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Von der Leyen im Dilemma

Wenn Ursula von der Leyen (CDU) tatsächlich für die von der Opposition geforderte Frauenquote stimmt, wäre sie möglicherweise mitverantwortlich für eine Koalitionskrise, sagt Frank Decker, Politologe an der Uni Bonn. Beugt sie sich dem Druck ihrer Partei und stimmt nicht mit, zeuge das von mangelnder Durchsetzungsfähigkeit.

Frank Decker im Gespräch mit Christiane Kaess | 15.04.2013
    Christiane Kaess: Am Donnerstag soll der Bundestag über den Oppositionsvorstoß für eine feste Frauenquote in Aufsichtsräten von Unternehmen entscheiden. Und in der Koalition rumort es, denn mehrere Abgeordnete wollen mit der Opposition für die Frauenquote stimmen. Prominenteste Wackelkandidatin ist Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen.Am Telefon ist jetzt Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Guten Tag, Herr Decker.

    Frank Decker: Guten Tag!

    Kaess: Ist es vorstellbar, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen als Regierungsmitglied mit der Opposition stimmt?

    Decker: Das ist durchaus vorstellbar. Sie ist ja als Regierungsmitglied auch gleichzeitig Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Und die Regierung hängt natürlich auch in anderen Fragen immer von der Zustimmung der Abgeordneten ab. Insoweit ist es gar kein Unterschied, formal betrachtet, ob nun ein Regierungsmitglied oder ein einfacher Abgeordneter nicht für die Regierung stimmt. Die Regierung muss sich ja im Prinzip darauf verlassen können, dass die eigenen Truppen sie unterstützen. Und wenn das nicht der Fall ist, ist sie nicht mehr regierungsfähig.

    Kaess: Glauben Sie, dass sie es tun wird, oder nicht?

    Decker: Es bleibt jetzt abzuwarten, ob es möglicherweise einen Ausweg gibt. Aber sie hat sich offenbar noch nicht entschieden. In dem Gespräch mit Merkel ist ja auch nichts herausgekommen. Und sie ist in der Tat in einer Dilemmasituation. Denn eine Reihe von Abgeordneten haben sich ja bereits darauf verpflichtet, nun mit den Oppositionsparteien für die gesetzliche Frauenquote zu stimmen. Und wenn von der Leyen dort nicht mitziehen würde, würde sie natürlich in den Augen dieser Abgeordneten, überwiegend weiblichen Abgeordneten, massiv an Glaubwürdigkeit verlieren. Ich halte es noch nicht für ausgemacht, dass sie sich dem Druck beugt. Für sie steht eben auch sehr viel auf dem Spiel.

    Kaess: Was bedeutet das für ihre berufliche Zukunft, wenn sie sich in die eine oder andere Richtung entscheidet?

    Decker: Das hängt natürlich davon ab, was dann mit der Koalition passiert. Von der Leyen hat ja auch in anderen Fragen einen schweren Stand. Nehmen Sie das Thema Rente: Dort hat sie sich mit ihren Vorstellungen auch nicht durchsetzen können. Und wenn sie hier erneut, ich sage es mal flapsig, klein beigibt, heißt das natürlich, dass es auch um ihre Durchsetzungsfähigkeit nicht sonderlich gut bestellt ist. Auf der anderen Seite: Wenn sie nun tatsächlich mit der Opposition mitstimmen würde und es zu diesem Ergebnis kommen würde, die Regierung würde eine Abstimmungsniederlage erleiden, wäre sie ja mitverantwortlich möglicherweise für eine schwere Koalitionskrise, vielleicht sogar für den Koalitionsbruch. Und das würde ihr wahrscheinlich unter dem Strich mehr schaden, als wenn sie sich jetzt auf einen Kompromiss einlässt.

    Kaess: Glauben Sie, dass hinter ihrer Haltung eine Strategie steckt, um sich zum Beispiel wieder mehr ins Gespräch zu bringen? Oder war es für von der Leyen nicht absehbar, dass diese Bundesratsinitiative kommen würde?

    Decker: Ich denke, eher Letzteres. Die Sache ist jetzt im Grunde eskaliert. Insoweit ist sie auch durch ihre eigenen Parteifreunde – das sind ja insbesondere die Ministerpräsidentinnen im Saarland und in Thüringen, die dort den Vorstoß auch mit betrieben haben -, in diese schwierige Situation gebracht worden. Ich denke nicht, dass es von ihr tatsächlich so geplant worden war.

