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Vom Krisenhumor zur Humorkrise
Wie uns das Lachen verging

Grenzüberschreitung auf der einen Seite, Political Correctness auf der anderen: Eine Lachkultur, die alle Gesellschaftsschichten vereint, scheint es nicht mehr zu geben. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern kann auch gefährlich werden.

Von Markus Metz und Georg Seeßlen | 29.11.2020
Dieter Nuhr live im Kulturgarten mit seinem Programm 'Kein Scherz!' in der Bonner Rheinaue.
Menschen, auf deren Kosten Witze gemacht werden, haben das Recht, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schreiben die Autoren. Nach einem Auftritt von Dieter Nuhr ist das kürzlich passiert. Er hatte strukturellen Rassismus verharmlost. (dpa/Geisler-Fotopress)
Wie in der Gesellschaft insgesamt geht also auch in der Humorproduktion die Schere immer weiter auseinander. Anti-Komik entsteht als der Humor einer Gesellschaft, die schon über alles gelacht hat. Komik zweiten Grades, wie die von Helge Schneider etwa, besteht vor allem darin, dass gar keine Pointe mehr kommt.
Alle Theorien und Historien des Komischen gehen von bestimmten Funktionen des Komischen im Individuum und in der Gesellschaft aus. Es geht um "Entladung von Spannungen", um maskierte Kritik, um lustvolle Verzweiflung, um erlaubte Tabuverletzungen, um Triebsublimierungen und dergleichen. Der Lach-Skandal von heute ist die heilsame Lehre von morgen – so kann man sich den bürgerlichen wie den zivilisatorischen Fortschritt kaum ohne das Lachen vorstellen. Und wer humorlos ist, dem fehlt etwas Entscheidendes. Nicht einmal ein Papst kann es sich leisten, als gänzlich humorlos zu gelten, ganz zu schweigen von Industriemanagern und Fernsehmoderatorinnen.
Markus Metz, geboren 1958, studierte Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft, er lebt als Hörfunkjournalist und Autor in München. Zuletzt erschien von ihm "Schnittstelle Körper" (Matthes & Seitz Verlag) und "Freiheitstraum und Kontrollmaschine. Der (vielleicht) kommende Aufstand des nicht zu Ende befreiten Sklaven" (bahoe books Wien), beide gemeinsam mit Georg Seeßlen.
Georg Seeßlen, geboren 1948, hat in München Malerei, Kunstgeschichte und Semiologie studiert. Er war Dozent an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und schreibt heute als freier Autor unter anderem für "Die Zeit", "Frankfurter Rundschau", "taz" und "epd‑Film". Außerdem hat er rund 20 Filmbücher verfasst und Dokumentarfilme fürs Fernsehen gedreht.

Jede Gesellschaft entwickelt, einer Binsenweisheit zufolge, den Humor, den sie braucht, und erhält im Gegenzug jene Lachkultur und ihre Repräsentanten, die sie verdient.
Daraus ergibt sich, dass möglicherweise eine spezielle Art von Humor an den Grenzen einer Gesellschaft, einer Kultur, eines Landes, einer Nation oder einer Sprache endet. Es ist für ein chinesisches Publikum nur schwer nachzuvollziehen, was an den Obszönitäten in "Fack ju Göhte" so komisch sein soll, und nicht weniger irritiert mögen deutsche Zuschauer auf die Vorstellungen eines chinesischen Komikers reagieren.
Bananenschale
Wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht, empfinden viele fast kindliche Freude (www.imago-images.de)
Es gibt eine universale Komik
Gewiss gibt es eine universale Komik, sie hat mit dem Körper, dem Schicksal und der Tücke des Objektes zu tun. Die sprichwörtliche Bananenschale, auf der eine eben noch ihrer selbst so sichere Person ausrutscht und sich auf ein Körperteil setzt, das offenbar überall zum Komischen prädestiniert ist; die Hängematte, die gerade noch Entspannung und Vergnügung versprach und sich in ein eigensinniges Folterinstrument für Donald Duck verwandelt und alle, die seine komischen Qualen nachvollziehen können; oder das sorgfältig aufgebaute Masken- und Lügenspiel, das durch einen dummen Zufall in sich zusammenbricht – darüber kann man wohl beinahe überall auf der Welt lachen. Jedenfalls überall dort, wo man zwischen Mitleid und Schadenfreude eine Übersprungsenergie in einer sehr menschlichen Reaktion abführt.
