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Vom guten Sterben
"Den Kindern meine Stimme hinterlassen"

Welche Bedürfnisse haben Sterbende? Welche Unterstützung bekommen sie von der Palliativmedizin, um am Lebensende nicht zu leiden? Und welche Bedeutung kann ein Lebensrückblick, zum Beispiel in Form eines Hörbuchs, für Hinterbliebene haben? Fragen, die Forscher verschiedener Disziplinen umtreiben.

Von Dörte Hinrichs | 30.05.2019
Intensives Berühren und Streicheln der Hände eines alten Menschen.
Das Ideal vom sprechenden Patienten entspricht häufig nicht den Bedürfnissen der sterbenden Menschen (dpa / Hans Wiedl)
"Geschichten aus meinem Leben. Lieber Marc, liebe Eva, lieber Philip, und auch alle anderen, die es sich anhören werden. Ihr findet in diesem Projekt mein Lebenshörbuch. Ihr könnte es gemeinsam zusammen anhören, vielleicht mit dem Papa, oder vielleicht auch noch in einigen Teilen mit mir, oder mit Oma und Opa, wie es euch gefällt und ihr findet viele interessante und spannende Kapitel über mein Leben und später natürlich auch über unser gemeinsames Leben, in dem ihr einen großen Stellenwert mittlerweile eingenommen habt."
Ihr inzwischen verwitweter Mann sagt: "Es gibt zwei Kapitel, wo sie sich direkt an mich wendet, über mich spricht, über unsere Beziehung spricht Und das ist etwas, was auf der einen Seite schwer ist, sich anzuhören, aber auf der anderen Seite mir auch extrem viel gibt, Kraft auch gibt weiterzumachen und es ist so eine positive Zusammenfassung. Und dann natürlich die Geschichten über die Geburten unserer beiden Kinder, die den Kindern die Möglichkeit geben, das irgendwann mal von ihrer Mutter selbst zu hören, und eben nicht nur von mir und von anderen, auch die Kapitel, wo sie über die Krankheit spricht sind, sind natürlich jetzt im Nachhinein sehr wichtig und sehr interessant und besser zu verstehen, was hat das mit ihr eigentlich gemacht."
Michaela Hesse, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik für Palliativmedizin des Universitätsklinikums Bonn: "Ich erlebe, dass die Patienten sich nochmal sehr motivieren und nochmal alle Kräfte mobilisieren, um ihren Kindern etwas zu hinterlassen und eben auch die Deutungshoheit über ihr Leben damit zu haben. Dass eben die Kinder nicht von anderen etwas hören, sondern von ihnen selbst.
Familienhörbücher für die Angehörigen
Professor Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin: "Es gibt in der Palliativversorgung schon immer wieder auch Ideen, dass man die Lebensgeschichte nutzen kann auch als eine Ressource für Schwerstkranke. Also, dass man mit Ihnen darüber sprechen kann, was ihnen im Leben wichtig war, dass die Rückbesinnung darauf extrem wichtig ist. Ich bin ein großer Fan von Viktor Frankl, der hat irgendwann mal sagt, die meisten Menschen sehen ja nur die Stoppelfelder der Vergänglichkeit und nicht die vollen Scheunen der Vergangenheit. Und die Lebensgeschichte, das sind diese vollen Scheunen. Und wenn man darüber nachdenkt, was schon alles bis jetzt passiert ist, also es gibt keinen Menschen, der nicht eine Geschichte hat, die es wert, ist erzählt zu werden. Und die es auch wert ist, dass man zuhört."
Judith Grümmer, Journalistin und Audiobiografin: "Ich habe jetzt in diesem Jahr ein Hörbuch gemacht, da rief die junge Frau an und sagte, ich habe nicht mehr viel Zeit, aber ich möchte das unbedingt noch machen für mein Kind. Dann hatte sie auch tatsächlich die Kraft, drei Tage mit mir zu sprechen. Und ich wusste, sie hatte Atemnot, aber sie wurde eigentlich von Tag zu Tag kraftvoller. Und wir haben uns verabschiedet, und ich habe gesagt, also ich gehe jetzt möglichst schnell versuche ich das Hörbuch natürlich fertig zu machen. Und zehn Tage später erreichte mich die Nachricht, dass sie verstorben war."
