In Nordkorea gibt es zehn Länder; mit Pjöngjang gibt es zehn Länder. Im Land leben diese Parteibonzen genauso prunkvoll wie in der Hauptstadt Pjöngjang. Das habe ich selbst erlebt. Ich war im Norden - ich bin Oberst - eingeladen zum Festessen. Die essen genauso prunkvoll, so reichlich wie in der Hauptstadt. Die beuten das Volk aus, die haben alles. Nordkorea ist Parteikaderland, kann man es nennen. Parteikopfland ist das.
Und die kleinen Leute. Ich war auch bei den kleinen Leuten eingeladen. Die hatten nicht einmal ein Kilo Schweinefleisch. Da haben sie für mich einen Hund getötet, um Fleisch zu haben.
Barenberg: Warum lehnen sich die kleinen Leute dann nicht auf gegen den Mangel und gegen die Diktatur?
Jong Ryul: Wenn es ein kleines Zeichen gibt, Aufstand, Volksaufstand, dann wird das sofort im Keim vernichtet. Wie? Ich will ein Beispiel nennen. Das war so Anfang der 80er-Jahre. Ein Dorf, 600 Einwohner, ist weg! Über Nacht ist ein 600-Einwohner-Dorf ganz verbrannt, alles weg, die Bevölkerung, alles getötet. Warum? Das war amerikanisch, sagen die, und das wissen die alles. Wer würde da sofort aufstehen, Aufstand organisieren und den Tod begehen? Dieses ganze Militär und Polizei in Nordkorea ist so stark, das wird alles gleich im Keim vernichtet.
Barenberg: Herr Kim, Sie haben selber über Jahre, über Jahrzehnte für die politische Führung des Landes gearbeitet. Sie haben Dinge für die Führung besorgt, Konsumgüter. Finanziert also der Westen die Diktatur eigentlich mit? Stützen westliche Länder die Diktatur, indem sie diese Dinge auch zur Verfügung stellen und verkaufen für die Machthaber in Pjöngjang?
Jong Ryul: Da sind österreichische, deutsche Firmen. Da sind private Firmen und die verdienen ja Geld, wenn sie uns was verkaufen, wenn sie an Nordkorea verkaufen, und daran haben sie Interesse. Das können sie österreichischen oder deutschen Handelsfirmen ja nicht verbieten. Das ist alles. Und das ist mit mir 20 Jahre lang gegangen und ich habe 20 Jahre lang für diese Leute gekauft.
Die einfache Bevölkerung, das Volk unten, die sterben, die verhungern, und die leben so prunkhaft, leben wie ein Gott. Darum bin ich ein Verräter geworden. Darum bin ich geflüchtet. Ich wollte diese dreckigen Diktatoren nicht mehr sehen. Da bin ich gelaufen, da bin ich einfach weggelaufen.
Barenberg: Nun leben Sie seit 15 Jahren inzwischen im Westen, Sie leben in einer Marktwirtschaft, im Kapitalismus, wenn man so will. Ihre Frau ist immer noch in Nordkorea, Ihre Kinder sind immer noch in Nordkorea. Wie geht es Ihrer Familie?
Jong Ryul: Ich weiß nicht. Vor 17 Jahren, Oktober 1993, habe ich meine Familie verlassen. Seitdem kein Zeichen, keine Stimme. Aber durch das Buch weiß wenigstens meine Familie, ah, mein Vater hat noch gelebt, 15 Jahre gelebt. Das wissen die. Und wenn das Buch herauskommt und die sagen, dein Vater ist Verräter, Vaterlandsverräter. Also: Ihr müsst alle bestraft werden, alle weggehen. Schon geschehen, glaube ich. Meine Familie ist nicht mehr in Pjöngjang, denke ich. Das ist üblich, dass die ganze Familie bestraft wird, ins Kohlebergwerk schicken, ins Arbeitslager schicken, wer weiß. Mein Sohn, meine Tochter hätte 15 Jahre lang gute Berufe gehabt, denke ich. Mein Sohn hat auch in Deutschland in Dresden studiert, meine Tochter kann von Kindheit an Englisch, die haben alle Gutes gehabt, aber denen wird alles beraubt und weg, verjagt.
Barenberg: Wie groß, Herr Kim, ist Ihre Hoffnung, dass Sie Ihre Familie wiedersehen werden?
Jong Ryul: Na ja, wenn das mit Nordkorea so weitergeht, dann habe ich überhaupt keine Hoffnung. Ich werde in naher Zukunft nicht mehr leben. Ich habe verschiedene Krankheiten. Ich habe keine Hoffnung.
