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Von der Aue: Instrumentarium ausreichend

Die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue hat in der Debatte um Jugendkriminalität eine Verschärfung der bestehenden Gesetze abgelehnt. Die SPD-Politikerin sagte, die vorhandenen Instrumente reichten aus, müssten aber konsequent angewendet werden. Längere Höchststrafen für Gewaltdelikte seien nicht effektiv, da sie für die spontan agierenden Täter keine Abschreckung darstellten.

Moderation: Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Es sind Fälle, die der Debatte um die Verschärfung des Jugendstrafrechts neue Nahrung geben. Und seit dem Wochenende gibt es nun einen offenen Dissens in der Großen Koalition, denn die Union will strengere Regeln im Jugendstrafrecht, die Sozialdemokraten lehnen sie ab. Eine Sozialdemokratin begrüße ich nun am Telefon. Mir zugeschaltet ist die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue. Guten Morgen!

    Gisela von der Aue: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Frau von der Aue, der "Berliner Tagesspiegel" zitiert Sie mit der Äußerung, Seit 2003 würden jugendliche Straftäter in Berlin deutlich mehr und deutlich härter bestraft. Das heißt, Härte ist das richtige Rezept?

    Von der Aue: Ich glaube, Konsequenz ist das richtige Rezept. Wir müssen natürlich auf diese furchtbaren Taten reagieren, und zwar ganz konsequent reagieren, damit diese Jugendlichen auch wissen, dass der Rechtsstaat sich solche Taten nicht gefallen lässt. Wir haben aber ein Instrumentarium, das ausreichend ist. Es muss nur angewandt werden. Wir haben in Berlin ja die Entwicklung beobachten können. Und sowohl die Strafermittlungsbehören, die Polizei und auch die Richterschaft hat darauf reagiert. Und das sehen Sie eben auch in der Statistik, dass eben härter bestraft wird und dass auch wesentlich weniger zur Bewährung Strafen ausgesetzt werden.

    Schulz: Die müssen richtig angewendet werden. Heißt es, dass es weiter einen Anwendungsdefizit gibt?

    Von der Aue: Ich weiß nicht, ob man von einem Defizit reden kann. Es sind ja Entwicklungen, die auch in den jeweiligen Institutionen zur Kenntnis genommen werden müssen. Und es ist ein großes Missverständnis jetzt, wenn diese Taten auch in der Öffentlichkeit besonders sensibel zur Kenntnis genommen werden, zu glauben, die Justiz und der Vollzug könnten alles regeln. Dieses ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Auch dieses haben wir in Berlin erkannt. Und es gibt eine zunehmend verbesserte Zusammenarbeit, nicht nur zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten und im Vollzug, sondern auch mit den Schulen und mit den Jugendämtern. Hier sind wir natürlich immer noch nicht optimal aufgestellt. Hier gilt es weiter zu arbeiten. Und wir müssen uns insbesondere dadurch in unseren Reaktionen verbessern, als wir mehr miteinander reden und darüber reden, ob die Maßnahmen, die wir getroffen haben, auch tatsächlich wirksam sind.

    Schulz: Blicken wir auf die konkreten Vorschläge der Union. Gefordert ist eine Erhöhung der Höchststrafe bei Jugendstrafen von zehn auf 15 Jahre. Ist das falsch?

    Von der Aue: Ich halte das für überhaupt nicht effektiv. Denn gerade, wenn Sie den eben genannten Fall in Frankfurt sich vor Augen führen, dann glauben Sie doch nicht im Ernst, dass diese Jugendlichen auch nur einen Gedanken daran verschwendet haben, ob ihnen möglicherweise sechs, acht, zehn oder 15 Jahre Haft drohen für ihr Fehlverhalten. Diese Jugendlichen agieren spontan aus einer bestimmten Aggression heraus und verschwenden nicht einen Gedanken daran, welche Konsequenz das für sie haben kann.

    Schulz: Wenn die Jugendlichen spontan agieren, müsste nicht der Staat dann auch spontan reagieren, zum Beispiel mit einem Warnschussarrest?

    Von der Aue: Frau Schulz, wir haben das Instrument des Arrestes bereits. Das ist eine Sanktion, die vor einer Jugendstrafe, die eine Freiheitsstrafe ist, angesiedelt ist. Dieser Arrest ist in aller Regel bei diesen Jugendlichen kein geeignetes Mittel mehr. Da ist es wesentlich besser, Bewährungsstrafen, wenn man denn noch meint, eine positive Prognose aussprechen zu können, mit entsprechenden Auflagen zu versehen, die für die Jugendlichen dann tatsächlich auch empfindlich empfunden werden.

    Schulz: Wenn der Arrest kein wirksames Mittel ist, verstehe ich das dann als Plädoyer dafür, den Arrest für Jugendliche komplett abzuschaffen?

    Von der Aue: Nein, er ist für einen Teil der Jugendlichen sicherlich eine geeignete Maßnahme.