Armin Nassehi, Prof. für Allgemeine Soziologie und Gesellschaftstheorie an der Ludwig- Maximilians-Universität München: "Biografiearbeit ist geradezu ein Grundparadigma der Idee der Reflexion. Es ist natürlich auch eine Milieufrage, wo ein durchaus akademisches reflexives Milieu, das ja normalerweise solche Prozesse steuert, auf die Idee kommt, das in einem Lebensverlauf, der zu Ende geht, eigentlich die Biografiearbeit erst dazu führen kann, dass man diesen Prozess annehmen kann."
Später die Geschichte der Mutter oder des Vaters hören
Das Sterben ist eine Herausforderung – für jeden persönlich und auch als Forschungsthema: Welche Bedürfnisse haben Menschen, denen nicht mehr viel Lebenszeit bleibt? Welche Unterstützung bekommen sie von der Palliativmedizin, um am Lebensende nicht zu leiden? Und hat das Pflegepersonal die gleichen Vorstellungen vom "guten Sterben" wie die Patienten? Damit beschäftigen sich derzeit Forscher verschiedener Disziplinen - und gehen dabei auch der Frage nach, inwieweit der Lebensrückblick von Bedeutung ist.
"Ich möchte den Kindern etwas hinterlassen, worauf meine Stimme zu hören ist. Also mich hat so ein bisschen getrieben einfach dieses Gefühl, ich muss ganz viel erzählen und die Zeit rennt rückwärts, und ich glaube, ich habe den Rekord gebrochen, ich habe am Ende wohl 14 Stunden erzählt, normal sind wohl so 6 bis 12."
Ein lichtdurchflutetes Haus in einer Stadt in Hessen, überall hängen Osterbasteleien von den 3jährigen Zwillingen und vom 7jährigen Sohn, im Bad selbstgemalte Bilder der Kinder, im Garten steht ein Trampolin. Ein schönes Heim, das Fröhlichkeit ausstrahlt. Die Patientin erzählt:
"Erstmalig an Brustkrebs erkrankt bin ich 2012. Dann hatte ich sechs Jahre Ruhe und dann im Dezember wurden Metastasen festgestellt und seitdem lebe ich damit zu wissen, dass mein Leben begrenzter ist als das von anderen."
Die Mutter, Anfang Vierzig aus der Rhein-Main-Region, hat gerade eine Pause zwischen den Chemotherapien. Die hat sie genutzt, um an einem bundesweit bislang einzigartigen Projekt teilzunehmen: An dem von der Journalistin und Audiobiografin Judith Grümmer initiierten Pilotprojekt "Familienhörbucher für palliativ erkrankte Eltern kleiner Kinder."
Anders als bei der Biografiearbeit, bei der am Ende schriftlich niedergelegte Lebensgeschichten herauskommen, sind bei diesem von der Journalistin und Audiobiografin Judith Grümmer initiierten Projekt Form und die Zielgruppe das Besondere.
"Das sind die kleinen Kinder; die kleinen Kinder, die eben nicht das Glück haben, mit ihren Müttern oder Vätern aufzuwachsen, die aber gerne später vielleicht mal die Geschichte ihrer Mutter oder ihres Vaters hören möchten. Da geht es gar nicht um die Krankheits- oder Sterbegeschichte, sondern da geht es um die Lebensgeschichte."
Prof. Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn, hat gemeinsam mit seinem Team mit Judith Grümmer die Pilotstudie gestartet.
"Dass die Lebensgeschichte ganz wichtig ist, gerade wenn das Leben plötzlich so begrenzt ist, also was ist bisher passiert, wie bin ich zu dem geworden, der ich bin, das ist uns schon seit längerem klar. Das Familienhörbuch gibt eigentlich schon relativ lange. Dass es jetzt besonders für Schwerstkranke und sterbende Menschen auch ein Angebot wird, das machen wir seit zwei Jahren. Wir haben eine Förderung von der Rheinenergiestiftung einwerben können und das ermöglicht uns, dass wir das eben auch anbieten können für Menschen, die dafür nicht viel Geld auf den Tisch legen müssen."
