Silvia Engels: In Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, geht es derzeit ums Geld. Auf einer internationalen Geberkonferenz werden Millionen eingesammelt, denn der 1986 explodierte Reaktorblock im Atomkraftwerk Tschernobyl braucht eine neue Schutzhülle, um die Umwelt dauerhaft zu schützen. 550 Millionen Euro sind bereits zusammengekommen; Experten sagen, das wird nicht reichen. Über die Situation rund um die Atomruine in Tschernobyl sprach mein Kollege Gerwald Herter gestern Abend mit Tobias Münchmeyer, er ist Atomexperte der Umweltorganisation Greenpeace, und an ihn ging die Frage, ob es wirklich unumgänglich sei, eine neue Hallenkonstruktion über den Reaktor zu schieben.
Tobias Münchmeyer: Ja, das glaube ich. Ich glaube, das ist alternativlos. Es gibt die große Gefahr, dass der bestehende Sarkophag, der damals zusammengezimmert wurde in aller Eile, zusammenbricht in den kommenden Jahren, und deswegen ist es sicher richtig, dass man eine zweite Abschirmung vornimmt.
Gerwald Herter: Diese Konstruktion soll mindestens 100 Jahre halten. Wie viel Radioaktivität wird trotzdem noch ausdringen?
Münchmeyer: Mit den 100 Jahren, das ist sicher ganz schwer zu kalkulieren, ob das wirklich so lange hält. Es gab auch die Schätzungen von nur 50 Jahren. In jedem Fall muss einem klar sein, dass es da nur um eine weitere Kurzzeitlösung geht, wenn man mal aus der Perspektive der Halbwertszeiten guckt. Da haben wir es ja mit Zeiträumen zu tun von Tausenden Jahren, wenn man an das Plutonium denkt, was da eben in hoher Konzentration unter dem Sarkophag lauert, denn da haben wir es ja mit 24.000 Jahren, also einer unvorstellbaren Zeitdauer zu tun. Da sind diese 100 Jahre oder 50 Jahre eben wirklich nur ein Wimpernschlag. Man muss sich klar machen, dass das also ein weiteres Hangeln von Provisorium zu Provisorium ist, und das, was eigentlich geschehen müsste, bis jetzt noch gar nicht mal diskutiert wird. Das ist nämlich die Bergung des Kernbrennstoffs, der dort in großer Menge vorhanden ist und Gefahr ausübt in Form von möglichen Staubemissionen, und natürlich auch, dass solche Radionuklide ins Grundwasser gelangen könnten.
Herter: Was hindert denn die Ukraine daran, dies zu tun und dieses Material zu bergen?
Münchmeyer: Ich glaube, das ist eine so unbequeme Wahrheit, da traut sich im Augenblick niemand heran, obwohl das eigentlich genau passieren müsste. Das ist auch das, was Greenpeace dringend fordert, dass man wirklich sich mit dieser Problematik befasst, dort ein Konzept dafür entwickelt, wie man in den kommenden Jahren oder von mir aus auch Jahrzehnten den Kernbrennstoff aus dem Sarkophag birgt, weil einfach nur eine Hülle über die nächste zu ziehen, das kann nicht eine Lösung sein. Man kann damit eine gewisse Menge an Zeit kaufen für sehr, sehr viel Geld, auch unser Geld in Deutschland unter anderem ja, aber es ist eben keine wirkliche Lösung.
Herter: Wäre denn dann die Gefahr gebannt, wenn man diesen Brennstoff tatsächlich endlagern würde?