    Schulz: Für welchen Teil?

    Von der Aue: Das ist der Teil, der sich von solchen Arresten noch beeindrucken lässt. Das ist ja eine sehr kurzfristige Maßnahme, die teilweise in der Freizeit absolviert wird oder längstens eben für vier Wochen ausgesprochen wird. Da können Sie in gewisser Weise Einfluss nehmen, aber der Einfluss ist nicht so groß, wie Sie ihn ausüben können, wenn Sie zu einer zeitigen Haftstrafe verurteilen und über einen längeren Zeitraum Einfluss auf die Jugendlichen nehmen können.

    Schulz: Was macht Sie so sicher, dass Ihre inhaltliche Einschätzung da zutrifft? Es gibt eine interne Untersuchung der Generalstaatsanwaltschaft, wonach die Anzahl jugendlicher Serientäter von Juni 2007 bis September 2007 von knapp 2.200 auf mehr als 2.350 angestiegen ist, also 150 mehr Täter in ungefähr drei Monaten. Sind wir da auf dem richtigen Weg?

    Von der Aue: Das ist eine Erkenntnis, die wir aus einer Statistik, aus einem Register bei der Generalstaatsanwaltschaft gezogen haben. Es ist in der Tat ein alarmierendes Zeichen. Das ist eine Entwicklung, die sicherlich sich nicht von heute auf morgen abstellen lässt. Wir sind nun dabei, das habe ich anfangs gesagt, darauf zu reagieren. Wir haben reagiert. Wir sind aber noch nicht am Ende unserer Entwicklung. Wir müssen auch noch weiter, insbesondere sehr viel früher reagieren auf Fehlentwicklungen. Wir wissen, dass diese Fehlentwicklungen bereits im Grundschulalter beginnen. Und wir müssen schon dort ansetzen, um diese kriminellen Karrieren zu unterbinden. Wir haben in Berlin ja auch zusätzlich zu der Intensivtäterabteilung das sogenannte Schwellentäterkonzept. Mit diesem Konzept, seitdem wir deliktübergreifend, täterorientiert ermitteln, das heißt, wir kommen schneller an diese Täter heran, können schneller und täterspezifisch reagieren, damit wollen wir versuchen, diese kriminellen Karrieren beizeiten zu unterbrechen. Das lässt sich nicht mit einem Knopfdruck erledigen, sondern auch das wird eine Entwicklung sein, die nicht allein von der Justiz bewältigt werden kann, sondern dies ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Justiz kann nicht der Reparaturbetrieb für die gesamte Gesellschaft sein.

    Schulz: Wie aber soll man mit den Tätern umgehen, die nun dem Grundschulalter entwachsen sind, vielleicht sogar dem schulpflichtigen Alter entwachsen sind?

    Von der Aue: Wir haben ja ein Jugendstrafvollzugsgesetz, das den Erziehungsgedanken in den Vordergrund stellt, auch für diese Jugendlichen. Und wir müssen diese Jugendlichen an ein strukturiertes Leben nach den Regeln unserer Gesellschaft gewöhnen. Das heißt, wir haben eine Vielzahl von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten innerhalb des Vollzuges. Wir haben die Möglichkeit, ihnen beizubringen, wie man auch seine Freizeit strukturiert, wie man sich wieder in eine soziale Gemeinschaft eingliedern kann. Das ist ein Prozess, der die Jugendlichen dann befähigen soll, nach der Haft sich wieder einzugliedern und nicht mehr straffällig zu werden.

    Schulz: Und dazu gehören auch eingeschmuggelte Mobiltelefone und Drogen, so wie in den Berliner Jugendstrafvollzugsanstalten jetzt häufiger beobachtet?

    Von der Aue: Frau Schulz, darauf haben wir ja auch reagiert. Sie werden sicherlich kein Gefängnis der Welt haben, wo es kein Einschmuggeln von verbotenen Gegenständen gibt. Wenn Sie auf die Jugendstrafanstalt Berlin abstellen: Wir haben Ende Oktober den Einbau dieser Vorsatzgitter vor die entsprechenden Gefängniszellen abgeschlossen, und seitdem sind die Kontaktaufnahmen, die Überwürfe drastisch zurückgegangen. Wir sind zurzeit auch in ganz konkreten Verhandlungen mit der Bundesnetzagentur, um Handyblocker einzusetzen, damit ein Telefonieren per Handy aus dem Vollzug nicht mehr möglich ist. Dann wird auch dieses Einschmuggeln nicht mehr interessant sein. Wir haben es mit Jugendlichen zu tun, die sehr viel Zeit haben, sich Gedanken zu machen, an verbotene Dinge heranzukommen. Und es wird immer wieder neue Wege geben. Und wir werden immer wieder neue Reaktionen darauf finden müssen, um dieses zu unterbinden.

    Schulz: Die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue. Vielen Dank Ihnen!