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Von Dohnanyi fordert eigenes Ressort für Aufbau Ost

Heinlein: Es geht um Gießkannen und um Leuchttürme, Wachstumskerne und Sonderwirtschaftszonen. Kurz vor der österlichen Politpause hat eine aufgeregte Diskussion über Sinn und Unsinn der Ostförderung begonnen. Schuld daran ist ein Expertengremium um den früheren Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Deren Analyse ist knallhart. Trotz aller milliardenschweren Fördergelder hinken die neuen Bundesländer wirtschaftlich noch immer deutlich hinterher und drohen, den Westen mit in den Abgrund zu ziehen. Es brauche eine Neuorientierung beim Aufbau Ost, so das Fazit. Die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben sich in die Diskussion mit eingeschaltet. Die Opposition fordert aufgrund der bitteren Lagebeschreibung gar den Rücktritt von Aufbauminister Stolpe. Und bei uns am Telefon ist nun Klaus von Dohnanyi, SPD. Guten Morgen!

    von Dohnanyi: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr von Dohnanyi, der Westen blutet aus, wenn die Wunde Ost nicht geschlossen wird. Dramatische Worte aus Ihrem Mund. Sehen Sie die Dinge nicht zu schwarz?

    von Dohnanyi: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube wirklich, dass die Übertragung von über 90 Milliarden Euro im Jahr nach Ostdeutschland zwar nötig ist und auch nicht gestoppt werden kann und darf, dass dies aber eine erhebliche Belastung ist und dass es deswegen erforderlich ist, so schnell wie möglich den Kurs des Aufbaus Ost zu korrigieren, um eine eigene und selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland erfolgreicher einzuleiten.

    Heinlein: Aber Hand aufs Herz, Herr von Dohnanyi. Wer hat denn im Ernst blühende Landschaften überall im Osten 15 Jahre nach der Wiedervereinigung erwartet? Das waren doch nur ganz wenige Optimisten.

    von Dohnanyi: Na ja, es geht nicht um die blühenden Landschaften allein. Wenn Sie sich umgucken: in Ostdeutschland ist ja unglaublich viel erfolgt. Deswegen ist es auch falsch zu sagen, der Aufbau Ost sei gescheitert. Das kommt auch nicht von uns. Es geht vielmehr darum, dass zu wenig in die Wirtschaft selbst gelenkt wird und dass zu viel von diesen Mitteln auf Wege geleitet wird, die nicht unmittelbar zu einem wirtschaftlichen Erfolg führen können.

    Heinlein: Aber nun hat Ihr SPD-Chef Müntefering gesagt, man solle doch nicht wieder alles so schlecht reden. Will man sich die Dinge schon wieder schön reden, die Situation besser machen als sie ist?

    von Dohnanyi: Das glaube ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass wir sie schlecht reden, und ich glaube nicht, dass jemand sie schön reden will. Ich glaube es ist immer schwierig, sich einer solchen Wirklichkeit zu stellen, wenn es bedeutet, dass man den Kurs ändern muss. Und darum geht es uns, um eine ganze Reihe von sehr konkreten Maßnahmen.

    Heinlein: Aber was ist denn neu an Ihrer Analyse und der derzeitigen Diskussion? Die Situation so wie sie ist kann man doch Monat für Monat an der Arbeitslosenstatistik schwarz auf weiß nachlesen.

    von Dohnanyi: Das ist ja zum Beispiel schon eine interessante Sache. Vor sage ich mal noch ein oder zwei Jahren hatten sie ja, wenn die Arbeitslosenstatistik über das Fernsehen ging, immer eine Unterscheidung zwischen Ost und West. Inzwischen sehen wir eigentlich immer nur noch die gemeinsame Zahl. Das zeigt eben, dass wir uns der Besonderheit, die in Ostdeutschland auch heute noch besteht, nicht wirklich stellen, auch nicht in der Information. Insofern sage ich mal die Leute, zum Beispiel die Menschen in Westdeutschland, wissen zum Teil gar nicht, wie es in Ostdeutschland aussieht.

    Heinlein: Ihre Kernforderung, die Kernforderung Ihres Gremiums, wenn ich Sie richtig verstehe, ist die gezielte Förderung einzelner Wachstumsregionen und damit das Ende der Flächenförderung. Soll das Geld also nur noch dorthin fließen, wo es ohnehin aufwärts geht?

    von Dohnanyi: Nein, das ist nicht richtig. Aber es soll dorthin gehen, wo wir wirtschaftsnahe und erfolgreiche Wirtschaftsförderung betreiben können, also nicht dorthin, wo wir eventuell zum Beispiel in den Städten jetzt beginnen, zu einem Teil auf jeden Fall, mit dem Ausbau von Infrastruktur, die möglicherweise auch in fünf oder zehn Jahren gar nicht gebraucht werden wird, weil die Städte schrumpfen und weil die Verhältnisse sich eben verändern. Es geht also um eine Konzentration auf Standorte, die eine wirkliche Chance für wirtschaftliche Entwicklung haben, und dann um die Verkehrsanbindung der Flächen oder der Flächengebiete, die eben nicht so erfolgreich sind.

    Heinlein: Konzentration auf wenige Gebiete sagen Sie.

    von Dohnanyi: Wenige sind das auch nicht notwendigerweise.

    Heinlein: Einige Gebiete?

    von Dohnanyi: Ja, richtig!

    Heinlein: Nimmt man aber damit nicht die Verelendung ganzer Regionen, die dann nicht so stark gefördert werden, bewusst in Kauf?

    von Dohnanyi: Nein, das ist nicht richtig. Schauen Sie, wenn Sie zum Beispiel in den Westen gucken, dann gibt es - ich spreche mal von Rheinland-Pfalz - natürlich Regionen dort, die keine eigene wirtschaftliche Kraft entwickeln, sondern die davon leben, dass die Menschen dort auf dem Wege der Straße, also über das Auto, oder auch mit der Bahn in die zentralen Gebiete pendeln, also zum Beispiel aus dem Westen von Rheinland-Pfalz nach Mainz oder nach Wiesbaden und Frankfurt. Es ist dann nicht richtig, wenn man das Geld allzu stark auf Regionen lenkt, die in diesem Sinne keine eigene Wirtschaftskraft entwickeln, sondern besser, die Verkehrsanbindung zu organisieren und dafür die Zentren zu stärken.

    Heinlein: Nach welchen Kriterien, Herr von Dohnanyi, soll denn entschieden werden, welche Regionen förderungswürdig sind und welche nicht? Haben Sie sich da schon festgelegt?

    von Dohnanyi: Nein, das ist nicht festgelegt und wir sind ja auch noch gar nicht so weit. Ich hätte ja auch diesen Bericht um diese Zeit nicht veröffentlicht. Der Bericht stammt von Anfang Februar und wir sind jetzt dabei, in einer Vielzahl von Einzelfragen die konkreten Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Dazu gehört unter anderem auch: wie bestimmt man solche Wachstumszentren genau und wie kann - und das ist eine der wichtigsten Fragen überhaupt - der Bund, also die Bundesregierung, Einfluss darauf nehmen, welche Wachstumszentren bestehen und wie sie gefördert werden sollen. Denn zwischen den einzelnen Ländern, den sechs Ländern, wenn Sie Berlin hinzuzählen, den sechs neuen Ländern in Ostdeutschland, besteht natürlich eine erhebliche Konkurrenz und oft werden Dinge nebeneinander gemacht. Zum Beispiel wird eine medizinische Fakultät in Leipzig ausgebaut - das gehört zu Sachsen -, aber auch in Halle - das ist glaube ich 50 Kilometer entfernt oder nicht einmal genau - und das ist Sachsen-Anhalt. Das kann man eben nicht gleichzeitig leisten. Dann werden beide Fakultäten nicht so gut werden, wie sie eigentlich werden könnten, wenn man sich konzentriert hätte und dafür für die Studenten die Verkehrsverbindungen verbessert hätte.

    Heinlein: Also der Bund soll stärker mitbestimmen, wohin die Fördergelder fließen. Heißt das Ende des Föderalismus, mehr Zentralismus?

    von Dohnanyi: Nein, das ist auch wieder nicht richtig. Wenn diese Zentren einmal bestimmt sind, dann müssen diese wiederum ein hohes Maß von Unabhängigkeit bekommen in der Verwendung der Mittel. Wir überlegen sogar, ob es nicht zweckmäßig ist, dann in diesen Wachstumskernen Wirtschaftsförderungsgesellschaften zu schaffen, die nichts anderes tun als diese Zentren oder diese Cluster, wie man das auch auf Englisch nennt, zu organisieren, weil dort müssen Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Wohnungsbau und so weiter dann wirklich auch zusammenpassen und aufeinander abgestimmt werden. Es gibt dort zum Beispiel im Raum Bitterfeld erhebliche Erfahrungen, wie man eine solche Organisation aufbauen kann. Einer der Kollegen von uns in unserem Arbeitskreis, in unserem Praktikerkreis ist der Kollege Groth und der beschäftigt sich intensiv mit dieser Frage.