Sie erhalten das mehrstündige, aufwendig produzierte Hörbuch kostenlos, vorausgesetzt sie kommen aus Nordrhein-Westfalen, so sieht es die Rheinenergiestiftung vor. 15 Familienhörbücher, überwiegend von palliativ erkrankten Müttern, sind inzwischen in die Studie eingeflossen.
Wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojektes
Gefragt wird dabei danach, inwieweit das therapiebegleitende Angebot junge Palliativpatienten unterstützen kann, sich mit ihrem Leben, ihrer Krankheit und ihrem bevorstehenden Sterben auseinanderzusetzen. Michaela Hesse, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bonner Klinik für Palliativmedizin:
"Es gibt da so ein preposed design, einmal vor der Intervention mit der Frau Grümmer, und danach werden Fragebögen erhoben – sowohl zu Lebensqualität, Lebenssinn und natürlich auch der Symptombelastung. Und darüber hinaus gibt es ein Interview, dass Patienten gefragt werden, was ist so Ihre Motivation? Und wie geht es Ihnen aktuell damit? Im Nachhinein, dass ich frage, was war das jetzt für eine Erfahrung für Sie? Die Patienten sprudeln und möchten das auch unbedingt erzählen."
Denn es gibt auch ein Leben vor der Erkrankung, und ein Leben jenseits von Themen wie Tumormarker und Transfusionen – davon zu erzählen kann für die Betroffenen hilfreich sein. Und den Angehörigen, insbesondere auch den Kindern, kann das Familienhörbuch nach dem Tod ihres Elternteils vielleicht helfen, ihre Trauer zu bewältigen, wenn sie Geschichten der Mutter oder des Vaters lauschen. Langfristig soll auch das in dem Forschungsprojekt untersucht werden.
"Wir haben von der Ethikkommission das o.k., wir können auch Angehörige befragen, wir könnten auch die Kinder dazu befragen, aber dazu haben wir aktuell noch kein Konzept. Also dazu müssten wir uns noch ein Studiendesign überlegen, wie wir das erfassen können, das müsste sicherlich auch dann eine Langzeitstudie sein. Es ist eher im Moment so, dass die Angehörigen ein Bedürfnis haben, auch nochmal eine Rückmeldung zu geben."
Ein Witwer ergänzt: "Für uns als Hinterbliebene ist es auf jeden Fall, weil wir sie so nah an uns heranholen können, in dem Moment, wo wir es hören, durch die ganzen Geschichten, einfach ein unendlich wertvoller Schatz, den wir immer wieder rausholen können, wenn uns danach ist. Ich kann das den Kindern das zum Einschlafen einstellen, wenn ihnen das hilft, man kann so viele Dinge damit machen. Ich habe das Hörbuch am intensivsten gehört in den ersten Tagen nachdem meine Frau gestorben ist. Und für diesen ersten Trauerprozess hat es mir enorm geholfen. Und ich habe gemerkt, dass meine Frau eine sehr große Zufriedenheit daraus gezogen hat, dass sie sehr ausgeglichen war, in einer Zeit, wo sie eigentlich sehr angespannt war aufgrund der schwierigen Lage der Krankheit."
Michaela Hesse, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin das Projekt an der Bonner Klinik für Palliativmedizin betreut, sieht in der persönlichen Rückschau eine Chance für die Patienten, besser mit dieser schwierigen Situation umzugehen.
"Wenn man dann erzählt und zurückblickt, dann ist diese Funktion des Erzählens nämlich auch eine narrative Identität herzustellen. Und das gibt Menschen dann auch nochmal eine andere Möglichkeit, sich selbst eine Rolle zu geben in all dem, was mit ihnen passiert ist."
"Wobei es immer noch einen Unterschied gibt zwischen allgemeinem Wahrnehmen von Tod und Sterben und dem Nachdenken über den eigenen Tod."
So Prof. Lukas Radbruch, Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn.
"Die meisten Menschen sind auch jetzt eher schon bereit, in der Zeitung, im Fernsehen mal irgendwas über Hospiz, Palliativ oder Sterben und Tod zu hören, aber das heißt noch lange nicht, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man selbst sich das eigene Lebensende dann gestalten will oder was man da für Befürchtungen dabei hat. Da stellen wir schon immer noch Tabuzonen fest."