Aber jenseits dieses universalen Lachens, in das man wohl schon als Kind eingeführt wird und das aus dem Lachenden selbst wieder ein sehr Kind-ähnliches Wesen zu machen scheint, werden Humor, Satire, Ironie und Witz eine ziemlich komplizierte Angelegenheit.
Gemeinsames Lachen als gesellschaftliche Aufgabe
Eine Gesellschaft wird erst durch das gemeinschaftliche Lachen möglich, das mag schon stimmen. Aber zugleich ist es auch die Aufgabe der Gesellschaft, der menschlichen Fähigkeit zum Lachen eine kultivierte Form zu geben. Das Komische ist ein Spiegelbild dessen, was eine Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Es entsteht eine Lachkultur oder ein System von Lachkulturen in einer Gesellschaft. Und so wie sie entstehen können, so können sie auch zerfallen. Und was, wenn wir statt miteinander oder wenigstens nebeneinander dann vor allem über einander und schließlich gegen einander lachen? Ist dann möglicherweise der Zerfall der Lachkulturen nicht nur Symptom, sondern sogar Mitursache des Zerfalls vieler anderer Strukturen gesellschaftlichen Zusammenhangs?
Beinahe scheint es, als hätten die Populisten, Autokraten und Diktatoren unserer Tage vieles von den Protagonisten der Lachkulturen im Zerfallsstadium übernommen: Spalten statt Versöhnen, Verletzen statt Heilen, Obszönität statt Weisheit. Schlimmer noch: Mehr und mehr scheinen die Unterschiede zwischen medialen Lachkulturen und politischer Praxis zu verschwimmen. Präsidenten, die sich wie Stand-up-Comedians verhalten, Debatten, die nach den Dramaturgien von Comedy-Serien ablaufen, parteipolitische Kandidaten, die so genannte Altherrenwitze von sich geben.
Unterstützer der islamistischen Partei Tehreek-e-Labbaik skandieren und halten ein Schild hoch mit der Aufschrift "Boycott French Products" ("Boykottiert französische Produkte")
Immer öfter kommt es zu Drohungen oder Gewalt gegen Humoristen (AFP/Aamir QURESHI)
Eine mordsgefährliche Entwicklung
Und auf der anderen Seite: kulturelle und politische Grundsatzfragen, die nicht in Parlament oder Universität verhandelt werden, sondern anhand von Auftritten und Auftrittsverboten von Kabarettistinnen und anderen Spaßmachern; nach langen Phasen beklagter Entpolitisierung die Repolitisierung der Spaßkultur von konservativer und rechter, sogar von extrem rechter Seite. Und schließlich Mord, Gewalt und Terror als Antwort auf angeblich blasphemische, beleidigende oder kränkende Satiren. Zerfallende Lachkultur in zerfallenden Gesellschaften, das ist nicht nur extrem unkomisch, es ist offenbar mordsgefährlich. Für Leib und Leben hier und da, für eine demokratische Zivilgesellschaft allemal.
Vielleicht hilft es, wenn man die vielen Facetten von Lachen und Humor einmal in Form einer Funktionsanalyse zusammenstellt: Wozu also ist das Lachen gut? Was bewirkt es? Was passiert, wenn es aus dem einen oder anderen Grund unterdrückt oder verboten wird, wenn es erstickt oder in zu vielen Hälsen steckenbleibt?
Menschen sind Wesen, die lachen können und die lachen müssen. Was ist, neben dem rein ethnografischen Phänomen, der Zusammenhang zwischen der Kultur des Lachens und der Ordnung der Gesellschaft?
