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Vom Knast ins Parlament

Korruption und Vetternwirtschaft gehören in Bulgarien zum politischen Alltag. Wie sehr, das zeigt die Kandidatur zweier mutmaßlicher Mafiabosse, die sich bei den bulgarischen Parlamentswahlen im Juli um einen Sitz bewerben. Pikantes Detail: Die sogenannten Galevi-Brüder haben ihre Kandidatur aus der Gefängniszelle eingereicht, wo sie unter anderem wegen des Verdachts auf Schutzgelderpressung einsitzen.

Von Simone Böcker | 18.06.2009
    Der Versammlungssaal im Rathaus von Dupnitsa ist gut gefüllt. In den Sitzreihen vor dem Podium haben die 33 Ratsmitglieder Platz genommen. Bürgermeister Atanas Janev betritt den Raum.

    In der Seitenreihe sitzt Lidia Pavlova. Die kleine Frau mit der dunklen Haarmähne und den knallroten Lippen schreibt für die Zeitung "Struma". Ungeduldig schüttelt sie den Kopf, als der Bürgermeister den ersten Antrag verliest. Es geht um den Sportplatz der Stadt. Ein Hotel soll dort gebaut werden und der Bürgermeister will die Gemeindeimmobilie günstig an einen Investor abgeben. Lidia Pavlova schnaubt verächtlich. "Ohne Ausschreibung", zischt sie leise. Es geht zur Abstimmung. Einstimmig sprechen sich alle 33 Ratsmitglieder für den Vorschlag aus.

    "Alle Verkäufe werden hier ohne Ausschreibung abgewickelt. Es geht nicht darum, dass der Gewinn der Gemeinde zugutekommt, sondern es geht nur darum, dass der Auftrag an 'unseren Mann' gelangt, wie der Bürgermeister sagte - wie hier bei dem Sportplatz, einem der attraktivsten Objekte im Zentrum. Warum geht der Auftrag gerade an diesen Investor? Es gäbe ja vielleicht auch andere Kandidaten, die bessere Offerten machen. Aber nein, das wollen sie nicht."

    Die Sitzung hat nicht lange gedauert. Zu keinem Punkt gab es Diskussionsbedarf. Lidia Pavlova kann ihre Empörung kaum unterdrücken. Der gesamte Gemeindebesitz werde einfach verscherbelt: ein abgekartetes Spiel. Denn in Wirklichkeit habe das Ratsgremium überhaupt nichts zu sagen.

    "Der Bürgermeister Atanas Janev hat zwei Berater. Oft sagt er, er habe 100 Berater. Nur: Dupnitsa hat nie einen Beraterstab von 100 Leuten gesehen. Dupnitsa hat nur zwei gesehen."

    Und das sind Plamen Galev und Angel Hristov, genannt die Galevi-Brüder - zwei kräftige Männer um die 40. Ihre kahlen, kugelrunden Köpfe sitzen auf massigen Körpern. Ehemals im Polizeidienst, wurden sie wegen Verdacht auf kriminelle Machenschaften suspendiert. Seitdem haben sie ein riesiges Vermögen angehäuft.

    Regelmäßige Bestechungsgelder und krumme Geschäfte - die Zeitung "Struma" schreibt als einzige offen darüber, was in Dupnitsa abläuft und worüber andere schweigen. Seit sieben Jahren kämpft Lidia Pavlova gegen die illegalen Methoden der Galevi-Brüder.

    "Der Bürgermeister und die Galevi-Brüder haben schon öfter versucht zu veranlassen, dass ich entlassen werde. Sie haben sogar ihre Pressekonferenzen abgeschafft, damit ich nicht auftauche. Weil ich immer gekommen bin, auch wenn sie mich gar nicht eingeladen haben. Sie haben mündlich Anordnung gegeben, mich nicht ins Rathaus reinzulassen."

    Jetzt lacht die zarte Frau über ihre eigene Renitenz. Doch eigentlich ist ihr gar nicht zum Lachen zumute. Erst vor Kurzem wurde ihr Sohn verprügelt, in einer Diskothek. Grundlos habe einer der Bodyguards der Galevi-Brüder Schläge ausgeteilt. Weder die Polizei noch die Ärzte in der Unfallklinik waren bereit, Hilfe zu leisten.

    "Während der Ereignisse in dieser Nacht habe ich verstanden, dass die Leute Angst haben. Wenn es um die Galevi-Brüder geht, dann sind alle gelähmt und sie machen aus Angst ihre Arbeit nicht mehr. Ein Teil der Polizei ist den Brüdern sogar gefällig. Manche Polizisten waschen ihnen die Autos. Einige haben praktisch zwei Arbeitsplätze. Ich sehe sie oft zusammen mit den Galevi-Brüdern."

    Eine großzügige Spende für das Krankenhaus oder einen Kindergarten, eine neue Parkanlage für die Stadt - das sind die Methoden, mit denen sich die Galevi-Brüder Zustimmung und Einfluss bei den Bürgern erkaufen. Und so mischt sich unter die Angst auch immer mehr Bewunderung.

    "Im Leben der normalen Leute passieren nicht so viele schöne Dinge wie bei den Galevi-Brüdern. Und die Leute sagen: Das sind erfolgreiche Männer! Die Kinder lieben sie. Sie sind wie Supermann, wie Helden aus Filmen."

    Lidia Pavlova verlässt das Rathausgebäude. Schnellen Schrittes eilt sie über den öden Rathausplatz in Richtung Fußgängerzone.

    "Die Leute haben noch immer mit den Problemen der Nachwendezeit zu kämpfen. Sie kämpfen um Anerkennung. Und sie haben Probleme, ihre Familien zu ernähren. Alle wollen Gewinner sein, keine Verlierer. Aber meistens sind sie Verlierer. Die Leute sagen sich: Nur wenn wir auf der Seite der Galevi-Brüder sind, bekommen auch wir etwas vom Kuchen ab."