Klaus Remme: Am Telefon ist Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher von CDU/CSU im Bundestag. Guten Morgen, Herr von Klaeden!
Eckart von Klaeden: Guten Morgen, Herr Remme!
Remme: Herr von Klaeden, der Bericht zeigt deutlich, mit einem einmaligen rhetorischen Ausrutscher Putins ist die Lage sicher nicht zu erklären. Der Bogen spannt sich seit München. Wie besorgniserregend ist die Entwicklung aus Ihrer Sicht?
Klaeden: Von Besorgnis würde ich noch nicht sprechen, und ich hoffe auch nicht, dass das Anlass dazu geben wird. Aber wir müssen die Angelegenheit genau analysieren. Dazu gehört zunächst einmal die Frage der Bedrohungsanalyse, ob ein solches Raketenabwehrsystem sinnvoll ist. Da bin ich der Ansicht, dass es vom Prinzip her sinnvoll ist, denn wir müssen uns auf die neuen Bedrohungen einstellen, die im nahen und mittleren Osten entstehen können. Wir müssen leider davon ausgehen, dass der Iran ein militärisches Nuklearprogramm betreibt. Wir wissen, dass er Raketenprogramme betreibt, dass er danach strebt, die Reichweite seiner Raketen zu steigern. Wir haben mit Pakistan ein Land, das nuklear bewaffnet ist, das über Raketentechnologie verfügt und dessen innere Stabilität sehr gering ist.
Remme: Herr von Klaeden, Sie schildern jetzt die Bedrohung aus Ihrer Sicht oder aus der Sicht des Westens, aber Putin hält die Situation, so wie er sie sieht, für absolut identisch mit dem Streit seinerzeit um die Pershing-Raketen. Da kann man ja wie Condoleezza Rice sagen, das sei ja nun albern und lächerlich, aber das ändert ja nichts an der Sichtweise Russlands.
Klaeden: Das ändert nichts an der Sichtweise Russlands, aber trotzdem müssen wir uns ja fragen, ob die russische Kritik berechtigt ist, und uns dann nach den Motiven für die russische Kritik fragen. Da, finde ich, ist zunächst einmal wichtig festzustellen, dass wir seit einiger Zeit ja eine Entwicklung in Russland zu beobachten haben, die uns mit Sorge erfüllt. Das gilt für die Frage der inneren Entwicklung Russlands, aber das gilt auch Fragen der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik. Und da ist festzustellen, dass Europa und Russland sich auseinanderentwickeln, sowohl was die Interessen angeht, die Definition der Interessen angeht, als auch was die gemeinsamen Werte angeht. Russland wird innenpolitisch zunehmend autokratischer, demokratische Rechte werden immer weiter unterdrückt. Und wir dürfen auch nicht übersehen, dass Russland seinen Nachbarn gegenüber, insbesondere denjenigen, die heute der EU und der NATO angehören, mit einer noch unverhohlenen Drohungspolitik auftritt, jedenfalls dann, wenn diese Länder nicht das machen, was von Moskau erwartet wird.
Und auch in Fragen wie zum Beispiel dem Kosovo-Konflikt oder dem Iran gehen von Moskau gemischte Signale aus. Diese zunehmende Differenz, finde ich, muss man erkennen, wenn man sich um ein realistisches und ein unverklärtes Russlandbild bemüht. Das heißt nicht, dass wir nicht ein Interesse haben an guten nachbarschaftlichen Beziehungen mit Russland, dass wir mit Russland kooperieren, dass wir die Zusammenarbeit mit Russland ausbauen wollen ...
Remme: Herr von Klaeden ...
Klaeden: …aber wir müssen sehen, wenn ich das kurz sagen darf, dass es in Russland eine Entwicklung gibt, die schon seit längerem anhält und die wesentliche Fragen anders beurteilt als wir das tun.
Remme: Für Gernot Erler, den Staatsminister im Auswärtigen Amt, äußert sich hier eine tiefgreifende Enttäuschung Moskaus über die westliche Politik. Hat sich der Westen was vorzuwerfen?