Lachen als gemeinschaftsbildende Kraft
Zum ersten ist Lachen etwas, das eine Gemeinschaft erzeugt. Das Lachen verbindet auf die angenehmste Art nicht nur Menschen, die sich gut kennen, sondern auch solche, die ansonsten sehr lockere Verbindungen miteinander haben, im besten Fall auch über die Grenzen ethnischer, geschlechtlicher, kultureller und biografischer Identitäten hinaus. Aus Freude gemeinsam zu lachen ist das Gegenteil von gegenseitigem Misstrauen und Abgrenzung, jedenfalls für glückliche Augenblicke. Niemand lacht wirklich für sich allein.
Einsame Menschen werden in unserer populären Kultur oft als solche dargestellt, die nicht lachen können, während umgekehrt Menschen, die zu viel und zu laut lachen, als solche gelten, die einen entscheidenden Schritt zur ernsthaften, autonomen Person noch vor sich haben. Also: Lachen ist eine gemeinschaftsbildende Kraft, Humor ist eine Kulturtechnik des sozialen Ausgleichs.
So wie es keine Gemeinschaft ohne das gemeinsame Lachen gibt, gibt es auch kein Lachen ohne Gemeinschaft. Wenn also das gemeinschaftliche Lachen nicht mehr recht funktionieren will, kann man sowohl fragen, was an dem, was das Lachen auslösen soll, nicht mehr stimmt – dem Humor, als Begriff für die Erkenntnis des Komischen – neben dem Dramatischen, dem Transzendentalen, dem Abenteuerlichen oder dem Schrecklichen zum Beispiel.
Ebenso gut kann man aber auch fragen, was an der Gemeinschaft, die sich auf den Humor und das Komische beziehen soll, nicht stimmt. Wenn wir nicht mehr gemeinsam lachen können, könnte es daran liegen, dass niemand mehr die dafür richtigen Witze macht. Es könnte aber auch sein, dass es für die Überbrückung unserer inneren Widersprüche einfach keine richtigen Witze mehr gibt.
Der große Diktator (1940), Regie, Produktion und Hauptrollen: Charlie Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel, Diktator von Tomamia
Humor kann die Möglichkeit sein, auf das Verbotene zu reagieren (imago/United Archives)
Auf das Verbotene mit einem Witz antworten
Zum zweiten reagiert das Lachen auf das Verborgene und das Maskierte, das Verbotene und das Tabuisierte. Wovon man ernsthaft nicht sprechen darf, das kann man in einem Witz, einer Parodie, einer komischen Travestie ausdrücken. Vor allem reagiert das Komische auf eine Grauzone zwischen dem Verbotenen und dem Erlaubten, auf Regeln und Ordnungen des Alltäglichen, die eine gemeinsame Grundlage haben: Die Kontrolle des Körpers, die Kontrolle der Bewegungen und die Kontrolle der Sprache. Komisch ist, ob man es will oder nicht, der Augenblick, in dem die Kontrolle über einen Körper, über eine Bewegung und der Sprache verloren geht – aus welchen Gründen auch immer – und etwas Anderes, Unkontrolliertes und vielleicht in einem tieferen Sinn Wahrhaftigeres hervorkommt.
Um über den peinlichen oder eben komischen Regelverstoß zu lachen, muss man die Regel kennen und akzeptieren. Dieses befreiende Drama: Das tut man nicht, und man tut es in Form des Komischen eben doch, wird höchst fragwürdig, wenn die gemeinschaftlichen Regeln selbst erodieren. Darin besteht eine gefährliche Dialektik des öffentlichen Humors. Man könnte zum Beispiel so viele Scherze über das Betrunkensein in der Öffentlichkeit machen, bis Betrunkensein in der Öffentlichkeit gar kein Regelverstoß mehr wäre – also nicht mehr peinlich und damit nicht mehr komisch wäre.
Die Ambivalenz des Lachens
Nicht anders verhielte es sich zum Beispiel mit Politikern und Politikerinnen, die in der Öffentlichkeit Unsinn oder Lügen verbreiten. Die Entlarvung mag im Einzelfall noch komisch sein, wenn man sich aber einmal an Unsinn und Lügen gewöhnt hat, ist das Lachen über die sich selbst entlarvende Autorität nicht mehr wirklich befreiend. Wenn man das Komische als eine Technik ansieht, die Wahrheit zu sagen, obwohl einiges und einige dagegensprechen, so kann man es ebenso als eine Technik ansehen, uns an Lügen zu gewöhnen, an die zumindest einige von uns sich gar nicht gewöhnen wollen.