An der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn, aber auch in anderen Palliativeinrichtungen, Hospizen und den jeweiligen ambulanten Diensten, versucht man die Leiden von Menschen mit nicht mehr heilbaren, fortschreitenden Krankheiten zu lindern. Und es soll ihnen auch in dieser schwierigen Phase, ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht werden. Ein Team aus Ärzten, Pflegern, Psychologen, Sozialpädagogen und Seelsorgern stimmt sich hier ab, unterstützt von ehrenamtlich Tätigen.
Idealvorstellungen vom guten Sterben
Genau dieses vielfältige Personal nimmt an der Ludwig-Maximilians-Universität München das Forschungsprojekt "Vom guten Sterben" in den Fokus. Prof. Christof Breitsameter vom Lehrstuhl für Moraltheologie sowie Prof. Armin Nassehi und Dr. Irmhild Saake vom Lehrstuhl für Soziologie, reagieren damit auf die zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema des Lebensendes in einer älter werdenden Gesellschaft.
"In dem Projekt "Vom guten Sterben" geht es gar nicht ums gute Sterben, sondern es geht uns darum, wie Idealvorstellungen oder normative Ideen über das gute Sterben vor allem in der Palliativmedizin entstehen, wo sie herkommen, wie sie weitergegeben werden, und wie durchaus auch Konflikte daraus entstehen können. Wir machen keine empirische Untersuchung über die Praxis des Sterbens auf Stationen oder in Hospizen, sondern eher über den Diskurs darum herum."
Prof. Armin Nassehi und sein Forscherteam befragen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Palliativstationen und Hospizen, reflektieren den aktuellen Diskurs und sichten die Forschungsliteratur zum Thema:
"Die Leerstelle, die wir tatsächlich beobachten ist die, dass es auch vor allem in den Sozialwissenschaften sehr, sehr starke normative Vorstellungen darüber gibt, was das gute Sterben eigentlich sei. Man kann das auf relativ einfache Formeln bringen: Also erstens: Mehr Kommunikation ist besser als weniger Kommunikation. Zweitens: Die Menschen sollten möglichst bewusst sterben und den Sterbeprozess annehmen. Und drittens: Palliativmedizin und all die therapeutischen Dinge, die darum herum laufen - im Englischen spricht man von palliative care, also nicht nur den medizinischen Bereich - ist durchaus etwas, was den Sterbeprozess relativ genau kontrollieren kann.
Und diese drei Elemente, die kann man nicht einfach so unterschreiben. Was wir tatsächlich feststellen, ist, dass es viele Patientinnen und Patienten gibt, die sich dieser Idee, dass man z.B. so etwas wie eine Lebensbilanz kommunikativ vor dem Sterben unbedingt herstellen muss, einfach nicht unterwerfen. Die wollen zum Teil gar nicht über das Sterben sprechen, und das wird bisweilen von Professionellen als Pathologie angesehen."
Das Münchner Forschungsprojekt will vielmehr die Vorstellungen, Redeweisen und normativen Bilder über gutes oder angemessenes Sterben im Umfeld der Palliativversorgung untersuchen und mit der Wirklichkeit abgleichen. Das Ideal vieler im Palliativbereich Tätigen, so Nassehi, sei der sprechende sterbende Patient, der seine Bedürfnisse formuliert, eine Lebensbilanz zieht und sein Schicksal annimmt.
Sterben ist "wilder"
"Dass jetzt ein Punkt gekommen ist, an dem man eigentlich "ja" sagen können müsste zu der Geschichte, oder überhaupt über das Sterben zu reden, was viele tatsächlich nicht machen wollen. Und diese Idee von Kontrolle stößt dann natürlich auf eine Wirklichkeit, die bisweilen einfach, man könnte fast sagen, wilder ist."
Menschen, die in Hospizen oder auf Palliativstationen arbeiten, empfinden es teilweise gewissermaßen als Scheitern, wenn Sterbeverläufe nicht diesem Ideal des bewussten Sterbens entsprechen.