Klaeden: Ich glaube, dass sich insgesamt der Westen nichts vorzuwerfen hat. Ich habe auch den Eindruck, dass bei Herrn Erler doch ein verklärtes Russlandbild dominierend ist - das gilt auch für Teile der SPD -, die nach der Russlandpolitik von Gerhard Schröder Schwierigkeiten haben, die Entwicklungen Russlands in ihrer Gesamtheit zur Kenntnis zu nehmen, weil es eben auch bedeutet, dass man Korrekturen an der vorherigen Russlandpolitik vornehmen muss, jedenfalls was die Bewertung der Vorgänge in Moskau angeht. Ich glaube, dass Russland auf dem Weg ist - und das ist vom Prinzip her auch erst einmal nicht falsch -, den Wunsch hat, wieder eine Großmachtrolle zu spielen, den Wunsch nach einer unabhängigen Außenpolitik. Aber die Frage ist dann, was bedeutet diese unabhängige Außenpolitik, wie verlässlich ist diese Außenpolitik, welchen Prinzipien folgt sie und insbesondere, wie verhält sie sich den Nachbarn Russlands gegenüber. Und viele Dinge, die wir noch in den 90er Jahren in Russland unter Gorbatschow, unter Jelzin als beeindruckende und hoffnungsvolle Entwicklung in Russland gesehen haben - die Öffnung des Landes nach Westen, die Demokratie, die Einführung der Rechtsstaatlichkeit, auch ein differenzierter Umgang mit der sowjetischen Vergangenheit, mit dem Stalinismus -, das sind ja Dinge, die zum großen Teil in Russland jetzt von Putin wieder zurückgenommen werden ...
Remme: Dann gehen wir doch auf einen dieser Nachbarn ein, auf die aktuellen Ereignisse dort. Schauen wir mal kurz auf Estland, wo Sie einen dieser Nachbarn ansprechen. Es ging ja auch dort um estnisch-russische Befindlichkeiten, dieser Abbau eines sowjetischen Kriegerdenkmals führt ja auch hin zu Selbstbewusstsein. Moskau sieht darin praktisch eine Beleidigung des Erbes an den Sieg über den Faschismus. Herr von Klaeden, haben Sie Verständnis für die wütenden Proteste aus Moskau?
Klaeden: Ich glaube, dass beide Seiten mit diesem Konflikt hätten behutsamer umgehen können, aber wenn man sich mal in die estnische Rolle jetzt versetzt, so muss man feststellen, dass Estland von der Sowjetunion besetzt worden ist, und zwar aufgrund der Kooperation zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes. Dann ist es von der Wehrmacht besetzt worden und dann befreit worden von der Roten Armee. Das hat aber nicht die Einführung von Demokratie gebracht, sondern die Eingliederung oder die Fortsetzung der Eingliederung des Landes in die Sowjetunion. Also dass man in Estland die Zeit der sowjetischen Okkupation nicht nur als eine Zeit der Befreiung empfindet, glaube ich, ist vollständig nachvollziehbar, insbesondere aufgrund der Kooperation mit dem nationalsozialistischen Deutschland, aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes. Und Russland ist eines der wenigen Länder des ehemaligen Warschauer Paktes, das mit seiner kommunistischen Vergangenheit nicht gebrochen hat, die nach wie vor Teil der Identität Russlands ist. Und das scheint mir der tiefer liegende Konflikt um das Kriegerdenkmal zwischen Estland und Russland zu sein.
Remme: Gerhard Schröder hat Estland für sein Vorgehen scharf kritisiert. Der Umgang mit dem Gedenken an russische Soldaten sei stil- und pietätlos, widerspreche jedem zivilisierten Verhalten. Was sagen Sie dazu?
Klaeden: Diese Kritik Schröders halte ich für einseitig und in der Schärfe für völlig unangebracht.
Remme: Herr von Klaeden, Sie haben das Selbstbewusstsein in Russland angesprochen, es wächst aufgrund der wirtschaftlichen Stärke in erster Linie. Sehen Sie denn Russland und die USA machtpolitisch zurzeit auf einer Augenhöhe oder gilt hier immer noch in Ihren Augen das Wort von den USA als der einzig verbliebenen Supermacht?
Klaeden: Ob sie die einzig verbliebene Supermacht ist, das würde ich so nicht sagen. Also wir sind ja doch auf dem Weg dahin, dass sich eine Reihe anderer Machtzentren bilden, und ich habe vorhin ja auch schon mal gesagt, dass das Streben Russlands nach einer Großmachtrolle vom Prinzip her nicht zu kritisieren ist, sondern man sich die Frage stellen muss und Russland die Frage beantworten muss, wie man mit der gewachsenen Macht und mit dem gewachsenen Einfluss umgehen will. Aber die einzig global agierende Supermacht sind nach wie vor die Vereinigten Staaten von Amerika, da kann Russland den USA nicht das Wasser reichen. Und ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist und im russischen Interesse, dort in jeder Hinsicht auf einer Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten agieren zu wollen.
Remme: Kommen wir am Ende noch mal auf das Raketenabwehrsystem. Sie haben an dieser Stelle hier im Deutschlandfunk im Februar sogar die Einbindung Russlands in das System für realistisch gehalten. Haben Sie diese Hoffnung inzwischen aufgegeben?
Klaeden: Nein, diese Hoffnung habe ich nicht aufgegeben, aber sie hängt natürlich ganz wesentlich davon ab, ob Russland bereit ist zu einer Kooperation. Ich halte das, was die Vereinigten Staaten jetzt gemacht haben, Inspektionen anzubieten und selber ja auch die Einbindung Russlands anzubieten, für richtig.
Remme: Aber dazu gehören ja zwei.
Klaeden: In der Tat, dazu gehören zwei. Wie gesagt, ich will da in dieser Frage die Hoffnung nicht aufgeben, weil Russland ja - und da ist ja wiederum doch erhebliche Interessenkoinzidenz von uns und Russland festzustellen - auch besorgt sein muss durch die Entwicklung, die im Iran stattfindet. Und wenn wir gemeinsam einen Weg finden, wie wir auf diese Bedrohung reagieren können, und wir müssen ja bedauerlicherweise auch ins Kalkül ziehen, dass der Iran sich nuklear bewaffnet, wenn wir einen Militärschlag zu Recht gegen den Iran ausschließen. Und dann muss man sich überlegen, wie man mit einem solchen Land umgeht. Und in einem solchen Konzept, finde ich, ist es nachvollziehbar und schlüssig, dass in ein solches Konzept aus amerikanischer, aus NATO-Sicht ein Raketenabwehrsystem gehört. Aber man wird auch über andere Schritte nachdenken können. Für Russland mag es andere Antworten geben. Und da, finde ich, sollte man kooperieren und die Zusammenarbeit suchen.
Remme: Eckart von Klaeden war das, der außenpolitische Sprecher der Union. Herr von Klaeden, vielen Dank für das Gespräch.
Eckart von Klaeden: Guten Morgen, Herr Remme!
Remme: Herr von Klaeden, der Bericht zeigt deutlich, mit einem einmaligen rhetorischen Ausrutscher Putins ist die Lage sicher nicht zu erklären. Der Bogen spannt sich seit München. Wie besorgniserregend ist die Entwicklung aus Ihrer Sicht?
Klaeden: Von Besorgnis würde ich noch nicht sprechen, und ich hoffe auch nicht, dass das Anlass dazu geben wird. Aber wir müssen die Angelegenheit genau analysieren. Dazu gehört zunächst einmal die Frage der Bedrohungsanalyse, ob ein solches Raketenabwehrsystem sinnvoll ist. Da bin ich der Ansicht, dass es vom Prinzip her sinnvoll ist, denn wir müssen uns auf die neuen Bedrohungen einstellen, die im nahen und mittleren Osten entstehen können. Wir müssen leider davon ausgehen, dass der Iran ein militärisches Nuklearprogramm betreibt. Wir wissen, dass er Raketenprogramme betreibt, dass er danach strebt, die Reichweite seiner Raketen zu steigern. Wir haben mit Pakistan ein Land, das nuklear bewaffnet ist, das über Raketentechnologie verfügt und dessen innere Stabilität sehr gering ist.
Remme: Herr von Klaeden, Sie schildern jetzt die Bedrohung aus Ihrer Sicht oder aus der Sicht des Westens, aber Putin hält die Situation, so wie er sie sieht, für absolut identisch mit dem Streit seinerzeit um die Pershing-Raketen. Da kann man ja wie Condoleezza Rice sagen, das sei ja nun albern und lächerlich, aber das ändert ja nichts an der Sichtweise Russlands.