    Heinlein: Weitere Forderungen Ihrer Arbeitsgruppe, soweit sie bekannt sind, sind Tariföffnungsklauseln und weitere Deregulierungen in den neuen Ländern. Was heißt das denn konkret? An welche Grausamkeiten denken Sie denn, wenn Sie an die neuen Länder denken?

    von Dohnanyi: Na ja, das heißt gar nicht Grausamkeiten in erster Linie. Es heißt zum Beispiel, dass wir in Ostdeutschland heute nur noch 25 Prozent der Betriebe im verarbeitenden Gewerbe haben, die überhaupt in die Flächentarifverträge eingebunden sind, weil die Unternehmen, um sich zu schützen, ausgetreten sind aus den Arbeitgeberverbänden. Wir wollen dort eine vernünftige Regelung schaffen, so dass eine wirkliche Freiheit der Betriebe besteht in Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung und unter enger Beratung mit den Gewerkschaften, betriebsnahe und betriebsangemessene Lösungen zu finden.

    Heinlein: Also haben wir schon diese Sonderwirtschaftszonen, die Sie fordern?

    von Dohnanyi: Na ja, das ist der Punkt. Wir fordern gar keine Sonderwirtschaftszone. Wir haben ich glaube 18 Hauptpunkte aufgeschrieben, die in viele Einzelpunkte aufzuteilen sind in einer neuen Strategie oder einer Kurskorrektur, wie wir das nennen. Wenn diese durchgesetzt werden, dann sagen wir am Ende, dann ergibt sich eben sozusagen eine besondere Zone, ein besonderer Bereich, eine besondere Region. Ich mag den Ausdruck auch nicht besonders und wir haben ihn aufgenommen, um deutlich zu machen, dass man eben Ostdeutschland als ganzes verstehen muss, die neuen Länder als ganzes verstehen muss und dafür auch eine entsprechende Strategie der Entwicklung aufbauen muss.

    Heinlein: Vielleicht wäre ein besseres Wort Billiglohnland?

    von Dohnanyi: Nein, das ist auch nicht das richtige, denn es geht nicht darum, Billiglöhne zu haben. Es ist nicht einzusehen, dass die Löhne bei VW in Mosel oder bei Opel in Eisenach niedriger sein müssen als die Löhne in Wolfsburg oder in Rüsselsheim. Es geht darum, dass dort wo wir nicht entsprechende Wirtschaftskraft haben, die Löhne eben angepasst sind an die wirkliche Nachfrage insbesondere in den grenznahen Gebieten zu Polen und zu Tschechien, dass man dann auf der anderen Seite mit Lohnkostenzuschüssen oder mit so genannter Negativsteuer oder wie auch immer erreicht, dass die Menschen trotzdem ein Deutschland angemessenes Einkommen haben, aber dass dieses nicht notwendigerweise auf die Arbeitskosten schlägt, weil sonst kann man die Arbeit dort in Deutschland nicht mehr halten.


    Heinlein: Frage zum Schluss, Herr von Dohnanyi. Sie fordern einen kraftvollen Koordinator für den Aufbau in den östlichen Bundesländern. Ist Manfred Stolpe dieser kraftvolle Koordinator?

    von Dohnanyi: Darum geht es eigentlich auch wiederum nicht. Ich fordere in erster Linie, dass eine Person sich alleine um diese Frage kümmern kann.

    Heinlein: Ist Manfred Stolpe diese Person?

    von Dohnanyi: Dann müsste er das Verkehrsministerium aufgeben. Ich bin nicht der Meinung, dass man diese Aufgabe mit einem anderen Ressort verbinden kann, und ich habe erinnert an das, was die so genannten Europastaatssekretäre früher gemacht haben, indem einer dort mit Sitz im Kabinett - ohne Stimme im Kabinett, aber wohl mit Sitz - in der Lage war und vielleicht auch heute noch ist, die Europapolitik der vielen Ressorts, die betroffen sind, zu koordinieren. Das war wirklich eine Aufgabe. Ich habe das selber fünf Jahre lang im Kabinett gemacht Schmidt. Das ist eine Aufgabe, die beschäftigt einen zwölf Stunden am Tag. Da kann man nicht gleichzeitig - das ist meine tiefe Überzeugung - die Maut und die Verkehrsstrecken zwischen Polen und Frankreich und so weiter in seinen Aufgaben lösen. Es geht also nicht um die Person; es geht um die Organisation. Da allerdings bin ich fest überzeugt, dass die jetzige Form nicht die richtige ist.

    Heinlein: Wollen Sie denn vielleicht selber diese kraftvolle Koordinator sein?

    von Dohnanyi: Nein, um Gottes Willen! Das ganz bestimmt nicht. Aber ich möchte gerne jemand dort haben oder jemand dort sehen - das fände ich gut -, der mit Osterfahrung, aber auch mit Vertrauen im Westen diese Aufgabe lösen kann.

    Heinlein: Haben Sie einen Namen im Kopf?

    von Dohnanyi: Nein, habe ich nicht.

    Heinlein: Kritik am Aufbau Ost. Dazu heute Morgen hier im Deutschlandfunk der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hamburg.