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Von der Werkbank in den Hörsaal

Eine abgeschlossene Berufsausbildung und mindestens drei Jahre Praxis - das sind die Voraussetzungen, um am Stipendiatenprogramm der Hans-Böckler-Stiftung teilzunehmen. Es soll vor allem Handwerkern den Einstieg in den Hochschulalltag erleichtern: mit speziellen Vorkursen und Seminaren.

Wolfgang Jäger im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Berufstätige ohne Abitur dürfen unter bestimmten Umständen an die Hochschulen – das ist bundesweit ja mittlerweile geregelt, allerdings kommen kaum Handwerker zum Studieren. Die Hans-Böckler-Stiftung will potenziellen Studentinnen und Studenten, die kein Abitur haben, aber Berufserfahrung, helfen. Für sie legt die Stiftung ein Stipendienprogramm auf, um ihnen den Zugang zu den Hochschulen zu erleichtern, heute wurde es vorgestellt. Wolfgang Jäger ist Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Jäger!

    Wolfgang Jäger: Guten Tag!

    Biesler: Was liegt denn auf dem, oder vielleicht sagt man besser, im Weg für Berufstätige, die an die Hochschulen wollen, und was können Sie da wegräumen?

    Jäger: Die beruflich Qualifizierten kommen an eine Hochschule, die darauf vorbereitet ist, Studierende aufzunehmen, die ein Abitur gemacht haben. Die Wissenschaftspropädeutik wird vorausgesetzt, und es wird lediglich an einzelnen Hochschulen sogenannte Vorkurse angeboten, die auch von vielen Abiturientinnen und Abiturienten besucht werden, um sich dann fitzumachen fürs Studium. Diese Vorbereitung auf das Studium ist für beruflich Qualifizierte völlig ungenügend, es muss eine Vorbereitung geben, die die Kompetenzen der beruflich Qualifizierten wertschätzt und ausgehend von diesen Kompetenzen sie auf ein Studium vorbereitet. Und an dieser Stelle wollen wir mit unserem Projekt versuchen, etwas hinzubekommen.

    Biesler: Es geht also nicht nur um Geld, es geht auch um Geld, um ein Stipendium, aber was machen Sie darüber hinaus?

    Jäger: Wir erarbeiten gemeinsam mit der Universität Duisburg-Essen, der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und der Hochschule Niederrhein, dem Fachbereich für Gesundheitswesen, ein Vorprogramm, das sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt. Als Erstes bieten wir noch während der Berufsphase, also bevor das Studium aufgenommen wird, Seminare zur Orientierung an, wo wichtige Fragen, Freistellung im Betrieb, Vereinbarkeit, Familie und Studium, Kennenlernen der Hochschule und so weiter behandelt werden, und starten dann drei Monate vor dem offiziellen Studienbeginn mit einem Vorstudium, mit sogenannten Spezialkursen, die veranstaltet werden ausschließlich für Stipendiatinnen und Stipendiaten unseres Modellprojektes, kleine Lerngruppen, maximal 20 Personen, wo auf Grundlage einer neuen Hochschuldidaktik für beruflich Qualifizierte diese Kolleginnen und Kollegen abgeholt werden und vorbereitet werden auf das Studium, das sie dann im Herbst des Jahres aufnehmen.

    Biesler: Da gehe ich jetzt mal aus davon, dass dieses Programm eine Reaktion ist auf die Defizite, die es bislang gegeben hat, denn die Möglichkeit, dass Menschen zum Beispiel mitten im Meister oder mit Berufserfahrung an die Hochschulen gehen können, die gibt es ja schon länger, Stipendienprogramme gibt es auch – das reicht offensichtlich nicht aus nach Ihrer Meinung?

    Jäger: So ist es. Man konnte ja auch schon vor 2009 über den Weg einer Aufnahmeprüfung als beruflich Qualifizierter ein Studium aufnehmen, das hat die KMK 2009 weiter geöffnet, aber trotz eines leichten Anstieges der Zahlen der beruflich Qualifizierten an den Hochschulen muss doch generell immer noch festgestellt werden, dass der Übergang vom Beruf ins Studium ein überaus schwieriger ist, und deshalb bedarf es eben für diesen Übergang ganz spezieller Unterstützungsmaßnahmen.