Klaeden: Das ändert nichts an der Sichtweise Russlands, aber trotzdem müssen wir uns ja fragen, ob die russische Kritik berechtigt ist, und uns dann nach den Motiven für die russische Kritik fragen. Da, finde ich, ist zunächst einmal wichtig festzustellen, dass wir seit einiger Zeit ja eine Entwicklung in Russland zu beobachten haben, die uns mit Sorge erfüllt. Das gilt für die Frage der inneren Entwicklung Russlands, aber das gilt auch Fragen der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik. Und da ist festzustellen, dass Europa und Russland sich auseinanderentwickeln, sowohl was die Interessen angeht, die Definition der Interessen angeht, als auch was die gemeinsamen Werte angeht. Russland wird innenpolitisch zunehmend autokratischer, demokratische Rechte werden immer weiter unterdrückt. Und wir dürfen auch nicht übersehen, dass Russland seinen Nachbarn gegenüber, insbesondere denjenigen, die heute der EU und der NATO angehören, mit einer noch unverhohlenen Drohungspolitik auftritt, jedenfalls dann, wenn diese Länder nicht das machen, was von Moskau erwartet wird.
Und auch in Fragen wie zum Beispiel dem Kosovo-Konflikt oder dem Iran gehen von Moskau gemischte Signale aus. Diese zunehmende Differenz, finde ich, muss man erkennen, wenn man sich um ein realistisches und ein unverklärtes Russlandbild bemüht. Das heißt nicht, dass wir nicht ein Interesse haben an guten nachbarschaftlichen Beziehungen mit Russland, dass wir mit Russland kooperieren, dass wir die Zusammenarbeit mit Russland ausbauen wollen ...
Remme: Herr von Klaeden ...
Klaeden: …aber wir müssen sehen, wenn ich das kurz sagen darf, dass es in Russland eine Entwicklung gibt, die schon seit längerem anhält und die wesentliche Fragen anders beurteilt als wir das tun.
Remme: Für Gernot Erler, den Staatsminister im Auswärtigen Amt, äußert sich hier eine tiefgreifende Enttäuschung Moskaus über die westliche Politik. Hat sich der Westen was vorzuwerfen?
Klaeden: Ich glaube, dass sich insgesamt der Westen nichts vorzuwerfen hat. Ich habe auch den Eindruck, dass bei Herrn Erler doch ein verklärtes Russlandbild dominierend ist - das gilt auch für Teile der SPD -, die nach der Russlandpolitik von Gerhard Schröder Schwierigkeiten haben, die Entwicklungen Russlands in ihrer Gesamtheit zur Kenntnis zu nehmen, weil es eben auch bedeutet, dass man Korrekturen an der vorherigen Russlandpolitik vornehmen muss, jedenfalls was die Bewertung der Vorgänge in Moskau angeht. Ich glaube, dass Russland auf dem Weg ist - und das ist vom Prinzip her auch erst einmal nicht falsch -, den Wunsch hat, wieder eine Großmachtrolle zu spielen, den Wunsch nach einer unabhängigen Außenpolitik. Aber die Frage ist dann, was bedeutet diese unabhängige Außenpolitik, wie verlässlich ist diese Außenpolitik, welchen Prinzipien folgt sie und insbesondere, wie verhält sie sich den Nachbarn Russlands gegenüber. Und viele Dinge, die wir noch in den 90er Jahren in Russland unter Gorbatschow, unter Jelzin als beeindruckende und hoffnungsvolle Entwicklung in Russland gesehen haben - die Öffnung des Landes nach Westen, die Demokratie, die Einführung der Rechtsstaatlichkeit, auch ein differenzierter Umgang mit der sowjetischen Vergangenheit, mit dem Stalinismus -, das sind ja Dinge, die zum großen Teil in Russland jetzt von Putin wieder zurückgenommen werden ...
Remme: Dann gehen wir doch auf einen dieser Nachbarn ein, auf die aktuellen Ereignisse dort. Schauen wir mal kurz auf Estland, wo Sie einen dieser Nachbarn ansprechen. Es ging ja auch dort um estnisch-russische Befindlichkeiten, dieser Abbau eines sowjetischen Kriegerdenkmals führt ja auch hin zu Selbstbewusstsein. Moskau sieht darin praktisch eine Beleidigung des Erbes an den Sieg über den Faschismus. Herr von Klaeden, haben Sie Verständnis für die wütenden Proteste aus Moskau?