"Ein weiteres Thema wäre etwa die Frage, wie eigentlich die unterschiedlichen professionellen Gruppen über das Sterben reden. Also etwa ein Seelsorger, der hat viel größere Freiheiten nicht über das Sterben zu reden, sondern eher in symbolischen Formen um das Sterben herumzureden. Pflegepersonal hat oftmals viel stärker Alltagsprobleme, die in der Gegenwart gelöst werden müssen, während also ärztliches Personal natürlich viel stärker so etwas wie den Sterbeprozess unmittelbar mit dem Patienten und der Patientin besprechen muss. Sozialarbeiterische Perspektiven sind interessant, weil sie diese finale Situation ansprechen müssen, weil sie sich z.B. dann um die Familie kümmern müssen, oder um die Frage, was denn nach dem Sterben mit manchen organisatorischen Dingen zu geschehen hat. Und so sieht man, es gibt ganz unterschiedliche Anlässe über das Sterben zu reden, wir nennen das unterschiedliche Gegenwarten, und es ist glaube ich ganz sinnvoll, die mal zu unterscheiden, um diese einfachen Sätze, mehr Kommunikation ist besser als weniger, oder jeder muss sich bewusst mit seinem Sterben quasi biografisch auseinandersetzen, ein bisschen in Frage zu stellen."
Es gibt keine Kunst des guten Sterbens und der Tod ist die wunde Stelle in unserem Leben, mit der jeder Mensch anders umgeht. Manchen hilft am Ende die Reflexion über das eigene Leben, anderen die Religion oder Philosophie, wiederum andere verdrängen lieber das Ende, selbst, wenn es sehr nah heranrückt. Prof. Lukas Radbruch macht an der Bonner Klinik für Palliativmedizin die Erfahrung
"Dass die meisten Menschen eher eigentlich offen darüber reden wollen. Und die Idee, dass Menschen das nicht wissen wollen, dass sie das komplett wegschieben ist eher die Ausnahme. Ich erlebe das in Gesprächen mit Patienten oft, dass die Andeutungen machen, dass die halbe Sätze sprechen und dann mich angucken, ob ich jetzt verstanden habe, worum es geht. Und manchmal sehr erleichtert sind, wenn ich das aufgreife und wenn ich das dann für sie ausspreche. Ich habe auch schon ein- bis zweimal erlebt, dass jemand dann wirklich auch empört war, weil ich sowas gesagt habe oder angedeutet habe, und dann ist klar, wenn jemand das wirklich nicht wissen will, dann steht ihm das auch zu, dass man nicht darüber redet, dann steht ihm das zu, dass man nicht weiter Informationen über ihn ausschüttet, die er gar nicht haben will. Also da sind wir schon sehr an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasst."
Inwieweit die Bedürfnisse der Betroffenen am Lebensende berücksichtigt werden, das berührt auch die aktuelle Diskussion um den §217 im Strafgesetzbuch. Hier geht es darum, wie auf Sterbewünsche von Schwerstkranken reagiert werden soll. Inzwischen gibt es mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das vor gut drei Jahren eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Das Gesetz hat bei Teilen der Ärzteschaft zu Verunsicherungen geführt, inwieweit sie sich strafbar machen können bei der Begleitung und Behandlung von Schwerstkranken mit Sterbewunsch. Prof. Lukas Radbruch, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin ist, sieht hier keinen Handlungsbedarf für eine Gesetzesänderung.
Wann sollte eine Therapie beendet werden?
"Wenn jemand sagt, er möchte eine lebenserhaltende Therapie nicht mehr weiter haben, dann muss das beendet werden in Deutschland. Ich darf nicht gegen den Willen eines Patienten eine Behandlung fortsetzen. Und das gilt auch z.B. für eine künstliche Beatmung. Also jemand, der komplett gelähmt ist, auf eine künstliche Beatmung angewiesen ist, und der mir sagt, er will das nicht mehr, dann muss man die Beatmung abstellen. Das muss man auch entsprechend machen, dass er nicht darunter leidet, dass er nicht erstickt, kann man auch machen. Und genauso gilt das auch für jede andere lebenserhaltende Therapie, für jede Antibiotikagabe, für Flüssigkeitszufuhr. Das können Menschen alles ablehnen, wenn sie das nicht mehr möchten, dann muss man damit aufhören. Und es steht auch jedem Menschen frei, mit Essen und Trinken aufzuhören, wenn er das nicht mehr will. Auch da können wir gucken, dass wir das nicht zu einem Verdursten werden lassen, wenn man da eine gute Mundpflege macht, haben die keinen Durst."