Barenberg: Kim Jong Ryul, 76, im Gespräch. Das Buch über sein Leben trägt den Titel "Im Dienst des Diktators - Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten". Geschrieben haben es Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi. Es ist in Österreich erschienen, im Verlag Ueberreuter.
Ein Mann, der in Nordkorea nicht nur den Mangel kennengelernt hat - sondern auch Prunk und Luxus - ist Kim Jong Ryul. Er hat lange für das Regime in Pjöngjang Luxusgüter im Westen eingekauft und sich schließlich doch vom Regime abgewandt. Ein Buch berichtet nun erstmals über seine Dienste für den Clan der nordkoreanischen Diktaturen.
Vor dieser Sendung hatte ich Gelegenheit zu einem Gespräch mit Kim Jong Ryul über Nordkorea, über die letzte Diktatur stalinistischer Prägung, also über ein Land, das die Welt mit seinen Atomwaffen erpresst und das die eigene Bevölkerung wie Gefangene behandelt. Gesprochen haben wir auch über den beschwerlichen Alltag der Menschen.
Kim Jong Ryul: Wenn ich zu Hause in Nordkorea bin, gehe ich ja auch, Material zu besorgen, zu dem Land. Zu den Fabriken, Betrieben gehe ich hin. Das sind auch meine Freunde, zum Beispiel 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Da suche ich meine Freunde, Konstrukteure und Ingenieure suche ich, und die sind nicht da am Tage. Ja, wohin sind die gegangen? Auf die Berge sind die gegangen, um Brennholz zu sammeln. Weil wir in Nordkorea damals schon - das ist die Wahrheit -kein Brennmaterial haben, keine Steinkohle haben, nichts, fällen sie Kiefernbäume, Fichtenbäume, alles, um es als Brennholz zu benutzen. Dadurch wird das ganze Land verwüstet, und das ist nur ein Beispiel.
Am Meer gibt es nicht mal Fisch. Warum? Weil die Küsten alle mit Kanonen [versehen] sind, Kanonenstützpunkte und so weiter. Die Fischer können keine Fische fangen. Das geht doch nicht! Das habe ich selbst erlebt. Ein paar Kilometer entfernt vom Meer, vom Ostmeer, bin ich auf einen Bauernmarkt gegangen und dort finde ich überhaupt keinen Fisch, und die Leute erzählen, die lassen die Fischereiboote nicht ins Meer hinein.
Barenberg: Das heißt, Herr Kim, es ist für den Bürger in Nordkorea schon schwierig, sich mit Lebensmitteln, mit Nahrung zu versorgen?
Jong Ryul: Ja, heuer, in diesem Jahr fehlen eineinhalb Millionen [Tonnen] Reis, Nahrung fehlt, und vor 30, 40 Jahren haben große Diktatoren, kleine Diktatoren, diese Kim-Diktatoren haben gesagt, wir produzieren mehr als 15 Millionen Tonnen Reis. Das haben sie erzählt. Aber 15 Millionen Tonnen, das war eine Lüge.
Heute erzeugen sie nicht mal vier, fünf Millionen Tonnen, ein bisschen mehr als 3,5 Millionen Tonnen Reis. Das ist nur ein Fünftel. Solche Lügen! Deswegen braucht Nordkorea sogar nicht nur von Deutschland, sondern von der ganzen Welt, von diesem Todfeind Amerika bekommen die Nahrungsmittel.
Barenberg: Es ist ein Leben voller Entbehrungen, das Sie uns schildern. Wie sieht denn im Gegensatz dazu das Leben der politischen Führungsriege aus?
Jong Ryul: Ein Beispiel werde ich Ihnen nennen. Ich war im Diktatorenhaus, in der Diktatorenvilla, im Diktatorenleben. Ich war sehr viel eingeladen auf Bankett, zum Festessen eingeladen. Dort habe ich mitgegessen und ich weiß alles, wie die Diktatoren leben, und nicht nur, wie die Diktatoren in der Hauptstadt so gut leben, sondern auch im Land.
In Nordkorea gibt es zehn Länder; mit Pjöngjang gibt es zehn Länder. Im Land leben diese Parteibonzen genauso prunkvoll wie in der Hauptstadt Pjöngjang. Das habe ich selbst erlebt. Ich war im Norden - ich bin Oberst - eingeladen zum Festessen. Die essen genauso prunkvoll, so reichlich wie in der Hauptstadt. Die beuten das Volk aus, die haben alles. Nordkorea ist Parteikaderland, kann man es nennen. Parteikopfland ist das.
Und die kleinen Leute. Ich war auch bei den kleinen Leuten eingeladen. Die hatten nicht einmal ein Kilo Schweinefleisch. Da haben sie für mich einen Hund getötet, um Fleisch zu haben.
Barenberg: Warum lehnen sich die kleinen Leute dann nicht auf gegen den Mangel und gegen die Diktatur?
Jong Ryul: Wenn es ein kleines Zeichen gibt, Aufstand, Volksaufstand, dann wird das sofort im Keim vernichtet. Wie? Ich will ein Beispiel nennen. Das war so Anfang der 80er-Jahre. Ein Dorf, 600 Einwohner, ist weg! Über Nacht ist ein 600-Einwohner-Dorf ganz verbrannt, alles weg, die Bevölkerung, alles getötet. Warum? Das war amerikanisch, sagen die, und das wissen die alles. Wer würde da sofort aufstehen, Aufstand organisieren und den Tod begehen? Dieses ganze Militär und Polizei in Nordkorea ist so stark, das wird alles gleich im Keim vernichtet.
Barenberg: Herr Kim, Sie haben selber über Jahre, über Jahrzehnte für die politische Führung des Landes gearbeitet. Sie haben Dinge für die Führung besorgt, Konsumgüter. Finanziert also der Westen die Diktatur eigentlich mit? Stützen westliche Länder die Diktatur, indem sie diese Dinge auch zur Verfügung stellen und verkaufen für die Machthaber in Pjöngjang?
Jong Ryul: Da sind österreichische, deutsche Firmen. Da sind private Firmen und die verdienen ja Geld, wenn sie uns was verkaufen, wenn sie an Nordkorea verkaufen, und daran haben sie Interesse. Das können sie österreichischen oder deutschen Handelsfirmen ja nicht verbieten. Das ist alles. Und das ist mit mir 20 Jahre lang gegangen und ich habe 20 Jahre lang für diese Leute gekauft.
Die einfache Bevölkerung, das Volk unten, die sterben, die verhungern, und die leben so prunkhaft, leben wie ein Gott. Darum bin ich ein Verräter geworden. Darum bin ich geflüchtet. Ich wollte diese dreckigen Diktatoren nicht mehr sehen. Da bin ich gelaufen, da bin ich einfach weggelaufen.
Barenberg: Nun leben Sie seit 15 Jahren inzwischen im Westen, Sie leben in einer Marktwirtschaft, im Kapitalismus, wenn man so will. Ihre Frau ist immer noch in Nordkorea, Ihre Kinder sind immer noch in Nordkorea. Wie geht es Ihrer Familie?
Jong Ryul: Ich weiß nicht. Vor 17 Jahren, Oktober 1993, habe ich meine Familie verlassen. Seitdem kein Zeichen, keine Stimme. Aber durch das Buch weiß wenigstens meine Familie, ah, mein Vater hat noch gelebt, 15 Jahre gelebt. Das wissen die. Und wenn das Buch herauskommt und die sagen, dein Vater ist Verräter, Vaterlandsverräter. Also: Ihr müsst alle bestraft werden, alle weggehen. Schon geschehen, glaube ich. Meine Familie ist nicht mehr in Pjöngjang, denke ich. Das ist üblich, dass die ganze Familie bestraft wird, ins Kohlebergwerk schicken, ins Arbeitslager schicken, wer weiß. Mein Sohn, meine Tochter hätte 15 Jahre lang gute Berufe gehabt, denke ich. Mein Sohn hat auch in Deutschland in Dresden studiert, meine Tochter kann von Kindheit an Englisch, die haben alle Gutes gehabt, aber denen wird alles beraubt und weg, verjagt.
Barenberg: Wie groß, Herr Kim, ist Ihre Hoffnung, dass Sie Ihre Familie wiedersehen werden?
Jong Ryul: Na ja, wenn das mit Nordkorea so weitergeht, dann habe ich überhaupt keine Hoffnung. Ich werde in naher Zukunft nicht mehr leben. Ich habe verschiedene Krankheiten. Ich habe keine Hoffnung.
Barenberg: Kim Jong Ryul, 76, im Gespräch. Das Buch über sein Leben trägt den Titel "Im Dienst des Diktators - Leben und Flucht eines nordkoreanischen Agenten". Geschrieben haben es Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi. Es ist in Österreich erschienen, im Verlag Ueberreuter.