Das bringt uns zu einer dritten wesentlichen Funktionsweise von Humor, Witz und Lachen: Es kann sich nämlich darin kritische Erkenntnis ausdrücken, eine Unzufriedenheit mit Menschen und Verhältnissen, die man in anderer als der komischen Weise nicht formulieren kann oder mag. So lange man in einer Gesellschaft lachen kann, ist die Autorität von Personen und Institutionen nicht grenzenlos. Kinder, die über ihre Eltern, Schülerinnen, die über ihre Lehrer, Bürger, die über ihre Regierungen lachen können, sind Teil eines internen Ausgleichs. Alles, worüber man lachen kann, hat auch Schwächen, kann weder perfekt noch total sein. Vielleicht steht das Lachen am Beginn jeder Demokratie. Lachen über Autorität und Macht ist ein bürgerliches Grundrecht.
Humor als Waffe
Und das Lachverbot steht am Beginn jeder politischen, religiösen und kulturellen Diktatur. Wer über das Lachen gebietet, wer bestimmen kann, wer wann wie und wo über wen oder was lachen darf, der reichert Macht in sich an. In dem Moment, da ich das Lachen untersagen kann, erkläre ich jemand oder etwas zum Heiligtum, dessen Kränkung mit Strafe bedacht wird. Weil du über den Vater gelacht hast, hat die Mutter dich nicht mehr lieb. Weil du über die Regierung gelacht hast, kommst du ins Straflager. Und weil du über meinen Gott gelacht hast, bringe ich dich um.
Dabei steckt ja auch im Lachen im allgemeinen und in einem Spektakel der Lachkultur insbesondere schon ein System von Distanz und Strafe. Jemand wird Opfer eines bösen Scherzes, jemand wird durch Komik zerlegt, entkleidet, getroffen oder sogar vernichtet. Im schlimmsten Fall kann das gemeinsame Lachen dann einem Opferritual gleichen, bei dem ein Sündenbock statt mit Steinen mit abwertenden Scherzworten gepeinigt wird. Im besseren Fall ähnelt die Situation eher einer symbolischen Drohung. Noch lachen wir nur über dich, aber wenn du so weiter machst…
Komik, Humor und Lachen können als Waffe gebraucht werden, wenn sie das Opfer nicht nur in seinen Missgeschicken, seinen Fehlern oder seinen Maskierungen treffen, sondern in seinem persönlichen Kern, in seiner Würde. Wir sehen es gern, wenn die Regierten über die Regierungen, die Arbeitenden über die Besitzenden, die Ketzer über die Dogmatiker, die Befreier über die Unterdrücker lachen. Umgekehrt scheint es uns weniger gerechtfertigt. Doch am furchtbarsten ist es, wenn dieses hierarchisch-rebellische Lachen umgeleitet wird, von den Oberen auf die Anderen. So erscheinen Witze, die vor allem dazu dienen, ein Einverständnis mit Herabwürdigung, Ausgrenzung oder Verachtung zu erklären. Gelächter kann Gewalt gegen das Opfer vorbereiten und begleiten. Es verhält sich mit dem Lachen, dem Humor, der Satire nicht viel anders als mit der Freiheit. Wenn es seine Rückbindung an einen Kanon der verbindlichen Werte und Überzeugungen verliert, wenn es sich an Bewusstsein, Moral und Verantwortung nicht mehr gebunden fühlt, dann kann es böse und gefährlich werden.
Humor als Kraft der Erkenntnis und der Selbsterkenntnis
Fünfter Punkt: Aber das Komische gehört doch auch zu den Methoden, Konsens und Konventionen infrage zu stellen und die Bereiche der Kommunikation zu erweitern und zu befreien. Wenn Kinder Witze machen, schwingt doch immer auch die Frage mit: Wie weit kann ich gehen? Richtig gute Witze provozieren immer, erzeugen eine heilsame Unruhe, stoßen verborgene Türen auf, bringen Gewissheiten ins Wanken. Humor ist eine Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts, der Erkenntnis und der Selbsterkenntnis.