Münchmeyer: Na ja, wir wissen das ja aus der ganzen Diskussion um Gorleben: Es gibt weder in Deutschland, noch irgendwo in der Welt ein wirkliches Endlager und wir wissen alle nicht, wann und wo solche Endlager entstehen können. Wir tappen da im Dunkeln. Aber sicher wäre es die bessere Lösung, wenn man alles unternimmt, um diese Stoffe aus dem Sarkophag zu bergen, zu verpacken und zwischenzulagern und dann in ähnlicher Form behandeln würde, wie man eben auch abgebrannte Brennelemente aus den Atomkraftwerken behandeln muss. Da haben wir ja dasselbe Problem. Das heißt, Sie haben recht: Wenn das Inventar geborgen würde aus dem Sarkophag, wäre auch noch nicht der Endpunkt gesetzt. Ob man einen Endpunkt jemals setzen kann, ist mehr als fraglich.
Herter: Sie waren mehrmals in der Nähe des Sarkophags, bis auf 250 Meter sind Sie herangekommen, haben eine Vorstellung davon, wie es ist, dort sich aufzuhalten und zu arbeiten. Sie sprechen von Arbeiten zur Bergung dieses Kernbrennstoffes. So einfach kann das ja nicht sein!
Münchmeyer: Das ist unglaublich schwierig und unheimlich gefährlich. Durchaus möglich, dass das komplett durch Roboter sozusagen erfolgen müsste, weil die Strahlung im Sarkophag ist ja in keiner Weise zu vergleichen mit der außerhalb, dort wo ich also war, in diesem Abstand von 200 Metern. Im Sarkophag gibt es Bereiche, die sind vollkommen unzugänglich für Menschen, die sind lebensgefährlich sozusagen in wenigen Sekunden schon, und von daher ist das ein Riesenproblem. Aber einfach zu sagen oder so zu tun, als gäbe es das nicht, bringt uns natürlich auch nicht weiter. Deswegen: der Bau dieser zweiten Schutzhülle, ja, der muss wohl sein. Auch der wird unheimlich aufwendig, kompliziert, gefährlich auch für Leute, die dort arbeiten, und auch unglaublich teuer, ich vermute und befürchte, erheblich teurer, als wir heute glauben und als heute prognostiziert wird, aber selbst dann, selbst wenn dieses Meisterstück gelingt, diesen zweiten Behälter zu bauen, selbst dann haben wir nur einen kleinen Zwischenschritt gemacht auf dem Weg zu einer wirklichen Bergung des Kernbrennstoffs aus dem Sarkophag.
Herter: Und das wäre noch viel teurer. Der ukrainische Präsident, Janukowitsch, hat heute versucht, das Ausland in die Pflicht zu nehmen. Ist auch aus Ihrer Sicht, Herr Münchmeyer, Tschernobyl unser aller Problem?
Münchmeyer: Also ich glaube, es steht uns gut an, da einem so armen Land wie der Ukraine bei Seite zu stehen und zu helfen und auch finanziell zu unterstützen. Das finde ich schon. Es ist ein Problem und eine Katastrophe, die ganz Europa betroffen hat, und es wäre natürlich schön, wenn man gemeinsam dort weiter käme. Gleichzeitig würde ich aber auch sagen, das entbindet die Ukraine wiederum nicht, auch ihren Teil zu tun, nicht nur finanziell, sondern eben auch wirklich daran zu arbeiten, an dem, was ich vorhin Bergung nannte.
Und es gibt noch einen ganz anderen Aspekt: Ich halte es für eigentlich vollkommen unvereinbar, dass man einerseits Geld gibt, um der Ukraine zu helfen, den Atomschrott aufzuräumen, und gleichzeitig ihr aber zugesteht, weiterzumachen mit der Atomkraft, mit alten Sowjet-Reaktoren, die da betrieben werden, die von der gleichen Bauart sind wie die, die in der DDR zum Beispiel gestanden haben und sofort nach der Wiedervereinigung geschlossen werden mussten. Also das verstehe ich nicht, warum man dann, wenn man schon auch so viel Geld gibt, diesen Einfluss nicht nutzt, um zu sagen, okay, dann müsst ihr aber auch schneller zusehen, mit eurer Atomkraft auszusteigen. Das Gegenteil passiert aber. Die Europäische Union und die Europäische Investitionsbank finanzieren für Hunderte von Millionen neue Hochspannungsleitungen aus der Ukraine heraus, die die Ukraine sogar noch stimulieren, mehr Atomkraftwerke zu bauen, um Strom zu exportieren. Da scheint die eine Hand nicht zu wissen, was die andere tut.