    Kaess: Wie viele Abgeordnete der Union, glaube Sie, denken wie Ursula von der Leyen?

    Decker: Ja es sind wahrscheinlich doch deutlich mehr, als dann am Ende vielleicht sich auch entsprechend verhalten in der Abstimmung. Das ist ja immer das Problem für einen Abgeordneten.

    Kaess: Sie glauben, dass einige von denen noch in den Treffen heute und morgen überzeugt werden können?

    Decker: Ja, ich denke schon, dass dort ein massiver Druck ausgeübt werden wird. Und das ist ja die Abwägung, die ein Abgeordneter immer treffen muss. Auch in vielen anderen Fragen kann es ja durchaus sein, dass der Abgeordnete nicht unbedingt der Meinung der Fraktion ist, der Mehrheitsmeinung. Aber er muss sich dann eben dieser mehrheitlichen Entscheidung auch beugen. Und ich glaube, dass dann unter dem Strich eben nur eine kleine Minderheit dann tatsächlich sich nicht erweichen lässt, hier auf der Fraktionslinie zu bleiben.

    Kaess: Herr Decker, egal wie die Abstimmung am Donnerstag ausgehen wird: Bricht hier eine Geschlossenheit auseinander, die die Union auch in Zukunft noch beschäftigen wird, die man auch so beschreiben könnte: Modernisierer gegen Konservative?

    Decker: Ja durchaus. Das haben wir ja gesehen: Die Union tut sich natürlich schwer mit dieser Modernisierung in gesellschaftspolitischen Fragen. Die ist ja maßgeblich auch von von der Leyen mit vorangetrieben worden. Aber wir haben das auch in anderen Fragen gesehen: Stichwort Homo-Ehe, die Diskussion um das Betreuungsgeld. Hier gibt es eben eine starke Minderheit in der Union, die dann gesellschaftspolitisch im Grunde sich eher in die Mitte beziehungsweise nach links bewegen möchte. Und das zeigt sich in dieser Frage. Hier ist dann die Minderheit auch nicht mehr bereit, sich bedingungslos der Mehrheitsmeinung zu beugen. Allerdings muss man darauf hinweisen, dass diese Frage natürlich auch Gegenstand eines Parteitagsbeschlusses gewesen ist. Hier zeigt sich auch, dass es einen Unterschied macht, ob die Partei etwas entscheidet, oder ob die Fraktion etwas entscheidet. Auch auf dem Parteitag hat es ja eine Mehrheit gegeben für die Ablehnung der gesetzlichen Frauenquote.

    Kaess: Aber so, wie Sie das beschreiben, welche Zerreißprobe wird da auf die Partei noch zukommen?

    Decker: Jetzt kommt es natürlich erst mal darauf an, dass man geschlossen in den Bundestagswahlkampf geht. Insoweit kommt diese Auseinandersetzung jetzt natürlich zur Unzeit. Aber diese Fragen, all diese Fragen werden natürlich wieder aufzunehmen sein und werden die Union als Partei dann beschäftigen. Jetzt geht es natürlich erst mal darum, eine Koalitionskrise zu vermeiden, denn eines ist natürlich klar: Eine Partei, die nicht geschlossen in die Wahlauseinandersetzung geht, verschlechtert ihre Chancen.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch kurz auf die FDP. Die hat schon angekündigt, wechselnde Mehrheiten sind in einer Koalition ausgeschlossen. Das hat FDP-Generalsekretär Patrick Döring gesagt. Wie viel Drohpotenzial kann die FDP überhaupt aufbauen, wenn sie selbst zumindest eine Abweichlerin in ihren Reihen hat, eventuell auch mehr?

    Decker: Ja das ist ganz interessant, denn es kommen ja andere Fragen auch noch von der Opposition über den Bundesrat in den Bundestag, wo die FDP dann nach dem Motto "Wie du mir, so ich dir" auch gegen die Union stimmen könnte. Dagegen könnte die Union am Ende nichts ausrichten. Auf der anderen Seite ist das Risiko eines Koalitionsbruches natürlich für die FDP größer als für die Union. Also diese letzte Konsequenz wird die FDP sicherlich nicht ziehen, wenn man sieht, wie sie jetzt in den Umfragen dasteht. Die Union kann an der Stelle etwas gelassener sein.

    Kaess: Die Einschätzung von Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Danke für das Gespräch, Herr Decker.

    Decker: Gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.