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Von Paris in die Provinz
Unterwegs auf Frankreichs Nationalstraße 7

In den 50er- und 60er-Jahren gab es kaum einen Franzosen, der sich im Sommer nicht auf der Nationalstraße 7 Richtung Süden aufmachte - um dort schon nach wenigen Kilometern im Stau zu stehen, bevor die Ferien an der Côte d'Azur beginnen konnten. Entlang dieser Route gehen nun zwei DLF-Reporter en route, um vor der Präsidentenwahl der Stimmung im Land nachzuspüren.

Von Anne Raith | 24.03.2017
    Ein im Boden eingelassenes Schild markiert den Nullpunkt der Nationalstraße N7 genau vor der Kirche Notre-Dame in Paris
    Hier geht es los: Ein im Boden eingelassenes Schild markiert den Nullpunkt der Nationalstraße N7 (Deutschlandradio / Anne Raith)
    Warum die Nationalstraße 7?
    Die Nationalstraße 7 ist die berühmteste der französischen Nationalstraßen, die alle von Napoleon sternförmig von Paris aus angelegt worden, um die Provinzen zu erschließen. Der Nullpunkt ist genau vor der Kirche Notre-Dame in Paris.
    Und: Die Nationalstraße 7 ist eine Art Sehnsuchtsstraße für viele Franzosen. Auf ihr ging es nämlich in die Sommerferien, Richtung Süden. Die "Route bleue" schlängelt sich auf gut 1.000 Kilometern durch's ganze Land - über Nevers, Lyon, Valence, Aix-en-Provence und Nizza bis nach Menton an die italienische Grenze.
    Das war am Anfang nur was für die eher Gutbetuchten, später aber eine echte Massenbewegung. In den 1950er und 1960er Jahren gab es kaum einen Franzosen, der sich im Sommer nicht mit der ganzen Familie auf der N7 Richtung Süden aufmachte.
    Was einerseits dazu führte, dass man kilometerlang im Stau stand, andererseits aber auch bedeutete, dass die Nationalstraße 7 eine Art Lebensader für die Region war: Entlang der Strecke gab es Tankstellen, Werkstätten, Rasthäuser, in Montélimar wurde gehalten, um Nougat zu kaufen ... Es gab also auch viele Rituale entlang der Strecke.
    Diese Rituale haben heute an Bedeutung verloren, weil die Nationalstraße mit dem Bau der Autobahn von der "Autoroute du Soleil" abgelöst worden ist, man will heutzutage schnell in den Urlaub.
    Es gibt zwar noch große Fans der Strecke, die im Sommer mit Originalautos der Zeit den Stau auf der N7 nachstellen, es gibt Museen entlang der Strecke, aber Verkehrs- und Lebensader ist sie schon lange nicht mehr.
    Die großen Themen der Wahl schlängeln sich entlang der Strecke
    Die N7 führt durchs ganze Land und liefert einen guten Querschnitt, was die Franzosen im Jahr der Präsidentenwahl bewegt: die wirtschaftspolitische Lage des Landes, die Rolle Europas, Sicherheit, Einwanderung ...
    Die Kirche Notre-Dame in Paris
    Vor der Kirche Notre-Dame in Paris (Deutschlandradio / Anne Raith)
    Und weil man ja sagt: Paris ist nicht Frankreich, werden wir uns auch gar nicht lange in Paris aufhalten, sondern von dort gleich losfahren ins Département Loiret, ein Département, in dem viele Arbeitsplätze im Zuge der Deindustrialisierung verloren gegangen sind, mit einer relativ hohen Arbeitslosenquote, aber auch ein Département mit einer langen landwirtschaftlichen Tradition. Dort wollen wir schauen, was aus den wirtschaftspolitischen Versprechen der Regierung Hollande geworden ist.
    Von da aus geht es weiter Richtung Moulins, wo wir uns dem Thema Europa widmen wollen. Bei Moulins verlief im Zweiten Weltkrieg die Demarkationslinie zwischen dem freien und dem besetzten Frankreich und wir wollen wissen: Spielt die Geschichte dort noch eine Rolle? Und: Welche Rolle spielt Europa? Wie schwierig ist das, mit Europa Wahlkampf zu machen.
    Wir wollen uns anschauen, wie die Anti-Terror-Politik, wie das Thema Sicherheit, Städte entlang der Route verändert hat, weil mehr Polizei in den Straßen patrouilliert, öffentliche Gebäude nicht mehr zugänglich sind oder Videoüberwachung zugenommen hat. Im Süden wollen wir recherchieren, welche Rolle der Islam in Frankreich spielt. Es hat ja in Fréjus, wo der Front National den Bürgermeister stellt, großen Ärger gegeben, um den Bau der Moschee, der bis heute anhält.
    Und unser Schlusspunkt ist dann mit Menton der erste Grenzübergang im Schengenraum, der wieder kontrolliert wurde, 2011 war das. Inzwischen ist von der "Mauer von Menton" die Rede, eine unsichtbare Mauer, die aber kein Durchkommen mehr gewährt in einem Europa, das das grenzenlose Reisen als große Errungenschaft gefeiert hat.
    Was verändert sich, wenn der Front National regiert?
    Eine Recherche wird uns nach Le Luc führen. Das ist eine kleine Stadt von etwa 10.000 Einwohnern mitten im Var, die seit 2014 von einem Bürgermeister des Front National regiert wird.
    Das ist dort nicht ungewöhnlich: Entlang der N7 gibt es eine Reihe an Städten und Städtchen, in denen der FN sehr stark ist - allen voran Fréjus mit Bürgermeister David Rachline, der auch die Kampagne von Marine Le Pen leitet.
    Hier wollen wir uns anschauen, was sich tatsächlich verändert, wenn die Rechtsextremen in politische Verantwortung kommen. Das ist ja die große Sorge der einen und Hoffnung der anderen: dass sich spürbar etwas verändert. Und hier kann man im kleinen Rahmen beobachten, was das bedeutet. Wir sind mit dem Bürgermeister verabredet, wollen mit Wählern sprechen und treffen die Bürgerinitiative "Ensemble pour Le Luc", die Gegenwehr leistet, etwa wie jetzt, wenn der Kinofilm "Chez nous", der sich um eine fiktive rechtsextreme Partei dreht, eigentlich gezeigt werden sollte und dann doch abgesetzt wird.