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Vor 100 Jahren geboren
Hermann Gmeiner - Vater der SOS-Kinderdörfer

Der österreichische Pädagoge Hermann Gmeiner war Visionär und Pragmatiker zugleich: Angesichts der vielen Waisen nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er sein Leben lang daran, für elternlose Kinder ein Zuhause zu schaffen. Aus der SOS-Kinderdorf-Idee ist heute ein globales humanitäres Netzwerk geworden.

Von Andrea Westhoff | 23.06.2019
    Hermann Gmeiner, Gründer der SOS Kinderdörfer, in einer Aufnahme aus dem Jahr 1977
    Hermann Gmeiner, Gründer der SOS Kinderdörfer, in einer Aufnahme aus dem Jahr 1977 (picture alliance / IMAGNO/Votava)
    "Alle Wunder dieser Welt entstehen dadurch, dass einer mehr tut, als er tun muss."
    Nach dieser Überzeugung hat Hermann Gmeiner Zeit seines Lebens gehandelt - und damit auch deutliche Spuren in der ganzen Welt hinterlassen.
    "Ich wollte Hermann Gmeiner danken, dass er SOS-Kinderdörfer gegründet hat."
    572 sind es inzwischen, in 135 Ländern. Anstoß dazu waren seine eigenen Kindheits- und Jugenderfahrungen: Hermann Gmeiner wird am 23. Juni 1919 in dem kleinen Dorf Alberschwende im österreichischen Voralberg geboren, als Sohn armer Bergbauern:
    "Wir waren neun Geschwister. Mit sechs Jahren ist meine Mutter gestorben. Ich bin dann mit meinen anderen kleinen Geschwistern aufgezogen worden von meiner Schwester."
    SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner in einer Aufnahme von 1983
    SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner in einer Aufnahme von 1983 (imago/teutopress)
    "Eines Tages dieses Schicksal der Kinder nicht mehr ertragen"
    Elsas liebevolle Fürsorge bildet die Grundlage für Hermann Gmeiners späteres pädagogisches Konzept, dass nämlich familiäre Geborgenheit das A und O für die Entwicklung eines Kindes ist. Weil außerdem Lehrer den begabten Jungen fördern und er ein Stipendium bekommt, kann er das Gymnasium besuchen und die Matura machen. Allerdings erst nach Kriegsende, denn zunächst wird Gmeiner 1940 zur Wehrmacht eingezogen. Er erlebt die Schrecken des Krieges an der Ostfront, wo ihm ein russischer Junge das Leben rettet.
    1946 beginnt er ein Medizinstudium in Innsbruck, will Kinderarzt werden und engagiert sich gleichzeitig in der katholischen Jugendarbeit. So erlebt er hautnah das Elend der vielen Kriegswaisen, die unter zum Teil grässlichen Bedingungen in überfüllten Heimen und Erziehungsanstalten hausen:
    "Ich habe eines Tages dieses Schicksal der Kinder nicht mehr ertragen und glaubte, es muss einen anderen Weg geben, diesen Kindern zu helfen."
    Erstes SOS-Kinderdorf 1951 in Tirol eröffnet
    Gmeiner bricht sein Medizinstudium ab und widmet sich ganz der Pädagogik – allerdings von der praktischen Seite: 1949 gründet er mit ein paar anderen jungen Leuten den Verein "Societas Socialis", um ein "SOS-Kinderdorf" zu bauen.
    "Erstens wollen wir dem Kind wieder eine Mutter geben. Zweitens wollten wir dem Kind wieder Geschwister geben. Das dritte Prinzip ist dann das Haus. Das hat es eigentlich bis damals nicht gegeben, dass man Waisenkindern ein eigenes Haus gegeben hat. Dieses Haus wollten wir hineinstellen, viertens, in ein kleines Dorf, wo es 15 oder 20 dieser Familienhäuser gibt, einen geborgenen Raum."
    Anfangs fehlt dem Verein jegliches Geld, aber motiviert durch Hermann Gmeiners charismatische Persönlichkeit melden sich bald freiwillige Bauhelfer und Frauen, die Kinderdorf-Mütter werden wollen. Außerdem bringt sein geschicktes und beharrliches Werben Spenden aus der ganzen Bevölkerung zusammen, sodass schon 1951 in Imst in Tirol das erste Dorf für 45 Kinder fertig ist. Zwar gibt es durchaus auch einige Widerstände, aber die Idee macht schnell weltweit Schule, erzählt der Pressesprecher Louay Yassin anlässlich des 70. Geburtstages der SOS-Kinderdörfer:
    "1956 entstand das erste Kinderdorf außerhalb von Österreich, in Deutschland am Ammersee. 1960 schon das erste SOS-Kinderdorf in Lateinamerika. Es folgte 1963 das erste Kinderdorf in Asien und 1971 das erste Kinderdorf in Afrika."
    Das Logo von SOS-Kinderdörfer weltweit, des Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.
    Das Logo von SOS-Kinderdörfer weltweit (picture alliance / dpa / Jens Kalaene )
    Gmeiner blieb der knorrige Bauernsohn
    Hermann Gmeiner wird mit Orden und Doktorhüten, Ehrenbürgerschaften und Anerkennungen aus aller Welt überhäuft. Und doch bleibt er immer der etwas knorrige Bauernsohn, selbst wenn er mit Königinnen, Präsidenten oder dem Dalai Lama verhandelt. Sein Projekt SOS-Kinderdörfer ist weder religiös noch ideologisch gebunden - aber nicht unpolitisch:
    "Als ich das letzte Mal in Ostasien war, mit Indira Gandhi zusammen kam, sprach sie davon, dass das große Weltproblem die Ungleichheit der Nationen ist und der Rassismus. Ich glaube, wir im SOS-Kinderdorf haben nicht nur die Aufgabe, dem elternlosen, verlassenen Kind zu helfen, wir haben auch die Aufgabe, dass wir ein Werk der Versöhnung und der Verständigung weltweit sind."
    Die Sorge um und für die Kinder in aller Welt ist der beste Friedensdienst, das war Gmeiners Credo. 1986 stirbt Hermann Gmeiner im Alter von nur 66 Jahren. Aber seine Idee lebt weiter. Inzwischen sind es nicht mehr nur die SOS-Kinderdörfer, sondern es ist daraus ein globales humanitäres Netzwerk geworden, das 1,5 Millionen Menschen weltweit unterstützt.