Wenn keine mündliche Kommunikation mehr möglich ist, dann kommen manchmal technische Hilfsmittel zum Einsatz, mit denen Menschen z.B. über Augensteuerung einen Computer bedienen und sich so artikulieren können. Trotzdem: das Sterben ist ein komplexer, bisweilen leidvoller Prozess, der auch angesichts der Fortschritte in der Palliativmedizin nur bedingt berechenbar ist.
Und diejenigen, die angesichts des Todes eine Lebensrückschau machen und sich mit ihrer Biografie auseinandersetzen, können, aber müssen nicht davon profitieren. Michaela Hesse hat in einer Überblicksarbeit dazu 27 internationale Studien untersucht mit unterschiedlichen biografischen Interventionen.
"Da gibt es ja verschiedene Methoden, die auch gerade jetzt in Deutschland nochmal um sich greifen, als gerade würdezentrierte Therapie, also dignity therapy, wo alte Menschen auch nochmal die Gelegenheit eben bekommen, anhand von Fragen ihr Leben zu reflektieren und nochmal eben auch ein Vermächtnis zu formulieren, was dann allerdings in geschriebener Form dem Patienten übergeben wird, mit ihm zusammen editiert wird, und was er dann in seiner Familie weitergeben kann. Es gibt diese Angebote für Patienten, für Dyaden aus Patient und Angehörigen oder auch für trauernde Angehörige. Und wenn man da nochmal guckt, was sind denn da die Ergebnisse, dann haben die eben vor allem Auswirkungen auf den Patienten im Hinblick auf seine Depressivität oder auch auf seine Lebensqualität. Und da gibt es eben dann auch Untersuchungen auf die Angehörigen, dass man da eben sagt: es fördert nochmal die Kommunikation innerhalb der Familie und aber auch nochmal die Sicht auf den Verstorbenen."
Auch wenn sie sich in Umfang und Durchführung stark unterscheiden, zeigt sich über alle Studien hinweg bei den Teilnehmern eine Verbesserung der Lebensqualität oder eine Reduktion der Depressivität. Allerdings profitieren Patienten mit ungelösten Konflikten und in akuten Belastungssituationen nicht von biografischen Interventionen. Noch fehlen Studien zu Hörbüchern mit palliativ Erkrankten, insbesondere mit jungen Eltern, da ist das Projekt an der Bonner Palliativklinik bislang einzigartig. Die junge Mutter aus dem Rhein-Main-Gebiet hält inzwischen ihr fertiges Familienhörbuch in den Händen. Dem ging ein echter Kraftakt voraus:
"Ich war kurz davor in der Woche davor das Ganze zu verschieben, weil ich total platt war, mir war schwindelig, ich hatte irgendwie Gedächtnislücken durch die Bestrahlung, also mit mir war Reden lustig, weil ich mitten im Satz gerne auch mal vergessen habe, worum es gerade ging. Und ich hatte keine Stimme. Also ich hatte wirklich die zwei Wochen vorher irgendwie total kalte Füße bekommen."
Sie hat es dann doch noch geschafft. Es ging ihr während der Produktion körperlich sogar immer besser, dennoch:
"Emotional war es eine Achterbahnfahrt, also eindeutig. Ich habe zwischendurch ein Gutenachtlied singen wollen, und das habe ich auch gemacht, aber da habe ich fünf Anläufe gebraucht, bis ich das mal geschafft habe, ohne zu heulen. Das beutelt einen dann doch ganz schön. Und so irgendwie über das Leben erzählen, das geht auch, aber alles, was so mit persönlicher Ansprache an die Kinder und an meinen Mann zusammenhängt, war auch schwierig. Also das irgendwie mal hinzukriegen, ohne zu heulen zwischendurch, das war hart, ja. Ansonsten war es interessant, sich mal so mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen."