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"Von den Steuereinnahmeausfällen sind zwei Drittel hausgemacht"

Angesichts der angespannten Haushaltssituation der Städte und Kommunen hat der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum dem Bund vorgeworfen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wenn der Staat beispielsweise den Kita-Ausbau plane, müsse er auch die Kosten dafür übernehmen, sagte der parteilose Politiker.

Ulrich Nußbaum im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 16.10.2010
    Jürgen Zurheide: Es gibt ein neues Gremium in Deutschland und dessen Namen, den werden wir uns merken müssen: der Stabilitätsrat. Der Stabilitätsrat soll die Schuldenbremse kontrollieren – Sie alle wissen ja, dass bis 2020 keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden sollen in Deutschland, zumindest in den Ländern nicht, der Bund hat in ganz engen Regeln dann noch die Möglichkeit. Gestern hat nun dieser Stabilitätsrat zum ersten Mal getagt und vier Länder unter Beobachtung gestellt: Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein und natürlich auch Berlin, weil dort möglicherweise die Finanzen etwas aus dem Ruder laufen können und es zweifelhaft ist, ob man diesen Stabilitätsrat und die Schuldenbremse einhalten kann. Wir sind jetzt verbunden mit dem Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum, den ich am Telefon begrüße – guten Morgen, Herr Nußbaum!

    Ulrich Nußbaum: Schönen guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal: Ist das, was da beredet wird, ist das für Sie Unterstützung oder ist das Einmischung in innere Berliner Angelegenheiten, wie werten Sie das, was da gestern passiert ist?

    Nußbaum: Na, wir werten das, sage ich mal, als ein konsequentes Verfahren. Wir haben die Schuldenbremse im Grundgesetz, und das ist auch gut so. Und Sie hatten es in der Anmoderation schon gesagt, Schuldenbremse heißt, wir müssen bis 2019/2020 ausgeglichene Haushalte haben, das heißt, wir dürfen unsere Ausgaben nicht mehr über zusätzliche Kreditaufnahmen, über Schulden finanzieren. Und damit das klappt, ist dieser Stabilitätsrat gegründet worden, und das ist jetzt ein Gremium, das ich auch als Sparringspartner sehe, als ein Gremium, wo dann auch die Probleme eines Landes auch transparent gemacht werden müssen und können und wo ich mir nicht nur eine Kontrolle erwarte – das ist ja auch kein Staatskommissar –, sondern wo ich mir dann auch eine Unterstützung in diesem Konsolidierungskurs erwarte.

    Zurheide: Jetzt hat Berlin – wir wissen das alle – 60 Milliarden an Schulden, Konsolidierung hat es gegeben, in den vergangenen Jahren hat man die Neuverschuldung etwas reduzieren können, aber wir alle wissen, Neuverschuldung reduzieren reicht dann eben nicht. Sie haben jetzt klar gesagt – und das haben Sie gerade auch angesprochen zwischen den Zeilen –, zum Beispiel neue Steuersenkungen gehen dann gar nicht, sonst klappt das nicht, oder wie ist da Ihre Haltung?

    Nußbaum: Das ist ja, einen Haushalt konsolidieren Sie ja immer auf zwei Seiten, das ist wie zu Hause, bei den Einnahmen und bei den Ausgaben. Wenn Sie mehr Einnahmen haben, können Sie sich theoretisch auch mehr Ausgaben leisten, und wenn Sie eben weniger Einnahmen haben, auch entsprechend weniger Ausgaben, so geheimnisvoll ist das Ganze ja nicht. Wir haben hier in Berlin schon auch mit der Finanzplanung jetzt im September klar gesagt: Um dieses ehrgeizige Ziel einzuhalten, nämlich die Schuldenbremse nicht zu verletzen, müssen wir in Berlin sozusagen die Ausgaben einfrieren. Und dann kann das über die Jahre auch klappen und wird dann auch klappen, setzt aber natürlich voraus, dass auf der Einnahmenseite nicht die Einnahmen wegbrechen, und die können aus zweierlei Gründen wegbrechen: Erstens können sie wegbrechen, weil die Konjunktur wie jetzt in der Krise 2008 eingebrochen ist und die Wirtschaft lahmt, aber sie können auch deswegen einbrechen, weil Steuergesetze gemacht werden, die die staatliche Einnahmenbasis aushöhlen, also für Kommunen und auch für die Länder und natürlich auch für den Bund. Wenn ich mir die letzten beiden Regierungen, also diese Regierung und die letzte, anschaue, dann stelle ich einfach fest, von den Steuereinnahmeausfällen sind zwei Drittel hausgemacht, also über Steuersenkungsgesetze gemacht, und nur ein Drittel ist über diese große Krise, über diesen Konjunktureinbruch gekommen. Und das geht dann natürlich nicht.

    Zurheide: Da taucht natürlich die Frage auf: Brauchen die Länder a) mehr Mitsprache bei den Steuern, bisher ist das ein Verbundsystem, einigermaßen kompliziert, über den Bundesrat können Sie mitreden, aber so richtig gestalten können Sie da nicht, oder brauchen Sie möglicherweise eigene Steuerhoheit? In welche Richtung denken Sie?

    Nußbaum: Also das ist ja in der Tat, wie Sie sagen, ein komplexes System. Über den Bundesrat reden wir mit, aber die großen Steuerarten, die macht der Bund sozusagen, und wir als Länder haben im Grunde die Grunderwerbssteuer. Das ist aber, wo man aktiv gestalten kann, aber das ist ja auch nur begrenzt. Deswegen diskutieren wir ja auch beispielsweise, was die Kommunen jetzt anbelangt, mit dem Bund und auch anderen Ländern in der Gemeindefinanzkommission, wie kann man vor allen Dingen auch die Kommunen beispielsweise stärker ausstatten, denn die Kommunen erbringen ja vor Ort – und Berlin, deswegen sage ich das, ist ein Stadtstaat, wir sind ein Land und eine Kommune zur gleichen Zeit – erbringen natürlich vor Ort viele Leistungen für die Bürger. Ob das sogenannte Grundsicherung im Alter ist, also immer mehr Menschen, die werden alt, fallen aus den Rentensystemen, Leistungssystemen raus, da muss eine Kommune das auffangen mit der Grundsicherung im Alter, das wächst enorm zu. In Berlin sind das schon über 300 Millionen, weil die Menschen natürlich älter werden. Oder Kosten der Unterkunft und, und, und, das sind alles Lasten, die der Bund sozusagen auch auf die Gemeinden und damit indirekt auf die Länder verlagert, und er stiehlt sich ein Stück aus der Verantwortung, so. Und das klappt dann nicht. Und deswegen meine ich schon – und da waren wir uns auch gestern eigentlich einig auf der Konferenz –, dass auch der Bund jetzt über die Schuldenbremse natürlich auch schon, nicht auch schon, sondern er hat eine klare Verantwortung auch für die Einnahmenseite der Länder und der Kommunen.

    Zurheide: Dann kommen wir zu einem anderen Problem: Die Frage ist ja, können Sie eigentlich noch genügend investieren, gerade weil die Lage so ist, wie Sie sie gerade geschildert haben, dass Sie da wegen der zunehmenden Lasten immer weiter abgeschnürt werden? Sie haben die Verpflichtung, in Infrastruktur zu investieren, aber ich komme noch mal auf einen anderen Punkt: Die soziale Infrastruktur ist ja auch wichtig, und da gibt es so neuere Ideen. Hannelore Kraft, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin hat das jetzt ein paar Mal in die Diskussion eingebracht, Sie in Berlin haben gewisse Erfahrungen damit angesichts der knappen Mittel, dass man manchmal erst mal etwas investieren muss, und dann nachher hat man weniger Sozialausgaben. Ist das so ein Hoffnungsschimmer, um mehr Schulden zu machen, oder sagen Sie Nein, da liegt wirklich ein entscheidender Punkt?

    Nußbaum: Also ich sehe das ganz nüchtern, und ich bin wirklich der festen Auffassung auch jetzt – ich bin ja parteilos und komme aus der Wirtschaft, wie Sie wissen –, dass diese Investitionen, die Sie jetzt ansprechen, beispielsweise in frühkindliche Bildung, dass wir mehr im Kindergarten machen, dass wir mit allen Mitteln versuchen, die Kinder vielleicht auch ganztags da zu betreuen, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, indem wir das attraktiver machen, bessere Ausstattung machen, also weniger Kinder auf eine Kindergärtnerin, oder auch die Schulfrequenzen verbessern. Ich halte das für wichtig und ich glaube auch, dass es uns am Anfang natürlich Kraftanstrengungen abverlangt, also mehr kostet, aber dass es auf die Länge hin gesehen uns bei anderen Kosten eben dann Einsparungen erbringt und das uns nach vorne bringt. Aber: Wir sind natürlich jetzt am Rande dessen, oder schon drunter, dass ausfinanzieren zu können, das ist unser Problem. Und ich bin nun wirklich nicht jemand, der höheren Steuern das Wort gerne redet, aber wenn der Staat bestimmte Leistungen zu erbringen hat und bringen soll, dann muss er einerseits natürlich effizient arbeiten – das ist auch mein Antrieb hier in Berlin, dass wir die staatliche Verwaltung effizienter machen, dass wir transparenter werden –, aber der Staat muss auch Mittel zur Verfügung haben, das alles zu leisten.

    Zurheide: Jetzt gibt es ja viele, die sagen, mit diesem Kurs, den wir in der Vergangenheit gefahren sind, Personal zu sparen und immer nur einzusparen, werden wir das unterm Strich nicht schaffen, wenn wir da nicht umdenken. Richtig oder falsch?

    Nußbaum: Man kann nicht sagen richtig oder falsch. Wenn man einfach mit dem Rasenmäher weiter Personal runterfährt, dann haben Sie recht, dann ist das undifferenziert und dann fehlt Ihnen beispielsweise im Gesundheitsamt der Arzt, der die Kinder begutachtet und einschätzt, und an anderer Stelle haben Sie eben drei zu viel da sitzen, die eigentlich nicht wissen vielleicht, was sie macht. Also wenn, muss man natürlich schon aufgabenkritisch und differenziert Personal abbauen, das heißt, wir müssen Personal aber auch fördern, qualifizieren, wir müssen – und das ist auch ein Teil des Problems des öffentlichen Dienstes, dass aus meiner Sicht viel zu wenig Mittel da sind, um Menschen auch wirklich zu motivieren, aus diesem Personal mehr rauszuholen. Das kann man am besten – natürlich, man muss sie ordentlich bezahlen, aber auch indem man ihnen Freiräume gibt, Selbstverantwortung und mit ihnen eigenverantwortlich was macht. Da müssen wir differenzierter rangehen. Aber dass wir beim Personal einsparen müssen, ist zumindest für Berlin ganz klar – auch da haben wir uns ehrgeizige Ziele gesetzt.

    Zurheide: Das war der Finanzsenator aus Berlin, Ulrich Nußbaum, über die schwierige Haushaltslage in den Kommunen, aber auch in einem Stadtstaat wie in Berlin. Ich bedanke mich fürs Gespräch, auf Wiederhören!

    Nußbaum: Ja, vielen Dank, schönen Tag!