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Von der Farbe zur Form

Das Kunstmuseum Basel unter seinem Leiter Bernhard Mendes Bürgi ist schon bekannt dafür, einzelne Werkphasen von Künstlern der klassischen Moderne aufzuschlüsseln und die Entwicklungen quasi zu mikroskopieren. Zuletzt hat man das an Willem de Kooning vorexerziert, und jetzt ist Wassili Kandinski an der Reihe - nach Picasso der vielleicht einflussreichste und wandelbarste Maler des 20. Jahrhunderts.

Von Christian Gampert |
    Um es vorwegzunehmen: die Ausstellung leuchtet Kandinskys Weg in die Abstraktion in vielen Facetten aus, sie wuchert mit Material aus den besten Museen Russlands und sogar aus Israel, sie ist weltmeisterlich gut gehängt - und leistet sich mit einer kleinen Nebenbei-Schau aus der Sammlung "Im Obersteg" sogar das Vergnügen, mit Alexej von Jawlensky einen zeitweiligen (Murnauer) Weggefährten Kandinskys zu zeigen.

    In Murnau 1908 beginnt auch die Kandinsky-Ausstellung, mit diesen grellen, sich langsam vom Gegenstand emanzipierenden Farben in den Landschaftsbildern. Der erste Saal ist pur dieser Eigenmacht, Eigenmächtigkeit des Farblichen gewidmet, diesem Münter-Kosmos, der dann im "Blauen Reiter" mündet. Mit der explizit auf Chopins "Trauermarsch" bezogenen "Improvisation 2" ist aber schon das Konzept angedeutet, das Kandinsky in den kommenden Jahren verfolgen wird:

    Musikalisches in Bilder zu transformieren, immer auf der Suche nach dem inneren Klang, dem inneren Resonanzboden, den die Sinneseindrücke der flüchtigen Welt im Individuum zum Schwingen bringen. Der Farb-Theoretiker Kandinsky ging sogar so weit, den Orchester-Instrumenten einzelne Farb-Valeurs und -Nuancen zuzuordnen.

    Natürlich war damit der Weg in eine objektlose Kunst unausweichlich, obgleich Relikte des Gegenständlichen sich bis Anfang der zwanziger Jahre hartnäckig in diesen später genial rhythmisierten Assoziationsräumen halten. Die Fuge ist bei Kandinsky eben eine räumlich, nicht mehr zeitlich organisiertes Verschachtelung. In dieser frühen Übergangs-Phase zur Abstraktion verblüfft aber nicht nur die Farbdynamik, sondern auch der beibehaltene Bezug auf Märchen und Elemente russischer Volkskunst - Chagall ist da näher als der deutsche Expressionismus, religiöse Ikonographie taucht immer wieder auf, Sintflut, Apokalypse, Jüngstes Gericht, Regenbogen, die in einem Strudel verzogene Stadt Jerusalem, die auf den heiligen Georg zurückgehenden verbogenen Reiterfiguren.

    Dann fallen die Gegenstandsbezüge fast ganz weg, und es entsteht ein vom Farbwirbel dominierter Klangraum, der oft erst in vielen Vorstudien erobert werden musste. "Impressionen" hatte Kandinsky jene Bilder genannt, die sich auf äußere Natur bezogen; "Improvisationen" nennt er nun die Arbeiten, die das Unbewusste erkunden, also die innere Natur. Manchmal sind Formfragmente erkennbar, wie in einem Traum: Bergkuppen und Stadtmauern, Häuserreste und amorphe Menschenschatten. Entscheidend aber bleibt die psychische Qualität, die "Temperatur" der Farben, die dann auch im Großformat ausagiert wird, kalte, tonlose schwarze Flecken etwa oder warm schwingende rote Ballungen.

    Die Ausstellung faltet diese Entwicklungen in den weiten Fluchten des Museum sehr schön auseinander, zeigt, wie diagonal geordnetes Material ein Bild dynamisiert und dass sprachlose Emotion nur in Formzerschmelzung zu übersetzen ist. Dann aber, um 1913, geht der Wirbel in geplante Komposition über, und als Kandinsky wegen des Ersten Weltkriegs nach Russland zurückkehren muss, sind wieder klarer geordnete Innenwelten zu sehen, die allerdings, niedergedrückt von der Politik, trübe verdämmern wollen. Der konstruktivistische Aufbruch der russischen Künstler scheint dann, nach der Revolution, auch in manchen Kandinsky-Bildern auf, allerdings eher gebremst als euphorisch, sehr ruhig, in ganz überlegten Geometrisierungen auf hellen, weißen Bildgründen. Als Kandinsky wegen der zunehmenden Ideologisierung der sowjetischen Kunst nach Deutschland zurückkommt und ans Bauhaus geht, ist die wichtigste, die bewegteste Findungs-Phase seines Künstlerlebens beendet. Sie wird von der Basler Ausstellung grandios inszeniert.