Das Lachen provoziert die Idee der Veränderung. Es ist nicht nur eine lustvolle Form von Kritik, es hat auch, ganz sinnlich und direkt, einen utopischen Anspruch. Im Lachen finde ich einen Vorschein des kommenden Glücks.
Mit einem Skandal in Hollywood hat es angefangen - jetzt diskutiert auch Deutschland wieder über Sexismus. #MeToo - Ich auch - heißt das Hashtag, unter dem Frauen ihre Erfahrungen damit teilen.
Früher gehörten Altherrenwitze zum Alltag, heute regt sich immer öfter Protest gegen Sexismus, auch in der Humorkultur (dpa / Britta Pedersen)
Die Rolle der Sexwitze
Wie also Lachen, wenn uns die Vorstellung von Gesellschaft, kulturellem Fortschritt und wachsender Freiheit abhandenkommt? Wo keine Utopie mehr aufscheinen kann als noch mehr Smartphones oder die Verhinderung der allergrößten ökologischen Katastrophe, da ist Lachen eher von Verzweiflung als von Hoffnung geprägt. Etliche unserer Lachkulturen erscheinen als Grabstätten der Hoffnungen.
In der Lachkultur stecken die Wünsche und das Begehren. Sexualität zum Beispiel ist ja nicht nur deswegen ein so beliebtes Witzthema, weil man hier am zielsichersten in den Bereich der Tabus, der Peinlichkeit und der öffentlichen Lügen gelangen kann, sondern weil dies eine Korrespondenz zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen erlaubt. Zwischen dem, was einzelne Menschen an Sexualität erleben – oder auch nicht erleben – und dem, was in der Gesellschaft als Normerwartung existiert, vermittelt man am einfachsten in Form von Witz, Satire und Ironie. In der Lachkultur wird der gesellschaftliche Reichtum verteilt, ein wenig jedenfalls, einschließlich der erotischen, kreativen und sinnlichen Energien.
Schlimm genug, was Sexualisierung des Humors und Humorisierung der Sexualität schon in unserer Kulturgeschichte angerichtet haben. Bei Sigmund Freud kann man nachlesen, dass erotische Witze nicht nur eine heftige Beziehung zum Unbewussten haben, sondern durchaus auch soziale Verabredungen. Die Zote als sexuelle Avance gegenüber einer Frau in Abwesenheit, so sieht es Freud, ist ebenso Teil des Antifeminismus wie Schwulenwitze Teil der Homophobie sind. Witze sind oft genug Racheakte für entgangene Vergnügungen oder Anerkennungen. Was ich nicht kriegen kann, woran ich nicht teilhaben kann, das soll auch entwertet und delegitimiert werden. Ich verstehe nichts von moderner Kunst? Also mache ich einen Witz über Gekleckse. Ich habe keinen Anteil an einer genderoffenen und toleranten Kultur? Also mache ich Witze über Gender und Toiletten, wovon man, wie wir wissen, nicht einmal als Ministerin im Karneval Abstand nimmt.
Bedeutendes Instrument der demokratischen Zivilgesellschaft
Aber es hat doch immer ein gutes, ein konventionelles und ein böses Lachen gegeben. Diese Ambivalenz liegt in der Natur der Menschen und der Geschichte. Selbst wenn wir akzeptieren, dass die Zerfallserscheinungen der Gesellschaft und die Zerfallserscheinungen der Lachkulturen dem bösen Lachen, dem Lachen als Waffe, als Machtinstrument, als Gewalt und Zerstörung von Ideen und Werten, neue Möglichkeiten geöffnet haben; selbst wenn wir akzeptieren, dass die Vergnügungsindustrie einer hemmungslos profitorientierten Medienlandschaft auf die Kultur im Begriff Lachkultur nur wenig Wert legt, so muss man doch an der Lachkultur als bedeutendem Instrument der demokratischen Zivilgesellschaft festhalten. Darin steckt, dass sie nicht nur die Moral und die Vernunft, sondern auch die Lust auf ihrer Seite hat.
