Freitag, 19. April 2024

Archiv

Vor 100 Jahren
Der schwarze Tag des deutschen Heeres

Am 8. August 1918 starteten die Alliierten des Ersten Weltkriegs eine Großoffensive auf die deutschen Stellungen bei Amiens. Sie brachte immense Verluste für die deutschen Truppen, tiefe Einbrüche in deren Westfront - und leitete die endgültige Niederlage der Mittelmächte ein.

Von Bernd Ulrich | 08.08.2018
    Schlacht von Amiens: Deutsche Kriegsgefangene werden weggeführt (1918)
    Rund 15.000 deutsche Soldaten ließen sich am 8. August 1918 widerstandslos gefangen nehmen (imago)
    "Ludendorff selbst gibt in seinen Memoiren ja ein Datum an, den berüchtigten schwarzen Tag des Heeres. Das ist der 8. August 1918, als britische Panzer bei Amiens in Nordfrankreich vorstießen und zum ersten Mal die deutschen Soldaten in einer Masse kapitulierten und auch sich eine Stimmung breitmachte, die schon darauf hindeutete, dass dieser Krieg verloren war."
    Der Anfang vom Ende
    Der ehemalige Direktor der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte, Gerhard Hirschfeld, hat recht: Die Schlacht, die am 8. August 1918 in der Nähe der nordfranzösischen Stadt Amiens begann, war für das deutsche Westheer der Anfang vom Ende. Und zugleich, wie es General Erich Ludendorff, Planer und Organisator der letzten deutschen Offensiven im Westen, in seinen Erinnerungen festhielt: "Der schwarze Tag des deutschen Heeres in der Geschichte dieses Krieges." Eine Bemerkung, die in den Folgejahren zum geflügelten Wort wurde - und heute so gut wie vergessen ist.
    Dabei hatte sich Ludendorff noch Anfang August gegenüber Reichskanzler Georg Graf von Hertling vom Sieg vollständig überzeugt gezeigt: "Fünfmal habe ich während des ganzen Weltkrieges bisher die Truppen zurücknehmen müssen, um am Ende den Feind doch zu schlagen. Warum sollte mir das nicht auch ein sechstes Mal gelingen?"
    Nach dem 8. August war klar: Es konnte nicht gelingen. Um Punkt 5:20 Uhr erfolgte aus über 2000 englischen Geschützen - nach dem Vorbild deutscher Schießverfahren - ein gigantischer Feuerschlag, gerichtet vor allem auf die Geschützstellungen der Deutschen. Dann begann bei starkem Nebel der Angriff von 23 alliierten Divisionen, unterstützt von über 500, erstmals in solcher Massivität eingesetzten Panzern.
    Die Menschen und Material vernichtende Durchschlagskraft steigerte sich am Vormittag, nachdem sich der Nebel gelichtet hatte und englische Flugzeuge direkt in die Bodenkämpfe eingreifen konnten. Diesem Inferno hatten die so überraschten wie ausgelaugten Soldaten der deutschen zweiten Armee nichts entgegenzusetzen.
    Moral der deutschen Soldaten gebrochen
    Deren Kommandeur, der General der Kavallerie Georg von der Marwitz, hatte kurz vor dem Angriff angesichts des regenreichen und kühlen Sommers 1918 vermerkt: "Unsere Truppen haben's ganz schrecklich schwer. Der Lehmpansch nach dem fortgesetzten Regen ist unergründlich, Mann und Ross sind der Nässe ohne jeglichen Schutz preisgegeben. Dörfer oder irgendwelche Unterstände gibt's eben in breiten Strecken nicht."
    Die großen deutschen Offensiven ab dem 21. März 1918 hatten noch überraschende Durchbrüche von bis zu 80 Kilometer Tiefe erzielt. Doch geländebedingte Nachschubprobleme, hohe Verluste und die immer stärker spürbare Überlegenheit der nun durch amerikanische Verbände gestärkten Alliierten machten sich bemerkbar. Auch die ab Juli 1918 grassierende Grippe belastete die sowieso schon erschöpften und ausgehungerten Truppen.
    Ein Bataillons-Chef schrieb rückblickend: "Aber oft habe ich bei der Beobachtung der Leute vor mich hingesagt: Sie sehen aus wie Gespenster. Farblos, verhungert, in zerrissenen Uniformen, verlaust, schleichend, manche fast Menschen nicht mehr ähnlich."
    Vor allem aber: Auch die Moral der Soldaten, wesentlich genährt durch die Aussicht auf den ersehnten Frieden nach einer letzten Kraftanstrengung, war nun gebrochen. In einem Bericht für die Oberste Heeresleitung hieß es: "Die Stimmung ist im Großen und Ganzen derart, dass die Mannschaften nicht mehr weiterkämpfen werden, wenn wir nicht sofort Frieden bekommen. Wir werden dann die Revolution in wenigen Wochen haben."
    Deutsches Heer verliert 30.000 Soldaten an einem Tag
    In diese weiche Flanke der Deutschen hinein stieß der Angriff. Dem französischen, gerade erst zum Marschall Frankreichs beförderten Oberbefehlshaber Ferdinand Foche war diese Schwäche ebenso bewusst wie die zunehmende Stärke amerikanischer Truppen - Monat für Monat kamen 200.000 Mann hinzu.
    In einer Denkschrift über den Angriffsbeginn schrieb Foche Ende Juli: "Jetzt ist der Augenblick gekommen, von der Defensive, zu der wir durch zahlenmäßige Unterlegenheit bisher gezwungen waren, zur Offensive überzugehen. Diese kann natürlich nicht im ersten Anlauf die Entscheidung bringen, kann sie aber durch schnell aufeinanderfolgende Schläge vorbereiten."
    So geschah es. Allein an diesem 8. August verloren die Deutschen mehr als 30.000 Soldaten, über die Hälfte von ihnen ließ sich widerstandslos gefangen nehmen, der Rest wurde getötet oder verwundet. Und das war nur der Beginn der historischen Schlacht bei Amiens, die sich im Prozess der Zurückdrängung deutscher Verbände bis zum 11. November 1918 hinzog, also bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstands.