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Vor 100 Jahren in Berlin
Die Anti-Kunst der ersten Internationalen Dada-Messe

Die Internationale Dada-Messe 1920 in Berlin zeigte erstmals politisch motivierte, provokative Anti-Kunst in einer Kunstgalerie. Die von George Grosz, John Heartfield und Raoul Hausmann organisierte Ausstellung gehört zu den Meilensteinen der zeitgenössischen Kunst.

Von Carmela Thiele | 30.06.2020
    Eröffnung der 1. Internationalen Dada-Messe, Berlin, Buchhandlung Dr. Burchard, 5. Juli 1920 (v. li. stehend Raoul Hausmann, Otto Burchard, Baader, Wieland und Margarete Herzfelde, George Grosz, John Heartfield; sitzend Hannah Höch und Otto Schmalhausen. Foto, spätere Kolorierung.
    Die Eröffnung der ersten Internationalen Dada-Messe am 5. Juli 1920 in Berlin (dpa / akg-images)
    "Sperren Sie endlich ihren Kopf auf! - Machen sie ihn frei für die Forderungen der Zeit! - Dada ist die Zersetzung der bürgerlichen Begriffswelt."
    Die Künstler der Berliner Dada-Bewegung meinten es ernst. Ihre Waffen waren Satire und Provokation, aber es ging um Politik, um ein gerechteres System. Sie bekämpften den deutschen Militarismus, rücksichtslosen Kapitalismus und bürgerliche Trägheit, die Triebkräfte des Ersten Weltkriegs. Ihre wichtigste Aktion war die "Erste Internationale Dada-Messe", die am 30. Juni 1920 in Berlin eröffnet wurde. Sie zeigte auf engstem Raum 174 Objekte von 27 Teilnehmern. Zu den Gästen gehörten Max Ernst, Hans Arp und Francis Picabia.
    Die Kunsthistorikerin Helen Adkins: "Die haben ein Environment, würde man heute sagen, gemacht, in dem sehr genau choreographiert wurde, wie, was präsentiert, gehängt wurde. Mit den zwei großen Gemälden in dem Raum, 'Deutschland ein Wintermärchen' von Grosz und '45% erwerbsfähig' von Otto Dix, das waren riesengroße Bilder, also über zwei Meter hoch beziehungsweise breit, bestimmten sie den Raum sehr, sehr stark und waren dazu gedacht, den bürgerlichen Betrachter erstmal zu fesseln. Also, das war eine Erfahrung in den Raum reinzukommen, viel mehr als jetzt eine Ausstellung, wo man sich einzelne Bilder anschaute."
    Parodie des bürgerlichen Kunstkults
    Eine Fotografie der Eröffnung der Dada-Messe zeigt mehrere Personen vertieft in die Betrachtung der Werke. Doch war das Bild inszeniert, denn es waren die Künstler selbst, die als Publikum auftraten. Raoul Hausmann im Smalltalk mit dem Galeristen Otto Burchard und dem Schriftsteller Johannes Baader. George Grosz gibt mit tadellos sitzendem Anzug, Hut und Stock den Dandy. Und die junge Hannah Höch sitzt gedankenverloren in einem Sessel.
    George Grosz steht an der Staffelei vor seinem Selbstbildnis
    Eine Lange Nacht über George Grosz - "Ein kleines Ja und ein großes Nein"
    Als Dandy liebt er den amerikanischen Tanz Shimmy, besucht Varietés und Sportveranstaltungen. Als Künstler bringt George Grosz in spitzen Strichen gesellschaftliche und politische Abgründe auf das Papier.
    Indem die Dadaisten den bürgerlichen Kunstkult in verändertem Kontext parodierten, brachten sie die Widersprüche der Zeit auf den Punkt. "Organisiert wurde die Messe von Dadasoph Raoul Hausmann, Dadamonteur John Heartfield und Marschall Dada George Grosz, so nannten sie sich. Das waren die führenden Figuren der Berliner Bewegung. Und sie waren in dem Hauptraum der Ausstellung sehr präsent, in Form von großen fotografischen Porträts, die Heartfield hergestellt hatte. Und aus diesen Porträts ließen sie Dada-Botschaften durch den Raum hallen."
    "Nieder mit der Kunst, nieder mit der bürgerlichen Geistigkeit. – Die Kunst ist tot. Es lebe die neue Maschinenkunst Tatlins!"
    Die Dada-Messe als Gesamtkunstwerk
    Den in der Moderne noch latent weiterlebenden Geniebegriff lehnten die Dadaisten ab. Die Dada-Messe trat als großes Gesamtkunstwerk auf. Die Skulptur "Der wildgewordene Spießer Heartfield" etwa stammte von George Grosz und John Heartfield. Sie bestand aus einer Schneiderpuppe mit einer Glühlampe als Kopf. Die Armstümpfe endeten in einer Türklingel und einem Revolver. Die Brust war mit rostigem Besteck und dem höchsten militärischen Orden Preußens dekoriert. Und unter der Decke hing der "Preußische Erzengel".
    Zu sehen ist eine Installation des Grabes von Richard Huelsenbeck, dem Ur-Dadaisten. In diesem Jahr wird das hundertjährige Jubiläum des Dadaismus gefeiert.
    125. Geburtstag von Richard Huelsenbeck - Feind der organisierten Vernunft Der Dadaist Richard Huelsenbeck war Akteur, Propagandist und Chronist der Kulturrevolte in einem. Ohne ihn wäre die avantgardistische Antikunst-Bewegung wohl in Vergessenheit geraten.
    "Das war eine ausgestopfte Uniform eines preußischen Offiziers, ausgestattet mit einem Schweinskopf aus Pappmaschee. Diese Arbeit war im Katalog von Grosz und Schlichter angegeben und zusammen mit der Grafikmappe von George Grosz 'Gott mit uns' führte die Arbeit zu einem Prozess wegen Beleidigung der Reichswehr."
    Wiederentdeckung in den Fünfzigerjahren
    Abgesehen von dem Aufsehen, das der Prozess verursachte, blieb die Ausstellung zunächst ohne Echo. Die Dada-Bewegung zerstreute sich, bald ging jeder seiner Wege. In den Dreißigerjahren, während des NS-Regimes, galt Dada als entartete Kunst. In den Fünfzigern wurde Dada wiederentdeckt, zunächst in den USA, dann in Europa und in der ganzen Welt.
    Helen Adkins: "Sobald Kunst den ernsthaften Anspruch hat, eine unabhängige Stimme gegen Ungerechtigkeit oder empörende Zustände zu erheben, dann bietet die Dada-Messe alle Arten von Vorbildern. Es geht einfach um eine subversive Geste am Rande der Legalität, und das große Vorbild ist immer wieder doch die Dada-Messe 1920 in Berlin."