Engels: Gerwald Herter im Gespräch mit Tobias Münchmeyer, Atomexperte von Greenpeace.
Tobias Münchmeyer: Ja, das glaube ich. Ich glaube, das ist alternativlos. Es gibt die große Gefahr, dass der bestehende Sarkophag, der damals zusammengezimmert wurde in aller Eile, zusammenbricht in den kommenden Jahren, und deswegen ist es sicher richtig, dass man eine zweite Abschirmung vornimmt.
Gerwald Herter: Diese Konstruktion soll mindestens 100 Jahre halten. Wie viel Radioaktivität wird trotzdem noch ausdringen?
Münchmeyer: Mit den 100 Jahren, das ist sicher ganz schwer zu kalkulieren, ob das wirklich so lange hält. Es gab auch die Schätzungen von nur 50 Jahren. In jedem Fall muss einem klar sein, dass es da nur um eine weitere Kurzzeitlösung geht, wenn man mal aus der Perspektive der Halbwertszeiten guckt. Da haben wir es ja mit Zeiträumen zu tun von Tausenden Jahren, wenn man an das Plutonium denkt, was da eben in hoher Konzentration unter dem Sarkophag lauert, denn da haben wir es ja mit 24.000 Jahren, also einer unvorstellbaren Zeitdauer zu tun. Da sind diese 100 Jahre oder 50 Jahre eben wirklich nur ein Wimpernschlag. Man muss sich klar machen, dass das also ein weiteres Hangeln von Provisorium zu Provisorium ist, und das, was eigentlich geschehen müsste, bis jetzt noch gar nicht mal diskutiert wird. Das ist nämlich die Bergung des Kernbrennstoffs, der dort in großer Menge vorhanden ist und Gefahr ausübt in Form von möglichen Staubemissionen, und natürlich auch, dass solche Radionuklide ins Grundwasser gelangen könnten.
Herter: Was hindert denn die Ukraine daran, dies zu tun und dieses Material zu bergen?
Münchmeyer: Ich glaube, das ist eine so unbequeme Wahrheit, da traut sich im Augenblick niemand heran, obwohl das eigentlich genau passieren müsste. Das ist auch das, was Greenpeace dringend fordert, dass man wirklich sich mit dieser Problematik befasst, dort ein Konzept dafür entwickelt, wie man in den kommenden Jahren oder von mir aus auch Jahrzehnten den Kernbrennstoff aus dem Sarkophag birgt, weil einfach nur eine Hülle über die nächste zu ziehen, das kann nicht eine Lösung sein. Man kann damit eine gewisse Menge an Zeit kaufen für sehr, sehr viel Geld, auch unser Geld in Deutschland unter anderem ja, aber es ist eben keine wirkliche Lösung.
Herter: Wäre denn dann die Gefahr gebannt, wenn man diesen Brennstoff tatsächlich endlagern würde?
Münchmeyer: Na ja, wir wissen das ja aus der ganzen Diskussion um Gorleben: Es gibt weder in Deutschland, noch irgendwo in der Welt ein wirkliches Endlager und wir wissen alle nicht, wann und wo solche Endlager entstehen können. Wir tappen da im Dunkeln. Aber sicher wäre es die bessere Lösung, wenn man alles unternimmt, um diese Stoffe aus dem Sarkophag zu bergen, zu verpacken und zwischenzulagern und dann in ähnlicher Form behandeln würde, wie man eben auch abgebrannte Brennelemente aus den Atomkraftwerken behandeln muss. Da haben wir ja dasselbe Problem. Das heißt, Sie haben recht: Wenn das Inventar geborgen würde aus dem Sarkophag, wäre auch noch nicht der Endpunkt gesetzt. Ob man einen Endpunkt jemals setzen kann, ist mehr als fraglich.