Und in einer Krise ist Humor wichtiger als je. Der Humor und das Lachen helfen uns über Isolation und Angst hinweg. Humor ermöglicht es, von Problemen oder Teilproblemen Abstand zu bekommen, so dass man sie vielleicht genauer ansehen und neue Lösungsmöglichkeiten finden kann. Lachkultur ist wie Musik, Literatur und Bildung ein Vorschein auf das Kommende, auf eine Zeit nach der Krise.
Wie anders als durch Humor könnten wir uns gegenseitig vermitteln, dass wir alle so ziemlich in derselben Situation sind.
Nahaufnahme von Jan Böhmermann, TV-Entertainer, der applaudiert 
Mit seinem Schmähgedicht über den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan löste Jan Böhmermann eine Welle des Protests und eine Diskussion über Grenzen der Satire aus (picture alliance/dpa/Matthias Balk)
Humor als Massenware
Die Ökonomisierung und Medialisierung der Humorkultur hat sie vom kulturellen Ereignis zur kulturindustriellen Ware gemacht. Nicht die Gesellschaft, sondern der Markt bestimmt, worüber gelacht wird und worüber nicht. Auch die Lachkultur ist nun der Steigerungslogik unterworfen. Um sich auf dem Markt der Lachgelegenheiten durchzusetzen, muss ein Comedian noch obszöner, derber und bei entsprechender Nachfrage eben auch aggressiver sein als die Konkurrenz. Was ein zahlungskräftiges Publikum verlangt, das wird auch geboten. So kann es geschehen, dass ein Witzeerzähler, den man auf jeder Party als Nervensäge fürchten müsste, die Mehrzweckhallen der Republik füllt, einfach, weil seine Witze direkte Erfüllungen der Erwartungshaltungen sind. Sündenböcke werden geschlachtet, durch Gelächter getötet, in Abwesenheit verdammt.
Mit leisem Unbehagen mag man die Ablösung der politischen Kabarettisten durch die leichteren Formen der Comedians beobachten, mit einem deutlichen Schub von Infantilisierung. Die Geschmacksgrenzen haben sich verschoben hin zu einer Form des transgressiven Humors, der um die lustvolle oder peinigende Öffentlichkeit von Körperfunktionen aufgebaut ist, oder, um die Sprache des Genres zu verwenden, um Furz-, Kotz- und Sexwitze.
Näher besehen reflektiert dieser nun ja, pubertäre Humor in den Mainstream-Medien sogar, dass es Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten so nicht mehr geben würde. Das Leben privatisiert sich generell, weshalb man nun auch lieber über persönliche Marotten der Regierenden lacht als über die diskursiven Widersprüche der Regierung. Drastischer für die Veränderung der Humorkultur aber sind einige kulturgeschichtliche und politische Phänomene, die man sich widersprüchlicher nicht vorstellen kann. Eine erstarkte Bewegung am rechten Rand, gebildet aus Rechtspopulisten, militanten Konservativen und Neofaschisten, drängt zumindest diskursiv in die Mitte der Gesellschaft.
Zwischen Sensibilisierung und Grenzüberschreitung
Man kann sich nur wundern, was man alles plötzlich wieder doch noch einmal sagen darf, welche rassistisch oder religiös motivierten Feindbilder wieder möglich sind, wie offen man gegen Flüchtlinge, Migranten und Fremde sein kann, ohne sich die Missbilligung der Mainstream-Gesellschaft zuzuziehen. Und weil auch besorgte Bürgerinnen und Bürger etwas zu Lachen haben wollen, hat sich ein dezidiert rechter, homophober, denunzierender, anti-liberaler Humor entwickelt, der Teile der Lachkultur erreicht, von denen man eine solche feindliche Übernahme nicht erwarten würde. Tatsächlich: Kabarettisten als Lieblinge der Konservativen? Tatsächlich: Verwandlung populärer in populistische Formen der Komik? Tatsächlich: Komik als Hasspropaganda? Als gespenstische Wiederkehr längst überwunden geglaubter Vorurteile und Herabwürdigungen?