    Biesler: Das ist ja sicher oft auch eine Finanzfrage, also wenn man im Beruf steht und Geld verdient, womöglich eine Familie hat, dann schmerzt das natürlich schon, auf diese Einnahmequelle zu verzichten. Jetzt gibt es bei Ihnen ein Stipendium, das sind 820 Euro, für Stipendiaten mit Familie 1.000 – reicht das denn?

    Jäger: Also wir können ein Stipendium anbieten, das sich auf 970 Euro beläuft, und zwar preist das schon ein, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung in 2013 das Büchergeld von 150 auf 300 Euro erhöhen wird. Also es geht um ein Stipendium von 970 Euro, zu dem dann gegebenenfalls noch ein Familienzuschlag von 150 Euro und auch für Kinder dann auch noch weitere Kinderzuschläge kommen. Also es kann für eine zweiköpfige Familie durchaus dann eine steuerfreie Unterstützung sein durch ein Stipendium von rund 1.350 Euro. Aber wir sehen auch, dass das nicht wirklich der Anreiz sein kann, nach einer sicher erfolgreichen beruflichen Phase sich nun auf das Wagnis eines solchen Studiums einzulassen. Und deshalb gehört eben dazu auch noch ein spezielles Unterstützungsprogramm, was ich versucht habe, gerade kurz zu beschreiben.

    Biesler: Sie sagen jetzt zu Recht noch mal, es geht um erfolgreiche Menschen im Beruf, also man muss bestimmte Voraussetzungen mitbringen. Das ist nichts für jeden.

    Jäger: Richtig, die Voraussetzungen sind eine abgeschlossene berufliche Ausbildung und eine dreijährige berufliche Praxis. Das ist die Voraussetzung, um dann ein berufsaffines Studium aufzunehmen. Unser Modellprojekt richtet sich also an Facharbeiterinnen und Facharbeiter, die ausgehend von ihrem Beruf, den sie gelernt haben, nun ein berufsaffines Studium aufnehmen wollen – also der Mechatroniker, der jetzt Ingenieurwissenschaften studiert, oder die Krankenschwester, die jetzt Gesundheitsmanagement machen will.

    Biesler: Nun gibt es ja schon den einen oder anderen Studenten an den Hochschulen, also die können sich im Augenblick nicht darüber beklagen, dass sie da zu wenig Menschen hätten, die ganz gerne sich fortbilden wollen. Ist das denn überhaupt sinnvoll, jetzt auf diese Studentenberge, die wir im Augenblick haben, noch Leute obendrauf zu setzen?

    Jäger: Sie haben völlig recht, wir haben einen Studierendenberg, und der wird sogar in Nordrhein-Westfalen in 2013 noch höher, weil dann die doppelten Abiturjahrgänge kommen. Wir haben mit den Hochschulen Vereinbarungen getroffen, dass wir für die unterstützenden Maßnahmen für die beruflich Qualifizierten in unserem Modellprojekt auch zusätzliche Wissenschaftlerstellen an den Hochschulen finanzieren. Also die Hochschulen müssen nicht aus den knappen Mitteln, die kaum reichen, um die Studierendenzahlen beherrschen zu können, müssen sie nicht noch Mittel abzwacken, sondern wir finanzieren zusätzliche Stellen, die dieses Begleitprogramm machen. Und zum anderen will ich noch ergänzen, wir haben im Bereich der Ingenieurwissenschaften und auch im Bereich der Gesundheitswissenschaften einen eklatanten Fachkräftemangel, und der wird auch in den kommenden Jahren noch weiter ansteigen, sodass keine Zeit ist, hier zu warten.

    Biesler: Wolfgang Jäger, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung, über ein Stipendium, das Praktika ohne Abitur an die Hochschulen bringen soll. Danke schön!

    Jäger: Danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.