Herter: Sie waren mehrmals in der Nähe des Sarkophags, bis auf 250 Meter sind Sie herangekommen, haben eine Vorstellung davon, wie es ist, dort sich aufzuhalten und zu arbeiten. Sie sprechen von Arbeiten zur Bergung dieses Kernbrennstoffes. So einfach kann das ja nicht sein!
Münchmeyer: Das ist unglaublich schwierig und unheimlich gefährlich. Durchaus möglich, dass das komplett durch Roboter sozusagen erfolgen müsste, weil die Strahlung im Sarkophag ist ja in keiner Weise zu vergleichen mit der außerhalb, dort wo ich also war, in diesem Abstand von 200 Metern. Im Sarkophag gibt es Bereiche, die sind vollkommen unzugänglich für Menschen, die sind lebensgefährlich sozusagen in wenigen Sekunden schon, und von daher ist das ein Riesenproblem. Aber einfach zu sagen oder so zu tun, als gäbe es das nicht, bringt uns natürlich auch nicht weiter. Deswegen: der Bau dieser zweiten Schutzhülle, ja, der muss wohl sein. Auch der wird unheimlich aufwendig, kompliziert, gefährlich auch für Leute, die dort arbeiten, und auch unglaublich teuer, ich vermute und befürchte, erheblich teurer, als wir heute glauben und als heute prognostiziert wird, aber selbst dann, selbst wenn dieses Meisterstück gelingt, diesen zweiten Behälter zu bauen, selbst dann haben wir nur einen kleinen Zwischenschritt gemacht auf dem Weg zu einer wirklichen Bergung des Kernbrennstoffs aus dem Sarkophag.
Herter: Und das wäre noch viel teurer. Der ukrainische Präsident, Janukowitsch, hat heute versucht, das Ausland in die Pflicht zu nehmen. Ist auch aus Ihrer Sicht, Herr Münchmeyer, Tschernobyl unser aller Problem?
Münchmeyer: Also ich glaube, es steht uns gut an, da einem so armen Land wie der Ukraine bei Seite zu stehen und zu helfen und auch finanziell zu unterstützen. Das finde ich schon. Es ist ein Problem und eine Katastrophe, die ganz Europa betroffen hat, und es wäre natürlich schön, wenn man gemeinsam dort weiter käme. Gleichzeitig würde ich aber auch sagen, das entbindet die Ukraine wiederum nicht, auch ihren Teil zu tun, nicht nur finanziell, sondern eben auch wirklich daran zu arbeiten, an dem, was ich vorhin Bergung nannte.
Und es gibt noch einen ganz anderen Aspekt: Ich halte es für eigentlich vollkommen unvereinbar, dass man einerseits Geld gibt, um der Ukraine zu helfen, den Atomschrott aufzuräumen, und gleichzeitig ihr aber zugesteht, weiterzumachen mit der Atomkraft, mit alten Sowjet-Reaktoren, die da betrieben werden, die von der gleichen Bauart sind wie die, die in der DDR zum Beispiel gestanden haben und sofort nach der Wiedervereinigung geschlossen werden mussten. Also das verstehe ich nicht, warum man dann, wenn man schon auch so viel Geld gibt, diesen Einfluss nicht nutzt, um zu sagen, okay, dann müsst ihr aber auch schneller zusehen, mit eurer Atomkraft auszusteigen. Das Gegenteil passiert aber. Die Europäische Union und die Europäische Investitionsbank finanzieren für Hunderte von Millionen neue Hochspannungsleitungen aus der Ukraine heraus, die die Ukraine sogar noch stimulieren, mehr Atomkraftwerke zu bauen, um Strom zu exportieren. Da scheint die eine Hand nicht zu wissen, was die andere tut.
Engels: Gerwald Herter im Gespräch mit Tobias Münchmeyer, Atomexperte von Greenpeace.