Auf der anderen Seite der Gesellschaft, in der linksliberalen Zivilgesellschaft, hat sich gleichzeitig eine neue Sensibilität gebildet in Bezug auf persönliche und kollektive Identitäten. Es ist gewiss höchste Zeit, den allgemeinen Sprachgebrauch und das kulturelle und pop-kulturelle Erbe auf direkte oder versteckte Elemente von Rassismus, Sexismus und Nationalismus zu durchforsten. Es ist höchste Zeit, die Gebräuche etlicher Traditionen der Lachkultur wie etwa das karnevalistische "black facing" oder das denunziative Spiel mit den Geschlechterrollen einer kritischen Revision zu unterziehen. Political Correctness heißt auch, der Lachkultur eine neue Achtsamkeit zu verordnen. Und spätestens in der #metoo-Bewegung wird deutlich, wie eng Missbrauch und Unterdrückung sich auch in Form von Witzen äußern und legitimieren.
Es ist eine einfache und demokratische Idee: Menschen, auf deren Kosten Witze gemacht werden und die in Form von Witzen zu Objekten von Verachtung, Ausgrenzung und Gewalt gemacht werden, haben das Recht, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Und die demokratische Zivilgesellschaft soll sie dabei unterstützen. Dass es dabei auch zu Übereifer und zu Überängstlichkeit kommt, liegt in der Natur der Sache.
Humor und soziale Medien
Auch die Humorkultur hat ihre Medien und ihre Verbreitungsformen geändert. An die Stelle der öffentlichen Verhandlung darüber, worüber man reinen Herzens und in geschärftem politischen Bewusstsein lachen kann und worüber nicht, ist zu einem gewissen Grad die virale Verbreitung komischer und vielleicht nicht so komischer Scherze im Internet getreten. Wie die Gesellschaft insgesamt, so spalten sich auch die Lachkulturen immer weiter auf. Auf der einen Seite immer weitere politische und kulturelle Enthemmungen, auf der anderen Seite immer größere Empfindlichkeit und Vorsicht. Und dazwischen kursieren in den Netzen Bild- und Textpartikel, in denen sich Komik und Gewalt verbinden und die sich im Zweifelsfall gegenüber Hass- und Hetzparolen herausreden: War doch nur Satire!
Gekränktsein, Empörung, Gewalt als Reaktion auf Humor
Neben den vielen anderen antidemokratischen und anti-modernen Tendenzen der zerfallenden Gesellschaften der Gegenwart haben sich starke Bewegungen des fanatischen religiösen Fundamentalismus herausgebildet, die, wie wir leidvoll erkennen müssen, mit den Toleranzgeboten der liberalen Gesellschaft so wenig vereinbar sind wie die neofaschistischen Gruppierungen. Dabei handelt es sich keineswegs nur um den politischen Islam, aus dem gleichwohl derzeit die schrecklichsten Reaktionen zu kommen scheinen. Auch hinduistische und christliche Fundamentalisten sind bereit, auf Scherze über ihre Religion zuerst mit Gekränktsein, dann mit Empörung und schließlich mit Gewalt zu reagieren. Ähnliches gilt für parareligiöse und esoterische Bewegungen bis hin zu militanten Tierschützern, Verschwörungsfantasten oder Fußballfans. Wenn es darum geht, Identitätsgefühle zu erzeugen, scheint es ein probates Mittel zu sein, sich jegliche Form von Scherz, Satire und Ironie zu verbitten. Macht hat, wer den anderen das Lachen verbieten kann, und Macht hat, wer über andere lachen kann. Daher wird das Lachen bei den populistischen, postdemokratischen und autoritären Politikern und Politikerinnen unserer Zeit zu so einer fatalen Waffe.