Klaeden: Ich glaube, dass beide Seiten mit diesem Konflikt hätten behutsamer umgehen können, aber wenn man sich mal in die estnische Rolle jetzt versetzt, so muss man feststellen, dass Estland von der Sowjetunion besetzt worden ist, und zwar aufgrund der Kooperation zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes. Dann ist es von der Wehrmacht besetzt worden und dann befreit worden von der Roten Armee. Das hat aber nicht die Einführung von Demokratie gebracht, sondern die Eingliederung oder die Fortsetzung der Eingliederung des Landes in die Sowjetunion. Also dass man in Estland die Zeit der sowjetischen Okkupation nicht nur als eine Zeit der Befreiung empfindet, glaube ich, ist vollständig nachvollziehbar, insbesondere aufgrund der Kooperation mit dem nationalsozialistischen Deutschland, aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes. Und Russland ist eines der wenigen Länder des ehemaligen Warschauer Paktes, das mit seiner kommunistischen Vergangenheit nicht gebrochen hat, die nach wie vor Teil der Identität Russlands ist. Und das scheint mir der tiefer liegende Konflikt um das Kriegerdenkmal zwischen Estland und Russland zu sein.
Remme: Gerhard Schröder hat Estland für sein Vorgehen scharf kritisiert. Der Umgang mit dem Gedenken an russische Soldaten sei stil- und pietätlos, widerspreche jedem zivilisierten Verhalten. Was sagen Sie dazu?
Klaeden: Diese Kritik Schröders halte ich für einseitig und in der Schärfe für völlig unangebracht.
Remme: Herr von Klaeden, Sie haben das Selbstbewusstsein in Russland angesprochen, es wächst aufgrund der wirtschaftlichen Stärke in erster Linie. Sehen Sie denn Russland und die USA machtpolitisch zurzeit auf einer Augenhöhe oder gilt hier immer noch in Ihren Augen das Wort von den USA als der einzig verbliebenen Supermacht?
Klaeden: Ob sie die einzig verbliebene Supermacht ist, das würde ich so nicht sagen. Also wir sind ja doch auf dem Weg dahin, dass sich eine Reihe anderer Machtzentren bilden, und ich habe vorhin ja auch schon mal gesagt, dass das Streben Russlands nach einer Großmachtrolle vom Prinzip her nicht zu kritisieren ist, sondern man sich die Frage stellen muss und Russland die Frage beantworten muss, wie man mit der gewachsenen Macht und mit dem gewachsenen Einfluss umgehen will. Aber die einzig global agierende Supermacht sind nach wie vor die Vereinigten Staaten von Amerika, da kann Russland den USA nicht das Wasser reichen. Und ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist und im russischen Interesse, dort in jeder Hinsicht auf einer Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten agieren zu wollen.
Remme: Kommen wir am Ende noch mal auf das Raketenabwehrsystem. Sie haben an dieser Stelle hier im Deutschlandfunk im Februar sogar die Einbindung Russlands in das System für realistisch gehalten. Haben Sie diese Hoffnung inzwischen aufgegeben?
Klaeden: Nein, diese Hoffnung habe ich nicht aufgegeben, aber sie hängt natürlich ganz wesentlich davon ab, ob Russland bereit ist zu einer Kooperation. Ich halte das, was die Vereinigten Staaten jetzt gemacht haben, Inspektionen anzubieten und selber ja auch die Einbindung Russlands anzubieten, für richtig.
Remme: Aber dazu gehören ja zwei.
Klaeden: In der Tat, dazu gehören zwei. Wie gesagt, ich will da in dieser Frage die Hoffnung nicht aufgeben, weil Russland ja - und da ist ja wiederum doch erhebliche Interessenkoinzidenz von uns und Russland festzustellen - auch besorgt sein muss durch die Entwicklung, die im Iran stattfindet. Und wenn wir gemeinsam einen Weg finden, wie wir auf diese Bedrohung reagieren können, und wir müssen ja bedauerlicherweise auch ins Kalkül ziehen, dass der Iran sich nuklear bewaffnet, wenn wir einen Militärschlag zu Recht gegen den Iran ausschließen. Und dann muss man sich überlegen, wie man mit einem solchen Land umgeht. Und in einem solchen Konzept, finde ich, ist es nachvollziehbar und schlüssig, dass in ein solches Konzept aus amerikanischer, aus NATO-Sicht ein Raketenabwehrsystem gehört. Aber man wird auch über andere Schritte nachdenken können. Für Russland mag es andere Antworten geben. Und da, finde ich, sollte man kooperieren und die Zusammenarbeit suchen.
Remme: Eckart von Klaeden war das, der außenpolitische Sprecher der Union. Herr von Klaeden, vielen Dank für das Gespräch.