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Vor 100 Jahren starb August Oetker
Ein Patriarch der Moderne

Vom Apotheker zu einem der bedeutendsten deutschen Unternehmer: August Oetker legte mit der Weiterentwicklung eines Backpulvers den Grundstein für den Oetker-Konzern. Vor 100 Jahren starb der Bielefelder, zwei Jahre zuvor war sein einziger Sohn im Ersten Weltkrieg gefallen.

Von Andrea Westhoff | 10.01.2018
    Foto vom Sitz der Dr. August Oetker KG in Bielefeld. Im Vordergrund ist das große Oetker-Logo in den Farben rot, blau und weiß zu sehen.
    Dank neuartiger Verkaufs- und Werbestrategien etablierte August Oetker mit Hilfe kleiner Backpulvertütchen einen deutschen Markennamen, der inzwischen für eine riesige Produktpalette steht (Oliver Krato/dpa)
    "Der guten Küche guter Geist seit jeher Dr. Oetker heißt."
    Zumindest gab es seit 1893 wohl mindestens ein Produkt mit diesem Namen in fast jedem deutschen Haushalt. Der "Vater des Küchenzaubers" war August Oetker.
    Er hatte Pharmazie studiert, in Botanik promoviert und - nach einigen unternehmerischen Irrungen und Wirrungen - schließlich 1891 in Bielefeld eine Apotheke übernommen. Hier versuchte sich Oetker zunächst an Warzentinkturen, Fußsalbe und Schönheitsmitteln.
    Oetker verbesserte die Zusammensetzung des Backtriebmittels
    Aber als das nichts einbringt, macht sich der Sohn eines Bäckers daran, ein Backtriebmittel zu entwickeln.
    "Meist genügt eine gute Idee, und der Mann ist gemacht."
    Schreibt Oetker später in sein Notizbuch. Wobei seine Leistung eher ein Weiterdenken ist: Denn baking powder gibt es schon seit fast 30 Jahren in den USA. Oetker verbessert die Zusammensetzung ein wenig und macht es so lagerfähig und geschmacksneutral. Vor allem aber gelingt ihm eine genaue haushaltsübliche Dosierung für ein Pfund Mehl oder einen Kuchen.
    "Und damit alles gut gelingt: Backzutaten von Dr. Oetker. Backin!"
    Die kleinen Backpulver-Tütchen, die 1893 erstmals auf den Markt kommen, bilden das Fundament des heute riesigen Familienkonzerns.
    Ein Rezept auf jedes Backpulvertütchen
    Der alte August Oetker ist geprägt vom puritanischen Geist seines Elternhauses: fleißig und sparsam. Durch einen Onkel hat er aber auch Einblick in die moderne amerikanische Geschäftswelt und setzt auf neue Verkaufsstrategien, vor allem auf Werbung:
    "Ein heller Kopf verwendet nur Dr. Oetkers Fabrikate."
    Schon 1899 wird der "Hellkopf", ein weißer Frauenkopf, als Warenzeichen eingetragen. Außerdem lässt Oetker auf jedes Backpulvertütchen ein Rezept drucken und kostenlos Kochbücher verteilen, mit denen er zugleich Haushalts- und Lebensberatung bietet:
    "Möge deshalb die deutsche Frauenwelt beherzigen, dass jede, auch die kleinste Verbesserung des Hauswesens nicht nur Arbeit spart, sondern auch Genuss schafft."
    Heißt es im Vorwort zu "Dr. Oetkers Grundlehren der Kochkunst" von 1895. Ganz in diesem Sinne prägt das Unternehmen die Frauenrolle bis in die 1950er-, 60er-Jahre hinein:
    Er: "Sie wissen ja: Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen? und Was soll ich kochen?"
    Sie: "Ja, und das allerwichtigste für ihn ist der Pudding!"
    Oetker sorgt für seine Mitarbeiter
    Auch Puddingpulver gehört schon seit den Gründerjahren des Unternehmens zur Produktpalette, ebenso wie Vanillezucker, Einmachhilfe oder Stärkemehl.
    1900 zieht August Oetker von der Apotheke in ein Fabrikgebäude in Bielefeld, hat bald mehrere hundert Angestellte und produziert 20 Millionen Päckchen Backin. Er kauft andere Nahrungsmittelfirmen auf, und im Ersten Weltkrieg werden seine Produkte noch beliebter, auch dank nationalistischer Werbung:
    "Deutsche Hausfrauen! Kauft von jetzt ab nur noch deutsches Gustin statt des englischen Fabrikats Mondamin."
    Der kleine Apotheker aus Bielefeld wird zu einem der bedeutendsten deutschen Unternehmer. Ein typischer Patriarch der Moderne: Mit akkuratem Mittelscheitel und Zwirbelbart ist der Doktor väterlich streng. Aber Oetker sorgt auch für seine Mitarbeiter, mit Weihnachtsgratifikationen und kleinen Gewinnbeteiligungen.
    Doch dann ereilt ihn das gleiche Schicksal wie Millionen andere: Sein einziger Sohn fällt 1916 bei Verdun. August Oetker wird krank, man spricht von "gebrochenem Herzen", er zieht sich zurück. Der Bestand des Familienunternehmens scheint gefährdet. Zwar bestimmt er noch seinen Enkel Rudolf-August zum Nachfolger:
    "Mich hat nie einer in meinem Leben gefragt, was ich werden wollte."
    Doch der Junge ist gerade zwei Jahre alt, als August Oetker am 10. Januar 1918 im Alter von nur 56 Jahren stirbt. Aber der "Oetker-Clan" hält zusammen: Er profitiert in der Inflationszeit, stellt sich gut mit den Nationalsozialisten, bis Rudolf-August 1944 tatsächlich die Firmenleitung übernimmt. Der macht aus der Bielefelder Backpulverfabrik seines Großvaters endgültig jenen Konzern, zu dem nicht nur die bekannte Eigenmarke, sondern auch Brauereien, Sekt- und Weinproduktionen, Versicherungen, ein Bankhaus, vornehme Hotels und eine Schifffahrtslinie gehören.