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Vor 125 Jahren
Ein Patent auf den Reißverschluss

Heute zählt der Reißverschluss zu den gewöhnlichsten Dingen des Alltags. Dabei hat die Kunst, kleine Teile leicht lösbar miteinander zu verbinden, große Arbeit gemacht. Auch wenn der Amerikaner Whitcomb Judson das Patent erhielt - zur Goldgrube wurde das Industrieprodukt für den Schweizer Martin Winterhalter.

Von Mathias Schulenburg | 29.08.2018
    Ein schwarzer Reißverschluss in Nahaufnahme
    Das Unternehmen, das den Reißverschluss populär machte, trug den Namen "Riri", die Abkürzung für "Rippen und Rillen" (imago stock&people)
    "Wortlos schreiten drei Männer am frühen Morgen des 16. Januar 1949 durch das Hauptportal der Villa Ri-Rita in Vico Morcote ob dem Luganersee. Sie drängen den Diener unsanft zur Seite und stürzen sich auf den Hausherrn, der sich gerade vom Frühstückstisch erhebt. Trotz seiner 60 Jahre ist Martin Winterhalter noch ein rüstiger Mann, er wehrt sich mit Händen und Füßen. Vergeblich. Während ihm ein Bademantel umgelegt wird, hält Dr. Elio Gobbi, der Vizedirektor der Irrenanstalt von Mendrisio, die Spritze bereit. Pantopon, ein starkes Betäubungsmittel."
    So beschreibt Alex Baur in der Neuen Zürcher Zeitung die tragischen Spätfolgen eines Patents, das der Amerikaner Whitcomb Judson am 29. August 1893 für die Erfindung eines neuartigen Schließmechanismus mit Haken und Ösen für Schuhe erhielt. Das Patent trug Judson bleibenden Ruhm als "Vater des Reißverschlusses" ein. Obwohl auf der Chicagoer Weltausstellung von 1893 vorgestellt, war Judsons mit Mängeln behaftete Konstruktion kein kommerzieller Erfolg. Den versprach sich Gideon Sundback, Designer und Ingenieur bei der "Universal Fastener Company", an der Judson beteiligt war. Aber auch Sundback, der die Erfindung stark verbessern konnte, war in den USA kein Erfolg beschieden, weshalb er in Europa nach Interessenten für sein Patent zu suchen begann. Schließlich geriet er an den Schweizer Bruchbandfabrikanten und Juristen Martin Winterhalter, der die Chancen für einen perfektionierten Reißverschluss erkannte, Sundbacks Patent erwarb und weiter verfeinerte – die kraftschlüssigen Elemente waren nun "Rippen und Rillen", was Winterhalters Unternehmen den Namen "Riri" eintrug.
    Durchbruch mit neuem Spritzgussverfahren
    "1925 standen in Wuppertal bereits 1000 Arbeiter am Fließband, das Tag für Tag 10.000 Meter Riri ausspuckte, und schon waren 25 neue Patente zur maschinellen Fabrikation angemeldet. 1928 folgten die ersten Riri-Ableger in Luxemburg, Mailand und St. Gallen. Martin Winterhalter raste durch Europa, der Schlafwagen war sein Zuhause. Alsbald produzierten Dutzende von Fabriken den Riri weltweit in Lizenz. 1929 schaffte Winterhalter mit einem neuen Spritzgussverfahren definitiv den Durchbruch."
    Winterhalter wurde steinreich und schaffte es mit großem Geschick, seine Firma über den Zweiten Weltkrieg zu bringen. Mit den Nazis wollte er nichts zu tun haben; seinen Wuppertaler Maschinenpark schaffte er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die Schweiz. Schließlich aber mehrten sich bei Winterhalter Zeichen einer gewissen Verworrenheit:
    "Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Martin Winterhalter von zunehmender Unrast getrieben. Eine Riri-Besessenheit ergriff den Fabrikanten: Allenthalben sah er Reißverschlüsse, aus Rippen und Rillen wollte er Straßen, Viadukte und Paläste bauen. 1941 forderte die Verwandtschaft erstmals einen Seelenarzt an. Dieser diagnostizierte eine 'fromme Hysterie', die mit 'liebevoller Behandlung im Familienkreis, aber keinesfalls mit einer Internierung' zu kurieren sei."
    Winterhalter landet in der Psychiatrie
    Genau das aber führten des kinderlosen Winterhalters Verwandte im Schilde, ebenso Teile des Riri-Direktoriums und der Gemeinde Tessin, und nach mehreren vergeblichen Anläufen gelang es auch: 1951 landete Winterhalter wegen unheilbarer paranoider Schizophrenie in der Klinik Bellevue, Konstanz.
    Dann dämmerte Dr. Martin Winterhalter elf lange Jahre lang einsam seinem Tod am 22. Juli 1961 entgegen.
    Dem Reißverschluss, mittlerweile von mehreren Firmen produziert, ging es derweil gut.
    1971 brachten die Rolling Stones ihre Platte "Sticky Fingers" heraus. In die Plattenhülle war ein Reißverschluss integriert, der sich sogar öffnen ließ. Zum Vorschein kam überraschend Dezentes: Ein Stück Stoff, so genannter Feinripp, Teil einer Unterhose mit eingewebten Dollarzeichen. Für die Stones von Andy Warhol designed. Leider verkratzte der Reißverschluss die Platte.