Die Unerträglichkeit der Wirklichkeit
Nehmen wir an, dass das Lachen unter vielem anderen auch ein Ventil gegen die Unerträglichkeit der Wirklichkeit ist. Die Wirklichkeit, in der es Bananenschalen gibt, auf denen man ausrutschen kann; tückische Objekte, die beim Gebrauchsversuch auseinander fallen; kräftige und unverschämte Zeitgenossen, die glücklicherweise gelegentlich von kleinen, aber findigen Vagabunden aufs Kreuz gelegt werden; Damen und Herren, die beim Versuch, bella figura abzugeben und soziale Distinktion zu erzeugen, ein Chaos anrichten; Menschen, deren riesengroße Projekte an winzigen Details scheitern; andere, die je mehr sie sich als Meister der Sprache gerieren, sich heillos in ihr verirren.
Um aber gemeinsam lachen zu können, müssten wir auch eine gemeinsame Wirklichkeit bewohnen. Dem nun freilich scheint nicht mehr so zu sein in der Welt der alternativen Fakten, der Fake News und der Fake News-Vorwürfe gegen alles, was einem nicht passt, der massenhaften Verleugnungen simpler Fakten – sei es die Kugelförmigkeit des Planeten, die Entstehung der Arten in einer Naturgeschichte oder das Wirken einer Pandemie nebst der Nützlichkeit gewisser einfacher hygienischer Schutzmaßnahmen dagegen. Es führt zu keiner Erleichterung mehr, Witze über Donald Trump zu reißen, über Corona-Leugner oder über Menschen, die sich mit Alu-Mützen vor 5g-Strahlen schützen wollen.
Vicco von Bülow hält die Büste der Hauptfigur seiner Karikaturen, einem korrekt gekleideten Strichmännchen mit Knollennase, im Arm.
Früher gab es eine Art von Humor, auf den sich alle einigen konnten (picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
Es braucht eine Neuerfindung der Lachkultur
Vielleicht müssen wir uns ja abfinden mit dem Ende einer Humorkultur, so wie wir sie für drei mehr oder weniger glückliche Jahrzehnte gepflegt haben. Nicht nur das Komische, sondern auch das Wirkliche hält sich nicht mehr an die Regeln. Worüber die eine lacht, scheint dem anderen ganz normal, und der dritten hoch und heilig. Gesellschaften, die sich in unversöhnliche Teile aufspalten, können auch im Lachen nicht mehr vereint sein.
Vorbei die Zeiten, in denen es eine Lachkultur gab, auf die sich wirklich beinahe alle einigen konnten. Beinahe jeder und jede mochte Loriot, mochte Polt, mochte Käpt'n Blaubär. Vorbei aber auch jene Zeit, in der man großzügig jedem und jeder seine eigene Portion Lachkultur gönnte. Nun scheint jede Lachkultur von der Empörung und dem Entsetzen der anderen geprägt. Im Lachen steckt viel weniger Vergnügen und Befreiung als Trotz und Aggression. Und musste früher der lachende Widerstand vor allem die Reaktion der Obrigkeit fürchten, so kann man nun Angst haben, von allen Seiten bedroht und angegriffen zu werden.
Einerseits also kommt uns das, worüber es sich noch zu lachen lohnt, abhanden. Andererseits lacht es sich nicht besonders gut im Angesicht der doppelten Angst, entweder jemanden, der es nicht verdient hat, zu beleidigen, oder jemandem, der es durchaus verdient hat, Nahrung für seine Empörungsgeilheit zu geben.
Es hilft nichts. Der Humor in der Krise hat die Krise des Humors so deutlich zutage gebracht, dass am Ende nur eine Neuerfindung der Lachkultur für die demokratische Zivilgesellschaft bleibt. Darin wird es weniger darum gehen, was erlaubt und was verboten ist. Einem Rassisten rassistische Witze auszureden ist vermutlich so aussichtsreich wie es die lobenswerte, aber folgenlose Unternehmung war, Corona‑Leugnern mit einem satirischen Auftritt die Widersinnigkeit ihrer Argumente vor Augen zu führen. Und sich selber eine Dauerprüfung der identitätspolitischen Korrektheit aufzuerlegen, ist so absurd wie eine narzisstische Beichte. Als könnten wir nicht einmal mehr unserem eigenen Lachen trauen. Als wäre die Angst, über das Falsche am falschen Ort zu lachen, größer als die älteste Sehnsucht im Lachen selbst: die Befreiung.